Die Debatte über einen möglichen Brexit wird heiß geführt. Die Folgen eines Ausstiegs Großbritanniens aus der EU sind so beängstigend wie ungewiss. AB-Europa-Volkswirt Darren Williams hat sich ein paar Gedanken gemacht und vorläufige Thesen aufgestellt. Zu den möglichen Konsequenzen.
Auf der Insel stellt die Debatte über den möglichen EU-Austritt zurzeit alle anderen Themen in den Schatten. Sollten die Briten beim Referendum am 23. Juni gegen den Verbleib votieren, hätte der sogenannte „Brexit“ schwerwiegende Folgen für die heimische Wirtschaft – aber auch weit darüber hinaus.
Die langfristigen Auswirkungen eines Brexit sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Wichtig wäre insbesondere, in welcher Form der Austritt zwischen Großbritannien und seinen (dann ehemaligen) Partnern vertraglich ausgestaltet würde. Wir können jedoch bereits jetzt einige vorläufige Thesen aufstellen.
Ausgang ungewiss
Zunächst gilt es festzustellen, dass die Briten unserer Ansicht nach wahrscheinlich für einen Verbleib in der EU stimmen werden. Die Debatte wird jedoch sehr intensiv geführt, die Buchmacher taxieren die Wahrscheinlichkeit des Brexit mit circa 30 Prozent.
Mehrere Studien beschäftigen sich mit den langfristigen Folgen eines Brexit für die britische Wirtschaft. Die Ergebnisse sind höchst unterschiedlich – die Schätzungen reichen von Veränderungen des BIP von -10 Prozent bis +10 Prozent. Diese Streuung spiegelt oft die jeweilige politische Richtung des Autors oder des Auftraggebers der Studie wider. Die besseren unter diesen Analysen betonen die riesigen Unwägbarkeiten, nicht zuletzt hinsichtlich der zukünftigen Ausrichtung der EU selbst, und die daraus resultierende Schwierigkeit, die Folgen für die britische Wirtschaft zu prognostizieren.
Kapitalzuflüsse wären gefährdet
Langfristig ist also Vieles noch Spekulation, kurzfristig jedoch gibt es kaum Zweifel, dass ein Brexit negative wirtschaftliche Auswirkungen hätte. Wenngleich es wohl eine Übergangsphase von wahrscheinlich zwei Jahren vor einem endgültigen Austritt aus der EU gäbe, hätte die resultierende Unsicherheit doch bremsende Wirkung auf Firmeninvestitionen. Zudem wären die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland gefährdet, welche für die Finanzierung eines Leistungsbilanzdefizits auf Rekordniveau benötigt werden (Abbildung). Ein schwächeres Pfund würde die Folgen zwar mildern, aber unserer Überzeugung nach wäre eine signifikante Abschwächung der Konjunktur oder gar eine Rezession kaum zu vermeiden.
Fallendes Pfund und Ratingsorgen
Die britische Währung ist das erste Opfer des steigenden Brexit-Risikos. Seit Anfang des Jahres fällt es gegenüber dem Euro und vor allem dem Dollar. Sollten die Chancen eines Austritts weiter steigen, wären weiter sinkende Kurse vorprogrammiert.
Auch das Rating britischer Staatsanleihen könnte gefährdet sein. Die Ratingagenturen haben bereits dahingehende Warnungen ausgesprochen. Die Bank of England würde jedoch angesichts einer drohenden Rezession geldpolitisch gegensteuern, und damit die Auswirkungen einer potenziellen Ratingherabstufung mehr als kompensieren.
Europäische Auswirkungen
Man sollte aber auch die Auswirkungen eines Brexit auf den Rest Europas nicht unterschätzen. Zwar sind die Briten für ihre europäischen Partner oft ein unangenehmer Verhandlungspartner. Ein EU-Austritt der Briten wäre für das europäische „Projekt“ dennoch ein herber Rückschlag. Er würde Populisten und EU-Gegner überall auf dem Kontinent bestärken. Den Anlegern würde er in Erinnerung rufen, dass die EU-Länder inklusive der Eurozone noch immer souveräne Staaten sind, und dass nichts „unwiderruflich“ ist – auch wenn es bis 2007 keine Austrittklausel im EU-Vertrag gab.
In vielerlei Hinsicht ist das Brexit-Thema eine typisch britische Angelegenheit. Doch im Gefolge der Staatsschuldenkrise, der Flüchtlingskrise und den dadurch wider aufbrechenden Gräben zwischen Europas Ländern könnte der Brexit die bislang schwierigste Phase in der Geschichte der EU weiter verschlimmern.
Von: Darren Williams
Quelle: DAS INVESTMENT.