Unternehmen, die das Just-in-time-Prinzip nutzen, stimmen ihren Materialfluss genau auf die Produktion ab. Globalen Wirtschaftskrisen sind sie mit diesem Vorgehen natürlich nicht gewachsen. Ein Gastbeitrag von Dirk Oliver Haller, Gründer des Finanzierungs-Dienstleisters DFT Deutsche Finetrading. In den vergangenen Wochen und Monaten hat die Corona-Krise die zentrale Schwachstelle unseres globalen Wirtschaftssystems schonungslos offengelegt. Steckt die Welt in einer umfassenden Krise wie dieser, ist es Unternehmen praktisch unmöglich, Bedarf und Nachfrage exakt im Voraus zu berechnen. Global ausgelagerte Produktionsprozesse können dann nicht mehr genau koordiniert und störungsfrei am Laufen gehalten werden. Die Just-in-time-Produktion, wie wir sie bislang kannten, geht ihrem Ende entgegen.
Just-in-time-Produktion bedeutet, dass ein Produkt so eingekauft wird, dass es möglichst zeitsparend verarbeitet oder verkauft werden kann. Hierfür wird die Produktion an die zu erwartende Nachfrage angepasst und Puffer werden auf ein absolutes Minimum reduziert. Das Ergebnis: Es entfallen Lagerkosten, wodurch die Kosteneffizienz steigt und damit auch die Gewinnmargen. Der große Nachteil: Das alles geschieht zu Lasten der Produktionssicherheit.
Was Letzteres konkret bedeutet, können wir derzeit global miterleben. 56,2 Prozent der deutschen Unternehmen haben die negativen Auswirkungen der Corona-Krise bereits zu spüren bekommen. Dies ergab eine im März veröffentlichte Umfrage des Ifo-Instituts. Im verarbeitenden Gewerbe und im Handel sind es sogar 63 Prozent. Und für die meisten Unternehmen wird sich die Störung der Warenströme sogar erst in einigen Wochen voll bemerkbar machen – wenn die eng begrenzten Lagerbestände aufgebraucht sind.
Nun sind krisenbedingte Lieferengpässe für Unternehmen kein neues Phänomen. Für gewöhnlich bleiben sie jedoch auf einzelne Regionen beschränkt, so dass die Produktion weitgehend störungsfrei aufrechterhalten werden kann. Zulieferer einer Region werden einfach durch Zulieferer einer anderen Region ersetzt. Die Auswirkungen der Corona-Krise haben jedoch ein neues, bislang unbekanntes Ausmaß erreicht.
Weltweit hat die Pandemie zu signifikanten Verschiebungen bei Angebot und Nachfrage geführt. Und um diese Verschiebungen auszugleichen fehlen die nötigen Spielräume. Dadurch führt uns der Virus eines gerade sehr eindrucksvoll vor Augen: Einer weltweiten Krise ist unsere derzeitige Art zu Wirtschaften nicht gewachsen – schon gar nicht dann, wenn sie auf dem Just-in-time-Prinzip basiert.
So können Unternehmen ihre Produktion anpassen
Künftig werden Unternehmen auch solche globalen Störszenarien in ihrer strategischen Produktionsplanung berücksichtigen müssen. Folgende Optionen stehen ihnen zur Auswahl:
1.) Sie können ihre Produktion an einen zentralen Standort zurückholen
2.) Sie können ihre Produktion noch stärker diversifizieren
3.) Oder sie können ihre Lagerbestände soweit erhöhen, dass auch größere Schwankungen bei Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden können
Kurzfristig am ehesten umsetzbar dürfte die letzte Alternative sein. Die Mehrzahl der Unternehmen wird diesen Weg wohl in den kommenden Wochen beschreiten. Nicht zuletzt, da das Kosten-Nutzen-Verhältnis hier auch in langfristiger Hinsicht am günstigsten ausfallen dürfte. Wie hoch genau die Mehrkosten für die Produktion am Ende sein werden, ist heute nur schwer abschätzbar.
Das Risiko, unvorbereitet in eine globale Störung der Warenströme zu geraten, werden aber wohl nur die Wenigsten noch einmal eingehen wollen. Denn die Kosten solch einer fahrlässigen Entscheidung sind hoch.
Autor: Dirk Oliver Haller, Gründer des Finanzierungs-Dienstleisters DFT Deutsche Finetrading
Quelle: Das Investment