SJB | Korschenbroich, 05.06.2015. Der Mai hat Märkte und Meinungen mächtig durcheinander gewirbelt. Die USA und Griechenland könnten im Juni zur Beruhigung beitragen.
„Aus diesem Grund werden wir unser Kaufprogramm wie angekündigt vollständig umsetzen, auf jeden Fall, bis wir eine nachhaltige Anpassung des Inflationspfads sehen.“ Als EZB-Präsident Mario Draghi dies am 14. Mai in einer Rede sagte, näherten sich die Anleiherenditen gerade neuen Jahreshöchstständen, die Bund-Rendite hatte vier hektische Handelswochen zuvor erst ihr Tief bei 0,05 Prozent markiert. Über den konkreten Anlass der Bond-Turbulenzen lässt sich nur spekulieren. Die Ölpreiserholung und Europas bessere Konjunkturaussichten bildeten sicherlich den Nährboden für höhere Inflationserwartungen und damit höhere Renditen.
Aber die Heftigkeit der Kurskorrekturen lässt sich nur mit technischen Faktoren, Portfolioumschichtungen und einer abrupt geänderten Markt- und Risikowahrnehmung erklären. Es wurde erkannt, dass die EZB die Anleihepreise nicht beliebig in eine Richtung treiben kann und dass ihre Deflationswarnungen überzogen waren.
Darüber hinaus haben wochenlange konsensuale Positionierungen zu Marktengen geführt. Es ist eine bemerkenswerte Pointe des EZB-Kaufprogramms, dass die monatlich 60 Milliarden Euro eben jene Märkte austrocknen, in die sie fließen. Die Liquidität führt zu Illiquidität. Als Folge dieser eruptiven Märkte, bei denen im Anleihesegment ohnehin jeder Bewertungsanker fehlt, haben wir uns im Mai bereits defensiver positioniert.
Zwar gelten Draghis eingangs erwähnte Worte weiterhin, doch die Wirtschaftsdaten der Eurozone werden nicht mehr vollends ignoriert. Wir sehen die Eurozone in einer Fiskalunion münden.
Als potenzieller Mitauslöser der Renditeanstiege steht auch die rasante Ölpreiserholung im Mittelpunkt. Hier bleiben wir bei unserer West Texas Intermediate (WTI)-Prognose von 65 Dollar pro Barrel zum Jahresende. Neben den regen Förderaktivitäten der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) zeigen sich auch die US-Schieferölproduzenten bei den jetzigen Preisen wieder weniger konsolidierungsfreundlich.
Für eine weitere Preiserholung müsste es, abgesehen von Produktionsausfällen, schon zu einer überraschenden Nachfragebelebung kommen. Dass diese von China oder den USA ausgehen könnte, scheint immer unwahrscheinlicher.
Pekings Führung bemüht sich derzeit nach Kräften, das Wirtschaftswachstum nicht allzu stark einbrechen zu lassen, was sich auch in der lockereren Geldpolitik äußert. In den USA bedienen die ökonomischen Daten Optimisten wie Pessimisten.
Wir bleiben optimistisch, obwohl sich die Wachstumsbeschleunigung verschieben könnte. Mit Blick auf den S&P 500 Index – er erklomm im Mai neue Hochs – scheinen wir nicht die einzigen Konjunkturbullen zu sein. Oder speist sich diese Rally etwa aus der Hoffnung auf eine spätere Zinswende?
Die Analysten haben ihre Wachstumserwartungen für 2015 seit Jahresanfang von durchschnittlich 3 Prozent auf 2,5 Prozent gesenkt. Kein gutes Momentum, aber immer noch ein beachtliches Wachstum, welches in anderen Zeiten sicher nicht einen Leitzins von nahe Null gerechtfertigt hätte. Sind die Zeiten anders, oder weiß die Fed mehr als der Markt?
Von: Asoka Wöhrmann
Quelle: DAS INVESTMENT