SJB | Korschenbroich, 27.11.2014. Die New Yorker Wall Street jagt von Rekord zu Rekord. Aber wie lange kann das gutgehen? Noch eine ganze Weile, argumentieren Optimisten und verweisen auf die guten Unternehmensergebnisse und den steigenden Dollar. Pessimisten hingegen halten den Markt langfristig für ausgereizt. Zwei Fondsmanager erläutern ihren Standpunkt.
Die USA sind ein Land der Superlative. Im Guten wie im Schlechten. So wachsen die Staatsschulden seit Jahren nahezu ungebremst: Ende 2014 werden sie voraussichtlich 18,5 Billionen US-Dollar betragen. In absoluten Zahlen steht kein anderes Land tiefer in der Kreide. Gleichzeitig öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter: Einer aktuellen Studie zufolge leben mittlerweile zwischen Kalifornien und Florida 2,5 Millionen Kinder auf der Straße – so viele wie nie zuvor.
Auf der anderen Seite sind die USA in punkto Fortschritt noch immer das Maß aller Dinge. Tech-Firmen wie Apple, Microsoft oder Amgen dominieren mit ihren Produkten die ganze Welt. Kein Kapitalmarkt ist zudem größer, und kaum ein etablierter Börsenplatz kam besser aus der Finanzkrise als die New Yorker Wall Street. Mehr als 240 Prozentpunkte legte der S&P-500-Index seit seinem im März 2009 markierten Tief auf Euro-Basis zu, seit Monaten markiert er ein Allzeithoch nach dem anderen. Zum Vergleich: Der Euro Stoxx 50 schaffte im gleichen Zeitraum lediglich ein Plus von 123 Prozent.
Der Vorsprung wird sich in den kommenden Jahren eher noch vergrößern, glauben Optimisten wie Dominic Rossi. Der Aktienchef der US-Gesellschaft Fidelity, in dieser Funktion unter anderem verantwortlich für den weltweit anlegenden Fidelity Global Dividend Fund, sieht die USA als Profiteur verschiedener struktureller Trends. Starcapital-Manager Norbert Keimling hingegen bemüht ganz rational die Historie und stellt aktuelle Bewertungskennzahlen Daten der Vergangenheit gegenüber. Ein Vergleich, der in seinen Augen nur zwei Möglichkeiten zulässt. Entweder ist dieses Mal wirklich alles anders – oder jeder Anleger, der sich jetzt den US-Markt ins Depot holt, macht auf lange Sicht ein schlechtes oder sogar sehr schlechtes Geschäft.
PRO: “Die Gewinnmargen sind hoch wie nie – und haben noch Luft nach oben”
Dominic Rossi, verantwortlich für den Fidelity Global Dividend Fund:
Ja, die Schwankungen an den Aktienmärkten haben zugenommen. Dennoch bin ich nach wie vor überzeugt, dass der Bullenmarkt in den USA weitergeht. Dafür sprechen meines Erachtens drei wesentliche Argumente: der US-Konjunkturausblick, die Gewinne und Bewertungen der Unternehmen und der starke US-Dollar.
Die US-Wirtschaft wächst weiter mit solidem Tempo, und trotz fünf Jahren quantitativer Lockerung kommt kaum Inflationsdruck auf. Das gibt der US-Notenbank den Spielraum, ihre Geldpolitik kontrolliert in normalere Bahnen zu lenken. Und selbst wenn die Zinsen in den USA steigen, dürfte das kein größeres Problem für Aktien werden. Selbst eine kurzfristige Verkaufswelle an den Märkten dürfte den Aufwärtstrend nur vorübergehend bremsen. Tatsächlich lehren die Erfahrungen aus der Vergangenheit, dass die Aktienkurse in der Regel in der Anfangsphase eines Zinsstraffungs-Zyklus noch steigen. Erst in seiner späteren Phase wird der Zinszyklus zur Belastung für die Aktienmärkte.
Seit der Finanzkrise haben sich die Unternehmensgewinne in den USA spürbar erholt. In vielen Wirtschaftszweigen sind die Gewinnmargen sogar so hoch wie nie. Pessimisten rechnen mit einer Rückkehr der Gewinne zu ihrem Mittelwert. Diese Einschätzung teile ich überhaupt nicht: Aus meiner Sicht spricht nichts gegen dauerhaft hohe Gewinne, die sogar noch Luft nach oben haben. In der US-Wirtschaft entfalten starke strukturelle Faktoren ihre Wirkung – beispielsweise die fallende Lohnquote, die auch künftig den Gewinnmargen der Unternehmen zugutekommen wird. Vor diesem Hintergrund sind die Bewertungen in den USA nach wie vor vernünftig.
Zudem profitieren viele führende US-Markenhersteller von der Globalisierung und der gestiegenen Kaufkraft in den Schwellenländern. Mindestens ebenso wichtig: In einzelnen Marktnischen kommt es vermehrt zu Zusammenschlüssen, es entstehen neue Monopole. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt ist die erstaunliche Fähigkeit der amerikanischen Unternehmen, ihre Gewinne zu behaupten und auszubauen, ihr Kapital effektiv einzusetzen und mithilfe neuer Technologien den Gewinn auf das eingesetzte Kapital zu steigern.
Anders als im vergangenen Jahrzehnt stehen wir aktuell am Beginn einer Stärkephase des Greenback. Vor einigen Monaten hat sein Höhenflug begonnen, der noch eine ganze Weile anhalten und die amerikanische Währung auf ein deutlich höheres Niveau treiben dürfte. Das wird US-Anleger dazu bringen, ihr Kapital aus dem Ausland abzuziehen und es wie in den 90er Jahren in heimische Vermögenswerte anzulegen. Ganz konkret dürfte die Umkehr dreier zentraler Faktoren, die in den vergangenen Jahren den US-Dollar geschwächt hatten, nun seinen Höhenflug befeuern.
Erstens: Die USA sind dank Schieferöl und -gas auf dem besten Weg, in den nächsten Jahren in punkto Energie zum Selbstversorger zu werden. Der Rückgang der Energie-Importe kommt der US-Leistungsbilanz zugute und damit wiederum dem Dollar.
Zweitens: Die Lage des US-Haushalts hat sich deutlich entspannt. Von einem Spitzenwert von 12 Prozent ist das jährliche Defizit auf 4 Prozent geschrumpft. Ich sehe die Chance, dass Präsident Barack Obama sogar mit einem Haushaltsüberschuss aus dem Amt scheidet. Der Positivtrend beim US-Haushalt und der Leistungsbilanz hat bereits den Anstieg der Aktienbewertungen unterstützt – und sollte dies auch weiter tun.
Drittens: Wir befinden uns inzwischen in einer Phase mit weltweit auseinanderstrebender Geldpolitik. Im Gegensatz zur Bank von Japan und zur Europäischen Zentralbank wird die US-Notenbank ihre Anleihekäufe einstellen. Die erste Zinserhöhung dürfte im Sommer 2015 erfolgen. Ein derartiges Auseinanderdriften der globalen Geldpolitik hat Zinsunterschiede zur Folge, von denen der US-Dollar profitieren wird.
All dies bedeutet, dass die aktuelle Aktien-Hausse von anderen Faktoren getrieben wird als die der Jahre 2003 bis 2008. Damals war der Aufstieg Chinas und der übrigen Schwellenländer die treibende Kraft. Das war nicht zuletzt den damals hohen Rohstoffpreisen und dem niedrigen Dollar zu verdanken. Der aktuelle – und noch anhaltende – Bullenmarkt wird hingegen von der ökonomischen Vormachtstellung der USA getragen.
CONTRA: “Langfristige Investoren können mit 4 Prozent rechnen – bei hohem Enttäuschungspotential”
Norbert Keimling, Manager des Starcapital Priamos
Überdurchschnittliche Wachstumsaussichten, überraschend gute volkswirtschaftliche Daten, der Status als sicherer Hafen – für eine Anlage am US-Aktienmarkt sprechen derzeit eine ganze Reihe von Faktoren. Doch welche Aussagekraft haben die häufig angeführten Argumente wirklich, und sollte man nach einem Kursanstieg von 190 Prozent seit 2009 noch immer investieren?
Zumindest antizyklische Investoren beschleicht zunehmend ein ungutes Gefühl. Denn die Zahl der Unternehmen, die den Aufschwung tragen, scheint stetig zu sinken. Im Hinblick auf die fundamentale Bewertung mehren sich die Warnzeichen. So notiert das von Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller entwickelte, zyklisch adjustierte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV-10) des S&P 500 mittlerweile bei über 26. Normalerweise liegt es deutlich unter 20.
In den vergangenen 130 Jahren kletterte das KGV-10 im US-Markt nur zweimal über den aktuellen Wert: 1929 und 1996. Im Jahr 1929 begann der Aktienmarkt-Crash des Jahrhunderts. Und auf 1996 folgten nach drei freundlichen Börsenjahren mit 2000 bis 2003 und 2007 bis 2009 gleich zwei schmerzhafte Verlustphasen. Natürlich können teure Aktienmärkte auch einige Jahre weiter überdurchschnittlich stark steigen. Das hat der US-Markt von 1996 bis 1999 gezeigt oder der japanische Aktienmarkt, der den Aktien-Crash von 1987 trotz extremer Überbewertung besser als andere Märkte überstand und erst ab 1989 zusammenbrach. Doch sollten Investoren hierauf spekulieren, wo doch sogenannte Börsenexperten mit ihren Vorhersagen permanent belegen, dass sich kurz- bis mittelfristige Entwicklungen nicht prognostizieren lassen?
Studien belegen, dass die meisten Investoren gerade beim kurz- bis mittelfristigen Market-Timing scheitern. Deshalb sollten sich Aktienkäufer langfristig ausrichten. Und die langfristigen Renditeerwartungen eines Marktes lassen sich relativ gut prognostizieren, da fundamentale Bewertungskennzahlen wie das KGV-10 auf lange Sicht immer wieder zu ihrem historischen Durchschnittswert zurückkehren. Was aber können langfristige US-Investoren realistisch erwarten? Auf vergleichbare Bewertungsniveaus, wie wir sie aktuell sehen, folgten in der Vergangenheit auf Sicht von 15 Jahren in der Regel jährliche Wertsteigerungen von real lediglich 3 bis 4 Prozent – bei einem hohen Enttäuschungspotential.
Die Szenario-Analyse visualisiert, welche Wertsteigerungen in den vergangenen 130 Jahren auf vergleichbare Bewertungen folgten. Dabei wurde eine Inflation von einem Prozent sowie eine Wiederanlage von Dividenden unterstellt. Das Worst-Case-Szenario entspricht der jeweils niedrigsten Folgerendite, die jemals auf eine vergleichbare Bewertung folgte.
Anleger, die sich langfristig mit hohen Renditeerwartungen im US-Markt engagieren, sollten deshalb dafür gute Gründe vorweisen können, denn eine solche Entwicklung würde 130 Jahren Börsenerfahrung widersprechen. Dem Umstand, dass in wirtschaftlicher, technologischer und militärischer Hinsicht zunehmend auch andere Marktteilnehmer wie China erstarken und ein aus der US-Führungsrolle resultierender Bewertungsaufschlag zunehmend schwerer zu verteidigen ist, ist hierbei noch nicht einmal berücksichtigt, ebenso wenig die aus der ausufernden US-Staatsverschuldung resultierenden Risiken.
Und nicht nur das KGV-10, sondern auch alle anderen fundamentalen Indikatoren, die nachweislich einen starken Zusammenhang mit zukünftigen Aktienmarktrenditen aufweisen, mahnen zur Vorsicht. So ergeben das Kurs-Buchwert-Verhältnis und das Tobins-Q des US-Marktes Überbewertungen von 30 beziehungsweise 70 Prozent im Vergleich zur Aktienmarkt-Geschichte. Natürlich findet man Argumente dafür, dass diese Indikatoren die aktuelle Bewertung nur unzureichend widerspiegeln. Plausible Argumente – etwa die Einführung der Bahn, der Telefonie oder die Effizienzsteigerungen des Internets und der Globalisierung – gab es in jeder vergangenen Überbewertungsphase. Eine solche Argumentation nach dem Motto „Diesmal ist alles anders“ kam Investoren jedoch bislang stets teuer zu stehen.
Zumal es deutlich attraktivere Aktienmärkte gibt. Investoren bekommen aktuell beispielsweise solide und global aufgestellte Unternehmen aus Deutschland, China, Brasilien und Korea im Vergleich zu US-Unternehmen 40 bis 60 Prozent günstiger. Wir haben den US-Markt deshalb im Gegensatz zur Benchmark, die zu knapp 50 Prozent US-Titel enthält, stark untergewichtet.
Von: Carsten Krüger/Egon Wachtendorf
Quelle: DAS INVESTMENT.