SJB | Korschenbroich, 21.11.2014. Der deutsche Fondsverband BVI verzeichnet einen 14-Jahres-Rekord: Seit Jahresbeginn flossen der deutschen Fondsbranche über 71 Milliarden Euro zu – so viel wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Fünf Fragen an BVI-Chef Thomas Richter.
DAS INVESTMENT.com: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse/Trends aus den Zahlen aus Sicht des Retail-Fondsvertriebs? Immerhin sind der Motor ja die Spezialfonds und nicht die Publikumsfonds.
Thomas Richter: Publikumsfonds verzeichneten mit Zuflüssen von über 26 Milliarden Euro das beste Neugeschäft in den ersten drei Quartalen seit 2007. Davon sammelten Mischfonds 17 Milliarden Euro ein, rund 2 Milliarden Euro mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Grund hierfür ist simpel: Angesichts der niedrigen Zinsen liefern die üblichen Sparformen keinen Mehrwert mehr für Anleger, denn bei einer Inflationsrate von derzeit 0,8 Prozent wird die vermeintlich risikolose Anlage zum Verlustgeschäft. Mischfonds hingegen erreichen solide Renditen bei begrenzter Wertschwankung.
Aktienfonds verzeichnen seit Jahren Abflüsse. Sind sie ein Auslaufmodell?
Nein, keineswegs. Aktienfonds sind mit einem Marktanteil von 36 Prozent nach wie vor die größte Gruppe der Publikumsfonds. In den vergangenen vier Jahren stieg ihr Vermögen um knapp ein Drittel auf rund 280 Milliarden Euro. Außerdem spielen Aktien eine große Rolle bei den Mischfonds.
Was unterscheidet die Zahl der Zuflüsse heute mit der von 2000?
Die Situation damals und heute ist nicht miteinander vergleichbar. Vor 14 Jahren flossen die neuen Mittel überwiegend in Publikumsfonds und dort in Aktienfonds, vor allem wegen der haussierenden Börsen. Heute haben wir eine ganz andere Situation: Erstens investieren institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionskassen verstärkt in Spezialfonds. Das sind hauptsächlich Gelder zur Altersvorsorge. Außerdem finden die Publikumsfonds-Zuflüsse in einem Niedrigzinsumfeld und überwiegend in Mischfonds statt. Private Anleger investieren also risikogestreut über mehrere Asset-Klassen hinweg.
Wie unterscheidet sich die Fondsbranche heute zu 2000?
Das institutionelle Geschäft spielt eine viel größere Rolle. Fonds werden immer stärker zum Rückgrat der Altersvorsorge, der betrieblichen ebenso wie der privaten. Die Regulierungsdichte und die damit verbundenen Kosten haben erheblich zugenommen. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass sich das Chance-Risiko-Verhältnis der Asset-Klassen verändert hat. Damals rentierte eine 10-jährige Bundesanleihe mit knapp 5 Prozent, ein global anlegender Aktienfonds erzielte über einen Zeitraum von 30 Jahren im Schnitt 9 Prozent pro Jahr. Heute rentiert eine Bundesanleihe bei unter 1 Prozent, ein globaler Aktienfonds schafft aber immerhin 7 Prozent. Das Risiko eines Aktienfonds ist relativ betrachtet geringer geworden. Das ist zwar erklärungsbedürftig, andererseits eine Riesenchance für Berater, wieder eine Brücke zu ihren Kunden zu bauen. Im beratungsfreien Vertrieb wird der Anleger doch mit dieser Herausforderung alleine gelassen.
2000 gab es nach den hohen Zuflüssen einen Aktiencrash. Kommt das jetzt auch wieder?
Wir haben heute ja keine hohen Zuflüsse in Aktienfonds. Auch die Direktanlagen in Aktien sind – anders als 2000 – bescheiden. Und die Bild-Zeitung empfiehlt auch keine Aktienanlagen. Die Anleger kaufen Mischfonds und investieren damit in Aktien bei reduziertem Risiko. Sollte es zu einer Korrektur an den Börsen kommen, wären die Folgen für die deutschen Anleger also ganz andere als 2000.
Von: Annika Teerling
Quelle: DAS INVESTMENT.