Die US-Notenbank dämmt die nach der Finanzkrise ausgelöste Geldflut immer stärker ein: Ihre mit Wertpapierkäufen aufgeblähte Bilanz soll ab Oktober schrumpfen und der Leitzins von bis zu 1,25 Prozent soll noch in diesem Jahr steigen. Das beurteilen wichtige Volkswirte unterschiedlich.
Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel
„Den Finanzmärkten steht ein Liquiditätsentzug ins Haus: Die US-Dollar-Geldmenge (die Zentralbankgeldmenge als auch die Geschäftsbankengeldmenge) wird geschrumpft. Das ist natürlich ein heikles Unterfangen.
Eine Geldverknappung wird die Zinsen in die Höhe treiben. Das wird die US-Konjunktur abbremsen und die Preise auf den Finanz- und immobilienmärkten belasten. Zudem wachsen die Risiken: Steigende US-Zinsen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es zu neuerlichen Erschütterungen im Wirtschafts- und Finanzsystem kommt – nicht nur in den USA, sondern weltweit. Die Folgen des geplanten US-Dollar-Liquiditätsentzugs lassen sich zwar an dieser Stelle nicht verlässlich abschätzen. Es spricht allerdings einiges dafür, dass die Fed-Politik den Außenwert des US-Dollar stützen, und dass sie gleichzeitig auch die Nachfrage nach Gold beleben wird.“
Martin Moryson, Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim
„Da der Bilanzabbau schon so lange angekündigt war, sollte es zunächst einmal nicht zu größeren Verwerfungen an den Märkten kommen.Obwohl die Inflationsraten noch vergleichsweise niedrig sind, stehen die Zeichen auf eine weitere Zinserhöhung im Dezember. Die Fed ist offenbar überzeugt, dass die Philippskurve noch gilt, und es lediglich länger braucht, bis sich der negative Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit in den Daten zeigt. Für die kommenden Jahre bleibt eine sehr große Diskrepanz zwischen den Leitzinserwartungen der Fed und denen der Märkte. Wenn sich diese Lücke schließt, kann es noch einmal sehr unruhig an den Märkten werden.“
Rudolf Besch,Volkswirt der Deka-Bank
„Die Zinserhöhung im Dezember wird trotz der zu niedrigen Inflationsrate weiterhin von einer breiten Mehrheit innerhalb des Federal Open Market Committee (FOMC) präferiert. Diese breite Mehrheit ist durchaus etwas überraschend. Bereits die Konsumentenpreise für August haben gezeigt, dass die Serie an negativen Preisüberraschungen keinen dauerhaften Bestand haben muss. Sollten die Preisdaten in den kommenden zwei Monaten nahezu erwartungsgemäß ausfallen, dann dürfte die Fed vermutlich beim Zinsentscheid im Dezember die dritte Zinserhöhung in diesem Jahr beschließen. Der Ausblick darüber hinaus bleibt auch deswegen vage, weil die mögliche Nachfolge von Janet Yellen als Zentralbankchefin ungeklärt ist.“
Antoine Lesné, Leiter der Abteilung EMEA Strategy and Research for SPDR ETF bei State Street Global Advisors© State Street
„Wie erwartet und im Laufe des vergangenen Monats signalisiert, lässt die Fed jetzt Worten Taten folgen und wird als erste Zentralbank beginnen, ihre Bilanz zu verkürzen. Bei diesem bereits teilweise eingepreisten Prozess wird sie sorgfältig und langsam vorgehen.Die Anpassung der Geldpolitik geschieht vor dem Hintergrund steigender Inflationszahlen, die auch die Wahrscheinlichkeit einer Leitzinserhöhung im Dezember wieder erhöhen dürften. Abgesehen davon fielen die Wirtschaftsdaten jedoch weniger eindrucksvoll aus. Insgesamt bleibt die Fed bei ihrer vorsichtigen und ausgewogenen Haltung. Die erwartete Wirkung der Bilanzverkürzung ist relativ gering. Erst wenn die EZB beginnt, ihre monatlichen Anleihekäufe allmählich zu verringern, dürfte sich dies allmählich auf die Zinsspannen auswirken. Zum jetzigen Zeitpunkt bevorzugen wir unverändert Kreditanleihen gegenüber US-Staatsanleihen, wobei wir eher vorsichtiger in Bezug auf das Laufzeitrisiko sind.“
Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW© Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim
„Die Entschlossenheit der Fed, die Normalisierung der Geldpolitik voranzutreiben, ist zu begrüßen. Der nun konkreter absehbare Bilanzabbau mindert das Risiko, dass Donald Trump seine geplanten Steuersenkungen mit der Notenpresse finanzieren kann. Obwohl sich die Inflationsraten der USA (1,9 Prozent im August 2017) und der Eurozone (1,5 Prozent) nur wenig unterscheiden, agieren Fed und Europäische Zentralbank (EZB) damit derzeit völlig unterschiedlich. Während die Fed handelt, verzögert die EZB den Exit. Der geldpolitische Kontrast zwischen den USA und der Eurozone ist heute noch schärfer geworden. Der Druck auf den EZB-Rat, im Oktober endlich zu handeln, ist dadurch weiter gewachsen.“
Ulrich Gerhard, Senior Portfolio Manager im Anleihenteam von Insight Investment, einer Boutique von BNY Mellon IM© BNY Mellon Investment Management
„Das konjunkturelle Umfeld in Europa und in den USA ist für die Anlageklasse Hochzinsanleihen momentan günstig. Gleichzeitig ist das Wachstum zwar so kräftig, dass die Unternehmen florieren und die Gewinne ansteigen können, aber nicht so hoch, dass es die Inflation deutlich anheizen würde. Somit sind Notenbanken wie die EZB in der Lage, ihre Geldmarktpolitik schrittweise wieder zu normalisieren. Parallel dazu sind die Cashflows auf Unternehmensebene angesichts des aktuellen Umfelds insgesamt solide, während die vergleichsweise lockeren Covenants bei gehebelten Krediten verhindern, dass die Banken einfach den ‚Geldhahn zudrehen‘ können, falls sich die Fundamentaldaten verschlechtern sollten. Davon profitieren in nachrangigen Anleihen investierte Anleger. Darüber hinaus sind die Zinsdifferenzen im historischen Vergleich momentan zwar eng, doch daran dürfte sich wegen der derzeit beispiellos niedrigen Ausfallraten wohl kaum etwas ändern. Ein deutlicher Unterschied zwischen dem aktuellen Marktumfeld und der Phase vor der globalen Finanzkrise besteht darin, dass zurzeit keine aggressiven Leveraged Buyouts von Private Equity-Gesellschaften zu beobachten sind. Vielmehr werden Hochzins-Unternehmen oder deren Vermögenswerte zurzeit im Allgemeinen eher von Firmen mit Investmentstatus aufgekauft, die Private Equity-Unternehmen dank ihrer extrem niedrigen Finanzierungskosten mühelos überbieten können. Nach der Finanzkrise waren ‚gefallene Engel‘ (also bedeutende Unternehmen, deren Bonität auf unterhalb Investmentstatus nachgegeben hatte) ein zentrales Investmentthema. Viele der bekanntesten ‚gefallenen Engel‘ wie etwa die Telecom Italia, Anglo American, Heidelberg Cement und Lafarge erholen sich aber allmählich wieder oder haben ihren Investmentstatus sogar bereits zurückerlangt.“
Andreas A. Busch, Senior Analyst Economic Research bei Bantleon
„Wie wir bereits mehrfach erläutert haben, halten auch wir die aktuelle Inflationsschwäche für ein vorübergehendes Phänomen. Im Zuge eines anhaltenden Konjunkturaufschwungs und wieder zulegender Kerninflationsraten sollte die Fed daher tatsächlich im Dezember (wenn die nächste FOMC-Sitzung mit Pressekonferenz ansteht) die Zielbandbreite für die Leitzinsen um 25 Basispunkte (Bp) auf 1,25 Prozent bis 1,50 Prozent anheben und im kommenden Jahr drei weitere 25-Bp-Schritte folgen lassen. Die Geldterminmärkte haben aber in diesem Jahr einen 25-Bp-Schritt – trotz Korrektur im Nachgang der gestrigen Fed-Sitzung – nur zu rund zwei Drittel eingepreist und messen einem weiteren 25-Bp-Schritt im nächsten Jahr ebenfalls eine Wahrscheinlichkeit von lediglich 60 Prozent bei. US-Treasuries könnten somit im kommenden Jahr von dieser Seite unter Druck geraten. Vor allem dann, wenn die Konjunkturdaten deutlich positiv überraschen und die Inflationsraten schnell nach oben drehen.“
Uwe Burkert, Chefvolkswirt und Leiter des Bereichs Research der Landesbank Baden-Württemberg
„Die US-Währungshüter konstatierten in ihrer geldpolitischen Lagebeurteilung, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter verbessert habe, die Inflation bewegt sich dagegen weiterhin unterhalb des Zielwerts der Fed. Insgesamt sieht man im FOMC die Risiken für den mittelfristigen Ausblick weiterhin als „weitgehend ausgewogen“ an, den jüngsten Wetterextremen spricht die Fed mithin nur kurzfristige Wirkungen zu. Die Inflationsentwicklung will sie weiterhin „genau beobachten“ – eine unveränderte Einstufung gegenüber der Juli-Sitzung. Die aktualisierten Leitzinsprojektionen der FOMC-Teilnehmer („dots“) sehen den Tagesgeldsatz per Ende 2017, wie im Juni, bei 1,375 Prozent, entsprechend einem Zielband von 1,25 Prozent – 1,50 Prozent und per Jahresende 2018 bei 2,125 Prozent. Der neutrale Leitzins wird mit 2,75 Prozent allerdings etwas niedriger gesehen als im Juni (3 Prozent).“
Luke Bartholomew, Investment Stratege bei Aberdeen Standard Investments
„Die Fed hat ein deutliches Signal gegeben, dass ein Zinsschritt im Dezember weiter auf dem Tisch liegt. Aber es dürfte für Investoren schwierig werden, allzuviel Vertrauen in diese Vorhersage zu legen, zumal der Fed jede Menge Zeit bleibt, die Meinung noch einmal zu ändern. Sicherlich glaubt die Fed weiter daran, dass die niedrige Arbeitslosigkeit letztendlich in einen Anstieg der Inflation münden wird. Aber wenn die Inflation weiterhin unter den Erwartungen bleibt, ist eine Umsetzung der Zinserhöhung durch die Fed kaum wahrscheinlich. Über den Dezember hinaus ist die Geldpolitik noch größerer Unsicherheit unterworfen, da wir abwarten müssen, wen Trump für die Fed berufen wird. Die Fed muss eine Strategie vorlegen, wie sie die Geldpolitik in einer Welt handhaben will, in der die Inflation und der Arbeitsmarkt nicht mehr wie in der Vergangenheit interagieren. Die Phillips-Kurve ist nicht tot, aber sie scheint nur noch hinterherzuhinken. Die Fed muss entscheiden, ob sie diese aufgibt oder nicht. Das ist derzeit noch kein Problem der Glaubwürdigkeit, aber es wird eines werden, wenn dieser Pfad fortgesetzt wird. Im nächsten Jahr stehen viele Veränderungen bei der Fed an. Die Investoren werden hoffen, dass sich hieraus am Ende ein klareres Bild bezüglich der Inflation ergeben wird.“
Ralf Müller-Rehbehn, Leitung Portfoliomanagement Aktien bei AMF Capital
„Eine US-Zinserhöhung zum gegenwärtigen Zeitpunkt war unwahrscheinlich – und sie kam gestern auch nicht. Mehr Klarheit gab es über die Zinsstrategie und Dynamik der kommenden Zinserhöhungen. Hinzu kam Informationsbedarf bezüglich der Verringerung der Fed-Bilanz: sie hat derzeit ein Volumen von knapp 4,5 Billionen US-Dollar. Das Auslaufen des Anleihekaufprogramms („Tapering“) nähert sich: Die Europäische Zentralbank kauft für zurzeit 60 Milliarden Euro pro Monat Anleihen an („Quantitative Easing“, QE). Nun beginnen Gedankenspiele, wie die Effekte des Taperings abgemildert werden könnten. Eine Lösung aus unserer Sicht: die Wiederanlage der fälligen Verbindlichkeiten, die bisher im Rahmen des QE erworben wurden. Diese Anleihe-Reinvestitionen durch die EZB könnten als eine Art „Stoßdämpfer“ wirken. Im Durchschnitt werden in 2018 Anleihen in Höhe von etwa 15 Milliarden Euro pro Monat fällig – ein Effekt, der sicherlich in den kommenden Wochen stärker beachtet werden muss. Hierdurch könnte die Auswirkung entschärft werden, die Reduzierung der Rückkäufe könnte der Zinsstrukturkurve zu-künftig einen steileren Verlauf geben.“
François Rimeu, Head of Cross Asset & Total Return bei La Française
„Das Ergebnis der letzten FOMC-Sitzung entspricht unseren Erwartungen. Wie vermutet wurde die Entscheidung angekündigt, die Bilanz zu reduzieren. Dies überraschte den Kapitalmarkt nicht. Die Zinsprognosen („Dots“) bekräftigen die Absicht des Komitees, die Zinsen in diesem Jahr noch einmal und im nächsten Jahr drei weitere Male anzuheben. Darüber hinaus – und das ist vielleicht die wichtigste Neuigkeit – schien die Fed nicht sonderlich besorgt über die niedrige Inflation und sprach von „vorübergehenden Auswirkungen“. Die Fed glaubt noch immer an eine allmähliche Rückkehr zu einer Inflationsrate von 2 Prozent. Konjunkturprognosen wurden nach oben revidiert – das Wachstum im Jahr 2017 wurde auf 2,4 Prozent geschätzt (zuvor: 2,2 Prozent) und die Prognose der mittleren Arbeitslosenquote für die Jahre 2018 bis 2019 ist um ein Zehntel auf 4,1 Prozent gesunken. Die einzige wesentliche Änderung gegenüber vorherigen Aussagen bezog sich auf Schwierigkeiten in Bezug auf die Hurrikans in den USA. Aber wie wir bereits im Vorfeld vermutet hatten, bekräftigte die Fed, dass „vergangene Erfahrungen darauf hindeuten, dass die Hurrikans den Kurs der nationalen Wirtschaft mittelfristig nicht wesentlich verändern werden“. Zusammenfassend sind die Aussagen des FOMC etwas kämpferisch, aber haben nicht zu einer großen Neubewertung geführt.“
Auf seiner Sitzung am Mittwoch hat der Offenmarktausschuss der US-amerikanischen Zentralbank Fed den Leitzins wie erwartet unverändert gelassen: Die Federal Funds Rate bleibt in einer Bandbreite von 1,0 bis 1,25 Prozent. Die Zins-Einschätzungen der Ausschussmitglieder lassen erwarten, dass die Fed ihren Leitzins im Dezember um 0,25 Prozent anheben wird. Zudem hat die US-Notenbank angekündigt, sie werde die Wertpapierbestände ab dem kommenden Monat abbauen.
Von: Christian Hilmes
Quelle: Das Investment