Für Ökonomen sind der Atomstreit mit Nordkorea und der Brexit ideale Fallstudien für die Spieltheorie. Allerdings unterstellt diese, dass sich die Akteure rational verhalten. Zumindest bei US-Präsident Trump sind erhebliche Zweifel angebracht.
Im September zündete der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un seine 15. Rakete und ließ sie über Japan hinwegfliegen, bevor sie nach rund 2300 Meilen in den Pazifik stürzte. Kims Botschaft an Trump war, dass er damit auch in der Lage ist, den etwas näher gelegenen US-Militärstützpunkt auf der Pazifikinsel Guam zu erreichen. Die Antwort aus den USA kam prompt: Trump drohte Nordkorea in apokalyptischen Worten mit „Feuer und Zorn“, falls Kim sein Nuklearprogramm nicht stoppt. Steuert die Welt also auf einen Nuklearkrieg zu, oder bluffen hier zwei Hasardeure, um den Atompoker zu gewinnen?
Wirtschaftsnobelpreis für Spieltheorie
Mit der Frage der nuklearen Abschreckung befassen sich Konfliktforscher und Spieltheoretiker in der Ökonomie seit den Zeiten des Kalten Krieges. Einer von ihnen, Thomas Schelling, erhielt dafür 2005 sogar den Wirtschaftsnobelpreis.
Spieltheorie sei ein wirklich lustiger Name für sein Fach, sagte der im vergangenen Jahr verstorbene Ökonom damals in einem Interview. „Es geht darum, wie Menschen Entscheidungen treffen, wenn ihre beste Wahl davon abhängt, wie andere Menschen sich entscheiden.“
Das beschreibt den Showdown zwischen den USA und Nordkorea ziemlich gut. Der Stanford-Professor Tim Roughgarden vergleicht den Atompoker zwischen Trump und Kim mit dem Gefangenendilemma – eine Lage, in der zwei Akteure den Anreiz haben, sich gegenseitig zu verraten, es aber in ihrem besten Interesse wäre, zu kooperieren.
Gleichgewicht des Schreckens
Sowohl die USA als auch Nordkorea hätten einen gewissen Anreiz, den jeweils anderen mit einem atomaren Erstschlag zu überraschen. Da jedoch beide Seiten mit einem nuklearen Gegenschlag rechnen müssten, gebe es eben auch einen großen Anreiz zur Kooperation.
Dieser Selbsterhaltungstrieb hat schon im Kalten Krieg zu einem Gleichgewicht des Schreckens geführt. Allerdings hat Nordkorea noch nicht das Abschreckungspotenzial erreicht, das damals die Sowjetunion gegenüber den USA hatte. Es ist aber wohl genau Kims Ziel, mit Trump auf atomarer Augenhöhe zu verhandeln, um sein Regime zu retten.
Rationales Verhalten unterstellt
Die Spieltheorie unterstellt jedoch, dass sich die Akteure mehr oder minder rational verhalten. Hier bestehen erhebliche Zweifel, ob das auf Trump zutrifft. Der US-Präsident kann seine Affekte nicht kontrollieren. Immer wieder bricht es in emotionalen Twitter-Attacken aus ihm heraus. Das Verhalten von Kim dagegen ist im Sinne der Selbsterhaltung des Regimes durchaus folgerichtig und seit Jahrzehnten bekannt. Donald Trumps Verhalten ist dagegen weniger kalkulierbar.
Und darin liegt das Problem, denn damit die mathematischen Modelle der Spieltheoretiker überhaupt anwendbar sind, wird vorausgesetzt, dass jeder Akteur eine gute Vorstellung darüber hat, wie sich die andere Seite verhält. Genau das trifft für das nukleare Duell zwischen Trump und Kim eben nicht zu. So unberechenbar, wie der US-Präsident sein mag, über die Persönlichkeit und das Kalkül des nordkoreanischen Diktators wissen wir noch weniger.
Mindestmaß an Berechenbarkeit
So rätseln die Experten zum Beispiel darüber, wie stark Kim durch das Schicksal des libyschen Diktators Gaddafi beeinflusst wird, dessen Regime nach Aufgabe seiner Atomwaffenpläne unterging. Ohne ein Mindestmaß an Berechenbarkeit kann es zwischen Nordkorea und den USA kein stabiles Gleichgewicht des Schreckens geben, die Kriegsgefahr bleibt latent.
Brexit als Fallstudie für Modelle
Der Nuklearstreit mit Nordkorea ist aber nicht der einzige Konflikt, der die Spieltheoretiker derzeit fasziniert. Die Verhandlungen über das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU (Brexit) bieten den Ökonomen eine weitere Fallstudie für ihre Modelle.
Vor einem Jahr gab es noch gute Chancen für eine kooperative Lösung. Doch das hat sich grundlegend geändert: Im Augenblick scheint es vielmehr so zu sein, dass es zwischen London und Brüssel keine gemeinsame Zielmenge mehr gibt. Das Risiko, dass die Verhandlungen scheitern und beide Parteien 2019 ohne einen Vertrag auseinandergehen, ist hoch.
Trial-and-Error-Verfahren nicht hilfreich
Sollte es bei der kompromisslosen Haltung bleiben, könnte das schwere Zeiten für die Briten bedeuten. Das Land würde ohne Zugang zum europäischen Binnenmarkt auf den Status eines einfachen Mitglieds der Welthandelsorganisation (WTO) zurückgeworfen und müsste beim Warenverkehr mit der EU die üblichen Zölle zahlen.
Die Schuld liegt vor allem bei den Briten: Sie haben noch gar nicht begriffen, worum es geht, und haben auch keine Strategie. Erschwerend kommt hinzu, dass es Verhandlungen über einen Austritt aus der EU noch nie gegeben hat, und die Briten nicht unbedingt als große Strategen bekannt sind. In der Spieltheorie geht es jedoch genau um Verhandlungsstrategien, die darauf beruhen, dass man eine gute Vorstellung von den Handlungsoptionen der Gegenseite hat. Das britische Trial-and-Error-Verfahren ist hier nicht hilfreich.
Wirtschaftliche Folgen eines harten Brexits
So sind die Briten klar im Nachteil, und die EU hat eindeutig die Verhandlungsmacht. Sie bestimmt die Agenda und nutzt den Zeitdruck für sich. Zudem hat EU-Verhandlungsführer Michel Barnier geschickt die Deutungshoheit in den Medien erobert: Das Bild zu Verhandlungsbeginn zeigte die EU-Unterhändler mit dicken Aktenordnern, während die Briten mit leeren Händen am Verhandlungstisch saßen. Damit wollte Barnier signalisieren: Wir sind gut vorbereitet, die anderen nicht. Die Briten haben es bislang nicht geschafft, diesen ersten Eindruck zu korrigieren.
Hoffnungen, dass sich die Rest-EU mit ihren 27 Mitgliedsländern von London auseinanderdividieren lässt, sind wohl zum Scheitern verurteilt. Europa hat aus Griechenland gelernt und wird seine Einheit auf jeden Fall wahren. Das ist auch genau der Grund, warum die EU wohl eher eine kompromisslose Verhandlungsstrategie verfolgen wird.
Sollte Brüssel den britischen Wünschen nach freien Zugang zum Binnenmarkt, Einschränkung der Personenfreizügigkeit und Befreiung von Beitragszahlungen zu weit entgegenkommen, könnte dieses cherry picking andere EU-Länder zur Nachahmung verleiten. Auf der anderen Seite wären die wirtschaftlichen Folgen eines harten Brexits für die EU weit weniger gravierend als für die Briten. Brüssel sitzt einfach am längeren Hebel.
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Quelle: Das Investment