SJB | Korschenbroich, 05.06.2014. Der langjährige Redakteur der Frankfurter Börsen-Zeitung sieht den aktuellen Dax-Höhenflug als Teil einer ganz natürlichen Entwicklung – glaubt aber nicht, dass der Sprung über die 10.000-Punkte-Marke deutsche Anleger nachhaltig mit der Aktie versöhnen kann. Obwohl das in seinen Augen bitter nötig wäre.
DAS INVESTMENT.com: Der Dax über 10.000 Punkte – haben Sie, als Ihr Index Anfang Juli 1988 an den Start ging, je darüber nachgedacht, ob und wann Sie diesen Tag erleben?
Frank Mella: Nein, habe ich nicht. Obwohl es natürlich eine recht simple Rechenaufgabe gewesen wäre. Ende der 80er Jahre lautete die herrschende Meinung, dass Aktien im Durchschnitt eine Rendite von 8 bis 10 Prozent pro Jahr erzielen. In diesem Korridor liegen wir genau drin, man hätte das Jahr 2014 also durchaus voraussagen können. Aus heutiger Sicht ist es etwas schwieriger, künftig erscheinen höchstens 6 Prozent realistisch. So gerechnet steht die nächste Verzehnfachung frühestens in 40 Jahren an, nicht in 26.
DAS INVESTMENT.com: Wann war Ihnen klar, dass sich der Dax durchgesetzt hat und fortan als konkurrenzloses Barometer für deutsche Aktien gelten würde?
Mella: Ende 1990, als die ersten Dax-Futures an die Börse kamen. Zuvor lief es eher zäh, es gab ja noch zehn konkurrierende Indizes. Ein kurz nach der Dax-Premiere erstmals aufgelegter Indexfonds der Commerzbank orientierte sich natürlich am hauseigenen Commerzbank-Index, wieder zwei Monate später platzierten Deutsche Bank und Bankers Trust einen Optionsschein auf den FAZ-Index. Geholfen hat uns in der Anfangsphase das Fernsehen: Als die Frankfurter Börse im Oktober 1988 ihre berühmte Vollmatrix-Tafel in Betrieb nahm und dort den Dax-Verlauf anzeigte, wurde diese Kurve sofort Bestandteil der damals bundesweit auf Sat1 ausgestrahlten Telebörse. Ein echter Knaller!
DAS INVESTMENT.com: Anfang der 90er Jahre war der Terminhandel auf Indizes etwas total Exotisches. Im vergangenen Jahr hat die Frankfurter Börse allein mit Dax-Futures ein Kontraktvolumen von knapp 6 Billionen Euro umgesetzt. Ist Ihnen bei dieser Entwicklung nicht manchmal etwas mulmig zumute?
Mella: Durchaus. Zum ersten Mal habe ich dieses Unbehagen verspürt, als Nick Leeson mit seinen Spekulationen auf den Nikkei-Index die Barings Bank in die Pleite trieb. So ganz Unrecht hat der US-Investor Warren Buffett nicht, wenn er Derivate als Massenvernichtungswaffen bezeichnet. Letztlich sehe ich es jedoch so: Nicht die Instrumente an sich sind gefährlich. Es kommt darauf an, wer sie wozu gebraucht.
DAS INVESTMENT.com: Wenn Sie zurückblicken – was sind in Ihrer Erinnerung die denkwürdigsten Dax-Tage?
Mella: Da gibt es eine ganze Reihe. Der 11.September 2001 mit dem Anschlag auf das World Trade Center gehört sicher dazu. Ein anderer war ohne Frage der 28. Oktober 2008, als Porsche die Übernahme von VW ankündigte und die von vielen bereits als überbewertet angesehene VW-Aktie sich bis zum Börsenschluss noch einmal fast verdoppelte. Ohne diesen Sondereffekt hätte der Dax an jenem Tag nicht bei 4.800 Punkten geschlossen, sondern nur bei 3.700 Punkten. Ohnehin wird 2008 als das verrückteste Jahr der Nachkriegszeit in die deutsche Börsengeschichte eingehen, obwohl eigentlich 2002 das volatilere Jahr war.
DAS INVESTMENT.com: Sie sind seit 2001 Privatier. Auf dem Weg dorthin hat Ihnen die Börse entscheidend geholfen, die Erfindung des Dax eher weniger. Haben Sie damals als Dank wirklich nur eine Flasche Sekt bekommen?
Mella: Mehr war nicht, ehrlich – 1995 kam dann noch das Bundesverdienstkreuz hinzu. Ich habe aber auch nie etwas gefordert. Schließlich habe ich den Dax im Auftrag meines damaligen Arbeitgebers, der Börsen-Zeitung, entwickelt. Die übrigens auch nie Geld gesehen hat. Sie hat der Frankfurter Börse den Index praktisch für lau überlassen. Das ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der Dax bis heute eine sprudelnde Quelle für Lizenzeinnahmen ist.
DAS INVESTMENT.com: Die Ordensvergabe zeigt immerhin, dass der Staat Verdienste um die Aktienkultur durchaus zu würdigen weiß. Beschäftigt es Sie in diesem Zusammenhang, dass der Dax zwar populär ist wie eh und je, aber immer weniger Deutsche mit Aktien etwas anzufangen wissen?
Mella: Da kann ich nur Konrad Adenauer zitieren. Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt’s nicht. Und die Deutschen sind nun einmal so, dass ihnen die Börse immer etwas unheimlich geblieben ist. Daran konnte selbst André Kostolany wenig ändern, auch wenn er von allen, die es versucht haben, noch den größten Erfolg hatte.
DAS INVESTMENT.com: Müsste die Politik nicht trotzdem mehr tun, um diese negative Einstellung zu ändern?
Mella: Natürlich müsste sie. Dabei muss es nicht einmal eine besondere Förderung sein – es würde schon reichen, die Nachteile der Aktie im Vergleich zu anderen Anlageformen abzubauen. Gerade im aktuellen Umfeld, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auftut. In den vergangenen Jahrzehnten ist der breite Mittelstand auch ohne die Aktie ausgekommen, weil er ausreichend Zinsen aufs ersparte Kapital bekommen hat. Damit ist auf bislang kaum absehbare Zeit Schluss, und wenn diese Leute nicht umdenken, finden sich viele von ihnen in 10 oder 20 Jahren auf der Seite der Verlierer wieder.
DAS INVESTMENT.com: Sie selbst bleiben der Börse weiter treu, seit einigen Jahren allerdings fast nur noch in Form von Dax-ETFs. Abgesehen von Einzelwerten – gibt es gar keine anderen Indizes, die Sie reizen könnten?
Mella: Es kann durchaus sein, dass ich mich in den nächsten Monaten stärker im Euro Stoxx 50 engagiere. Wenn die EZB tatsächlich Negativzinsen einführen oder Rückkaufprogramme beschließen sollte, bieten spanische, französische oder italienische Aktien bessere Chancen als deutsche. An einzelnen Schwellenländern habe ich mich in früheren Jahren natürlich auch schon mal versucht, aber seit 2011 lohnt sich das ja kaum noch. Außerdem ist mir das zu weit weg, da kann ich die Entwicklung nicht wirklich einschätzen.
DAS INVESTMENT.com: Das Stichwort Home Bias macht Ihnen keine Angst?
Mella: Nein, macht es nicht – weil das alles Quatsch ist. Haben Sie zwei Stunden Zeit? Dann erkläre ich Ihnen gern ganz genau, warum.
DAS INVESTMENT.com: Danke, vielleicht ein andermal. Zumindest als Reiseziel stehen exotische Länder bei Ihnen aber weiter hoch im Kurs. Wohin geht es denn als Nächstes?
Mella: So ganz genau steht das noch nicht fest. Aber die Uno hat 193 Mitgliedsstaaten, und mindestens die Hälfte davon will ich schaffen. Bislang sind es 68 – im vergangenen Jahr kamen unter anderem die Dominikanische Republik, Panama, Paraguay, Uruguay, Chile und Argentinien neu hinzu.
DAS INVESTMENT.com: Haben Sie jemals daran gedacht, einem der von Ihnen besuchten Länder Nachhilfe in punkto Index-Entwicklung zu geben?
Mella: Vor einigen Jahren gab es dazu mal eine Anfrage von einem Repräsentanten eines afrikanischen Staates. Aber das war mehr informell, auf einem Cocktail-Empfang, und es kam auch nichts mehr nach. Mittlerweile habe ich mit dem Thema abgeschlossen und bin lieber privat als Tourist unterwegs.
Frank Mella (64): Immer wenn der Dax Jubiläum feiert oder eine runde Kursmarke nimmt, bricht über den ehemaligen Journalisten (1977 bis 2001) eine wahre Flut von Medienanfragen herein. Alle wollen dann wissen, wie er Ende der 80er Jahre als Redakteur der Börsen-Zeitung den deutschen Leitindex ins Laufen brachte. Damit er es nicht wieder und wieder erzählen muss, hat Mella 2013 zu diesem Thema eine 52-seitige Broschüre verfasst. Dort sind neben den wichtigsten Fakten auch einige unterhaltsame Anekdoten versammelt – etwa jene über die Rolle, die ein Labrador-Hund bei der Namensgebung spielte oder welchen guten Rat Mella einmal einem Zürcher Börsen-Astrologen mit auf den Weg gab.
Von: Egon Wachtendorf
Quelle: DAS INVESTMENT.