SJB | Korschenbroich, 19.05.2015. Auf dem brasilianischen Markt ist das Schlimmste ausgestanden. Bald übernehmen wieder die Optimisten das Ruder, sagt Charlemagne Capital Portfolioberater Ian Simmons.
Nach einer Rally von 25 Prozent seit den Tiefständen im März fragen sich die Anleger in Brasilien, ob das Land letztendlich die Trendwende geschafft hat. Das Land ist der einzige bedeutende Schwellenmarkt, der die Tiefs des Jahres 2008 erneut getestet hat und bleibt nach vier Jahren frustrierenden Wachstums und politischem Missmanagement allgemein untergewichtet. Allerdings lösten sich einige der gewichtigeren Probleme in den letzten Wochen und der Markt begann seinen Aufschwung früher als erwartet. Zu diesen Problemen gehörten:
Der sogenannte „Autowäsche-Skandal“ bei Petrobras
Petrobras hat seine Ergebnisse für das Gesamtjahr mit Verzögerung veröffentlicht und dadurch einen teuren technischen Ausfall seiner Kredite vermieden. Abschreibungen von insgesamt 51 Milliarden brasilianischen Real aufgrund von Korruptionsvorwürfen und Wertminderungen bei Investitionsprojekten sind zumindest in ausreichender Höhe und dürften weitere große unerwartete Verluste ausschließen. Der Korruptionsskandal ist natürlich eine Schande auf die Corporate Governance in Brasilien (auch aus diesem Grund sind wir in Bezug auf Unternehmen in Staatsbesitz skeptisch). Es folgten massive Straßenproteste und der Druck auf Präsidentin Rousseff in ihrer Regierung aufzuräumen und das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln stieg. Das kann sich langfristig nur positiv auswirken.
Die drohende Rationierung von Wasser und Strom
Die Stromversorgung Brasiliens hängt zu 75 Prozent von der Wasserkraft ab. Nach einer besorgniserregenden Phase relativer Trockenheit haben die jüngsten Regenfälle die Reservoire vor der jährlichen Trockenzeit wieder aufgefüllt.
Schlechte Wirtschaftspolitik
Am wichtigsten sind die Ernennung des marktfreundlichen Joaquin Levy zum Finanzminister und die Rückendeckung durch Rousseff für ihn. Er engagiert sich stark dafür, dass Brasilien sein Investment Grade behält. Er setzte viele der Veränderungen die Anleger erhofft hatten um, um den für 2015 angestrebten Primärüberschuss von 1,2 Prozent zu erreichen. So ist es nun weniger wahrscheinlich, dass Präsidentin Rousseff ihre nicht gegenfinanzierbaren populistischen Bestrebungen wie Benzin-Subventionen und günstige Finanzierungen für bestimmte Branchen fortsetzen kann. Jedes Mal, wenn er Ausgaben oder Subventionen kürzen konnte, gewann der Markt an Zuversicht, dass er die Finanzen sanieren kann. Dies zeigt sich in den Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen – sie sanken in den letzten Wochen von 13,5 Prozent auf 12,5 Prozent. Dieser Trend könnte sich fortsetzen (die Renditen waren noch vor der Wahl im letzten Jahr bei 11 Prozent) und würde die Entwicklung am Aktienmarkt begünstigen.
Makroökonomischer Hintergrund
Während die bisher genannten Risiken zurückgegangensind, verzeichnete die Währung eine signifikante Anpassung. Zum Tiefstpunkt hatte den brasilianischen Real seit der Wahl (Oktober 2014) ein Drittel seines Wertes gegenüber dem USD verloren. Dies veranlasste ausländische Anleger dazu, sich doch nochmal umzusehen. Wir haben eine Reihe von versuchten Delistings erlebt, weil internationale Muttergesellschaften wie zum Beispiel British American Tobacco „Value“ in ihren lokalen Tochtergesellschaften erkennen. Eine schwächere Währung gilt zudem als Konjunkturprogramm für Brasilien, da sie dazu beiträgt, die Handelsbedingungen neu zu gewichten, das Leistungsbilanzdefizit zu senken und die Importe (und damit die ausländischen Konkurrenzprodukte) zu verteuern.
Die von Minister Levy eingesetzten geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen sind eine schmerzvolle Notwendigkeit in einem Land, in dem das Wachstum bereits auf unzureichende Niveaus gesunken ist. Tatsächlich soll das BIP 2015 um 1 Prozent sinken. Wir erwarten einen abschließenden Rückgang der geschätzten Unternehmensgewinne, da der fiskalische Anpassungsprozess auf das Konsum- und Wirtschaftswachstum durchschlägt. Dies geschieht, während wir diesen Bericht erstellen. Sollte sich der Markt analog zu den Gewinnen abschwächen, wäre dies für uns ein klares Signal, das Land erheblich positiver zu bewerten. Kurzfristig steigen Arbeitslosigkeit, Zinsen und Inflation. Dagegen verharren das Vertrauen und die Investitionen auf vieljährigen Tiefs, während die Untersuchungen der Korruption im Bausektor andauern. Sollte Rousseff jedoch Levy gestatten, diesen Weg weiter zu gehen, werden sich die Anleger wohl im 4. Quartal oder Anfang 2016 auf Zinssenkungen und eine positive BIP-Entwicklung freuen. Wir können dann allmählich das schwierige erste Halbjahr 2015 hinter uns lassen.
Aktienkursbewertungen
Angesichts dieser bekannten Herausforderungen sind neue negative Schlagzeilen aus dieser Richtung weniger wahrscheinlich. Der abschließende Faktor in unseren Erwägungen zur Positionierung in Brasilien ist die Bewertung. In den letzten Wochen sanken die Gewinne, aber die Märkte legten zu. Wir haben eine Neubewertung Brasiliens nach oben auf ein KGV von 12,5 erlebt – gegenüber einem langfristigen Durchschnitt von 10,5. Man könnte meinen, dass dies absolut betrachtet für einen Markt noch vergleichsweise preiswert ist, der viele Wachstumsunternehmen guter Qualität enthält, vor allem, da die entwickelten Märkte und andere beliebte Emerging Markets neue Höchststände erreichen. Eine temporäre Neubewertung ist bei Wendepunkten stets zu erwarten, zum Beispiel wenn der Markt allmählich eine positive Gewinndynamik für die nächsten Jahre einpreist, bevor die kurzfristigen Wachstumsdaten dies unterstützen, vor allem bei langfristig sinkenden Zinsen. Die dennoch vergleichsweise relativ hohen Bewertungen zeigen jedoch, dass eine sorgfältige Einzeltitelauswahl erforderlich ist, um nicht zu teuer einzukaufen und um einen Puffer gegenüber anhaltenden Risiken zu haben.
Unsere unbereinigte 4-Prozent-Untergewichtung in Brasilien reflektiert unsere Bedenken hinsichtlich der Bewertung und der makroökonomischen Probleme, die das Land noch immer mittelfristig belasten. Diese Untergewichtung wird jedoch durch den Verzicht auf die zwei Index-Schwergewichte Petrobras und Vale mehr als ausgeglichen. Zusammen stellen sie 9 Prozent des Index dar. Wenn wir diese beiden Unternehmen nicht berücksichtigen, sind wir in Brasilien sogar 5 Prozent übergewichtet. Sie wirken sich offensichtlich stark auf unsere unbereinigte Ländergewichtung aus, aber die Gründe sind sehr unternehmensspezifisch.
Obwohl Petrobras inzwischen Ergebnisse veröffentlicht hat, gibt es aus fundamentaler Sicht noch immer sehr wenig Argumente, die eine Positionierung in diesem Konzern stützen. Bei einem EV/EBITDA von fast 9 und einem viel gepriesenen Förderwachstum, das nun nur noch bei 2 – 3 Prozent liegt, einem negativen freien Cashflow für mindestens vier weitere Jahre, einem Verhältnis von Nettoverschuldung / EBITDA von 6 und einer Bilanz, die stark dem Risiko einer weiterhin schwachen Währung ausgesetzt ist, besteht noch immer eine 50 / 50 Chance auf eine verwässernde Aktienemission oder eine Umwandlung von Schulden in Eigenkapital während des nächsten Jahres.
Vale ist ein solides Unternehmen mit sinnvollen Aktivitäten, aber da andere große Eisenerzproduzenten das neue Angebot früher und zu geringeren Kosten als Vale anbieten, besteht wenig Hoffnung auf eine nachhaltige Preiserholung für den wichtigsten Rohstoff des Unternehmens. Gewinne und Cashflows dürften in den nächsten drei Jahren kaum wachsen; die Verschuldung wird zunehmen und die Dividenden wurden bereits gesenkt. Beide Konzerne planen den Verkauf von Vermögenswerten, um den Finanzierungsdruck zu mindern, aber sie versuchen, ihre unrentablen Vermögenswerte zu einer Zeit zu verkaufen, in der die meisten potenziellen Käufer darauf aus sind, ihre eigenen Investitionen zu reduzieren. Die starke Rally der beiden Titel im April resultiert mehr aus technischen und Positionierungs-Gründen. In den nächsten Monaten dürften aber die fundamentalen Aspekte dominieren.
In Qualitätsunternehmen investieren
Unvermeidlich hängen beide Aktien von nicht beeinflussbaren Faktoren wie den Währungs- und Rohstoffpreisentwicklungen ab. Unsere Beteiligungen in Brasilien sind mehr auf Unternehmen konzentriert, die ein robustes Wachstum im Inland generieren und ihr Schicksal eher selbst bestimmen können. Alle unsere großen Beteiligungen generieren Erträge, die gut über ihren Kapitalkosten liegen und erzielen selbst bei nachlassender Konjunktur steigende Gewinne. Die Unternehmen geringerer Qualität, die in diesem Jahr operativ unter Druck stehen, aber kurzfristig gefragt sein werden, da wir einen Wendepunkt ansteuern, sind für uns aus der Bewertungsperspektive noch immer nicht interessant.
Auch wenn wir berücksichtigen, dass die Erholung wohl schrittweise verlaufen wird, mit einem BIP-Wachstum von ungefähr 1 Prozent im Jahr 2016 und 2 Prozent im Folgejahr. Da die Hälfte unseres Lateinamerika-Portfolios in diesem Land investiert ist, stehen wir bereit um von der erwarteten Wiederkehr Brasiliens zu profitieren, auch wenn man bedenken sollte, dass das Beta unserer Beteiligungen am unteren Ende der historischen Bandbreite angesiedelt ist. Wir meiden Unternehmen, die von günstigen Staatskrediten oder Subventionen für sich selbst oder ihre Kunden abhängig geworden sind, da es dem Finanzminister in diesen Bereichen leicht fällt, seine Kosten zu senken.
Wir werden häufig gefragt, wie die Bewertungen aussehen, wenn wir die zyklischen Rohstoffunternehmen mit ihren traditionell niedrigen KGV-Werten ignorierten. Allerdings werden Konzerne wie Petrobras und Vale heute zu derart niedrigen Gewinnen gehandelt, dass ihre Bewertungen durchaus nicht preiswert sind. Viele unserer Kernbeteiligungen erlebten eine Abwertung aufgrund makroökonomischer Befürchtungen und schlossen so die Lücke zwischen den beiden Gruppen. Das Markt-KGV kann leicht über dem Durchschnitt liegen, aber die Tatsache, dass Rohstoffwerte im Index nun kleiner sind, zeigt, dass andere Wachstumswerte guter Qualität und Konsumtitel nun zu niedrigeren KGV-Werten gehandelt werden als in der letzten Dekade. Tatsächlich ist ein KGV von 15 für die Unternehmen hoher Qualität in unserem Portfolio, die eine Eigenkapitalrentabilität von weit über 10 Prozent und ein solides zweistelliges Gewinnwachstum generieren, für uns absolut betrachtet attraktiv.
Brasilien ist in globalen Fonds schwach vertreten, verfügt jedoch über eine Vielfalt von liquiden, gutgeführten Unternehmen, sowie über eine Mittelschicht von 100 Millionen Menschen mit einer ausgeprägten Konsumneigung, die für internationale Unternehmen sehr interessant sind. Private-Equity-Unternehmen mit einer längerfristigen Ausrichtung sind im Land seit einiger Zeit sehr aktiv.
Obwohl Probleme bleiben…
In Bezug auf Brasilien sind wir nicht übertrieben optimistisch, da die langfristigen Strukturprobleme,die aus der niedrigen Produktivität resultieren, weiter bestehen. Bisher haben diese Probleme eine traditionelle Wachstums-Story verhindert und es bleibt abzuwarten, ob Präsidentin Rousseff wirklich bereit ist, die Renten-, Steuer- und Arbeitssysteme grundlegend zu reformieren. Lula und danach auch Rousseff haben die Jahre des Rohstoff-Booms nicht genutzt, um die Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen und Investitionen in die Infrastruktur zu verbessern. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass Levy und die derzeitigen Führer im Kongress (von der Oppositionspartei) diesen Prozess starten – was positiv zu werten ist.
Die ungünstige Währungsentwicklung ist ein weiterer Knackpunkt für internationale Anleger auf mittlere Sicht, da die meisten Wirtschaftsexperten davon ausgehen, dass der Real, ausgehend vom aktuellen Niveau, weitere 10 bis 20 Prozent abwerten wird, um der zugrunde liegenden Inflation in der Volkswirtschaft besser zu entsprechen, und das Leistungsbilanzdefizit wieder auf unter 3 Prozent zu drücken. Durch die Verzögerung der Zinserhöhungen hat die US-Notenbank Brasilien eine Möglichkeit verschafft, einige dieser vorstehend erläuterten Anpassungen früher vorzunehmen. Wird diese Möglichkeit genutzt, könnte dies das Land allmählich auf den Weg bringen, um sein Wachstumspotenzial zu realisieren.
… sind die Aussichten günstig
Nachdem wir erlebt haben, wie positiv sich reformfreudige Politiker auf Märkte in Indien, China und Mexiko auswirken können, gehen wir davon aus, dass die Brasilianer nun begriffen haben, was zu tun ist. Nachdem der brasilianische Markt so lange unbefriedigend abgeschnitten hat, sind eventuell schon nur eine klare Veränderung der politischen Richtung und die Beseitigung von Folgerisiken (tail risks) erforderlich, damit der Markt eindrucksvolle positive Ergebnisse generiert. Unsere aktuelle Bottom-up-Arbeit ist weitgehend auf Unternehmen fokussiert, die wir kaufen werden, wenn wir entweder zuversichtlicher sind, dass das Schlimmste hinter uns liegt, oder wenn die Bewertungen wieder attraktiv sind. Aber sicher sein können wir uns nicht, dass wir gerade jetzt diesen Zeitpunkt erreicht haben. Anleger können sich über den Magna Latin American Fonds von Charlemagne Capital an der Region Lateinamerika beteiligen. Die Wertentwicklung des Fonds ist nachstehend aufgeführt.
Der Magna Latin American Composite basiert auf allen Anteilsklassen des Magna Latin American Fund. Charlemagne Capital hält die Global Investment Performance Standards (GIPS®) ein, was von Ashland Partners für den Zeitraum 1. Juni 2000 – 30. Juni 2014 nachgewiesen wurde. Ein Exemplar des Nachweisberichts und eine Darstellung nach den GIPS-Standards sind auf Anforderung verfügbar.
Von: Ian Simmons
Quelle: DAS INVESTMENT.