Was raten Geld-Spezialisten ihren Kunden, und wie begegnen sie den aktuellen Herausforderungen des Marktes? DAS INVESTMENT lässt Top-Berater aus allen Teilen Deutschlands antworten.
Niedrigzinsen ohne Ende, immer schneller folgende Wirtschaftskrisen in wichtigen Teilmärkten, andauernde politische Querelen in Griechenland und der Ukraine, die Sorge um den Euro, und über allem schwebt ein unabwendbares Regulierungsmonster – es gibt in der Finanzbranche mit Sicherheit einfachere Herausforderungen, als derzeit als engagierter Vermögensverwalter seine Kunden nachhaltig und erfolgreich zu beraten.
Das Geschäft mit der individuellen Beratung vermögender Privatkunden ist wesentlich komplexer geworden. Früher konnten die Gewinne an den Aktienmärkten in unsicheren Börsenphasen durch festverzinsliche und sichere Wertpapiere abgesichert werden. „Das erwirtschaftete Ergebnis lag damals im schlechtesten Fall bei 5 Prozent, diese Zeiten sind schon lange vorbei“, sagt Heiko Löschen, Vermögensverwalter bei Mademann & Kollegen in Hamburg.
Viele Anleger müssten schmerzlich erkennen, dass ihre langfristige Planung in der veränderten Welt von heute nicht mehr aufgeht. „Aktuell berate ich einen Mandanten, der sein Unternehmen an seinen Sohn übergeben hat. Der Senior möchte dem Junior nicht zu viel abknöpfen, damit die finanzielle Belastung nicht zu hoch ist. Er hat aber bereits vor einigen Jahren ausgerechnet, dass er einen deutlich höheren Preis fordern müsste, um seinen Lebensabend entspannt aus dem Verkaufspreis sichern zu können“, schildert Löschen einen beispielhaften Fall aus seiner Beratungspraxis. Dieses Dilemma besteht vielerorts: Jahrelang sicher geglaubte Pläne werden Makulatur, die Niedrigzinsen beeinflussen die Beratung massiv.
Eine Frage des Risikos
„Im Beratungsprozess geht es jetzt um das gesamte Spektrum der Kapitalmärkte. Flexibilität, realistische Rendite-Erwartungen und eine Annäherung an das Thema Risiko und dessen Definition sind existenziell wichtig“, beschreibt Löschen das Vorgehen. Doch deutsche Anleger gelten im internationalen Vergleich als höchst risikoscheu, insbesondere bei langfristigen Anlagen – eine schwierige Aufgabe für die Vermögensexperten.
„Wir gehen in der Praxis so vor, dass wir gemeinsam mit dem Kunden und seinen persönlichen Risikoneigungen den Maßanzug für das jeweilige Depot erarbeiten. Einem extrem risikoaversen Kunden zeigen wir die klaren Konsequenzen auf, was am Ende auch bedeuten kann, dass man keine Anlage unternimmt“, erläutert Rolf Kazmaier von der Stuttgarter Vermögensverwaltung SVA. Wahrheit und Klarheit seien absolute Voraussetzungen für die Übernahme eines Mandats.
Denn vielen Kunden ist überhaupt nicht klar, was Risiko eigentlich bedeutet – die Definition von Risiko und Sicherheit muss der Vermögensverwalter im Kontext des individuellen Anlageziels daher möglichst plakativ herausarbeiten. „Risiko drückt sich für uns nicht zwangsläufig durch eine hohe Volatilität innerhalb des tolerierten Zeithorizonts des Kunden aus. Viel entscheidender ist die Frage, ob sein Anlageziel am gewünschten Laufzeitende erreicht wird oder nicht“, sagt Markus Kohl, Carl von Rohrer Vermögensverwaltung.
GRAFIK: Woran sparen Deutsche, wenn das Geld knapp wird?
Das kann zum Beispiel bedeuten, dass eine höhere Aktienquote in wenig konjunkturabhängigen Branchen für diese Kunden zielführender ist, bevor sie eine zu hohe Gewichtung etwa in bonitätsschwachen Renten eingehen. „Es geht verstärkt darum herauszufinden, wie Kunden selbst Risiko und Sicherheit definieren und ob es dafür Lösungsansätze gibt“, so Kohl. Bei null Risikotoleranz muss folgerichtig das Mandat abgelehnt werden. Wird das Mandat angenommen, steht nach dem Risikoprofil die optimale Asset Allocation für die Ziele des Kunden im Fokus.
DAS INVESTMENT hat in Kooperation mit dem Finanzplaner Forum vier Vermögensverwalter unterschiedlicher Größe und eine Privatbank um ein Gesamtportfolio ihrer Kunden gebeten und diese auf diesen Seiten in Kästen einzeln zusammen mit ihrer Beratungsphilosophie dargestellt. „In einer Welt, in der der risikolose Zins abgeschafft ist und sich selbst geringe Rendite nur noch über Inkaufnahme eines gewissen Risikos erzeugen lässt, ist es unabdingbar, verstärkt Kasse zu halten, um sich ergebende Chancen effizient zu nutzen“, nennt Thilo Stadler, Independent Capital Management (I.C.M.) Vermögensberatung in Mannheim, ein wichtiges Kennzeichen zeitgemäßer Anlagestrategien.
„Aufgrund zunehmender Ungewissheit, immer höheren Indexständen, hohen Multiples und der besseren Down-Side-Protection bleibt der Multi-Asset-Fonds gefragt“, sagt Thomas Kemming von Merck Finck & Co in München. Der Privatbanker nennt zudem aktive Fonds mit Investitionsquotensteuerung sowie ETFs als kostengünstige Möglichkeit, einen Index schnell und sicher abzubilden, als die derzeit maßgeblichen Produkttrends.
Kein Nachlaufen von Trends
Die Vermögensverwalter außerhalb der Banken hingegen sprechen nicht gern über Produkttrends. „Trends sind nicht zuverlässig vorhersehbar, daher sollte man als Vermögensverwalter am besten eine für sich überzeugende Geschäftspolitik verfolgen, um nicht andauernd dem Zeitgeist nachzulaufen“, so Markus Kohl, Carl von Rohrer. „Die meisten Produktinnovationen bieten dem Kunden unter Berücksichtigung der enthaltenen Kosten ohnehin nur einen begrenzten Mehrwert.
Die Branche sollte sich viel stärker am Kunden orientieren und jeweils individuelle Betreuungsstrategien ableiten. Produkte sollten hierbei das letzte Glied in der Kette sein“, sekundiert Stadler von der I.C.M. Vermögensberatung. Die Carl von Rohrer Vermögensverwaltung plädiert daher für regelbasierte Strategien, die sich an nachhaltigen Kriterien orientieren. Der Vorteil: „Irrationale Einflüsse lassen sich wirksamer reduzieren. Ein solches Vorgehen erfordert eine Portion Beharrlichkeit und Ausdauer, zahlt sich jedoch langfristig aus“, so Kohl.
Zufriedenheit und gute Aussichten
Trotz des schwierigen Marktumfelds scheinen die unabhängigen Vermögensverwalter gut gerüstet und blicken recht zuversichtlich in die Zukunft. Eine aktuelle Studie des Instituts für Vermögensverwaltung (InVV) befragte im Frühjahr 2015 insgesamt 121 und damit knapp ein Drittel der deutschen Finanzportfolioverwalter. Acht von zehn befragten Vermögensexperten hatten in den vergangenen sechs Monaten neue Kunden gewonnen. Neun von zehn Vermögensverwaltungen verzeichneten eine Zunahme des Kundenvermögens.
GRAFIK: Woher gewinnen Vermögensverwalter Kunden?
Die Zahl der unabhängigen Vermögensverwalter indes stagniert seit Jahren. Als Gründe werden der vergleichsweise hohe zeitliche und organisatorische Aufwand für die Erlaubnis nach KWG genannt sowie das Problem mit der maroden Entschädigungseinrichtung EdW, die chronisch unterfinanziert immer noch mit dem elf Jahre zurückliegenden Phoenix-Skandal (600 Millionen Euro Schaden) zu kämpfen hat und eifrig Sonderzulagen erhebt. „Die umstrittene Umlageregelung der EdW behindert enorm die Fähigkeit der Unternehmen zur Bildung von Gewinnrücklagen. Das somit nur begrenzt erhöhbare Eigenkapital bremst das Wachstum der gesamten Branche“, bestätigt Wolfgang Stadler, geschäftsführender Gesellschafter der I.C.M. Firmensitzverlegungen ins benachbarte EU-Ausland seien an der Tagesordnung, eine politische Lösung trotz unermüdlicher Lobbyarbeit des Verbands unabhängiger Vermögensverwalter VuV nicht in Sicht.
Laut der InVV-Umfrage bietet fast die Hälfte der Vermögensverwalter eigene Investmentprodukte an, etwa vermögensverwaltende Fonds. Diese kommen bei einem Viertel der Kunden zum Einsatz – ein klarer Hinweis für ein zielgerichtetes Vorgehen. „Vermögensverwaltungen legen eigene Produkte in der Regel erst dann auf, wenn sie sich ausreichend Expertise erarbeitet haben und diese erfolgreich anwenden können“, interpretiert Professor Hartwig Webersinke, Leiter des InVV und Initiator der Studie, die Ergebnisse seiner Befragung.
Skaleneffekte vorhanden
Webersinke und sein Team haben eine Reihe von Thesen durch die Studie belegt. Standardisierte Vermögensverwaltung ist demnach schon ab einem Mindestvolumen des Kunden in Höhe von 50.000 Euro zu haben. Individuelle Vermögensverwaltung beginnt bei kleineren Vermögensverwaltungen bei 100.000 Euro, bei größeren Unternehmen sind es 250.000 Euro. Größe, sprich verwaltetes Volumen, spielt dabei eine zunehmend wichtige Rolle für die Rentabilität.
„Mit wachsendem Volumen steigt die Eigenkapitalrendite deutlich, das wird durch die zunehmende Regulierung verstärkt“, sagt Webersinke. Größere Unternehmen können einfacher Mitarbeiter abstellen, die sich um ausufernde Berichts- und Dokumentationspflichten kümmern können, während sich die Berater auf das Portfoliomanagement und die Kundengespräche konzentrieren. In kleinen Unternehmen ist dies zwangsläufig oft alles in einer Person vereint und daher problematisch.
Die von DAS INVESTMENT befragten Marktteilnehmer sehen das ähnlich. Gesetzliche Neuerungen, die den Verbraucherschutz durch branchenweite Regelungen verbessern, werden allgemein begrüßt.
Doch der Teufel steckt im Detail: „Es wird dann schwierig, wenn Regelungen, die einzelne schwarze Schafe treffen sollten, für alle zu einem immensen Verwaltungsaufwand führen. Die daraus resultierenden Kostensteigerungen verringern am Ende die Angebotsvielfalt und die Qualität, und die Regelungen verfehlen ihr Ziel“, so Matthias Ende von Merck Finck & Co.
Überregulierung erschwert Beratung
Die Folgen in der Branche können aus Kundensicht langfristig kontraproduktiv sein. Überzogene aufsichtsrechtliche Hürden führen dazu, dass die Finanzbranche zunehmend in Produktkategorien denkt und nicht in Lösungsansätzen. „Die Folge ist eine Fehlallokation in der gesamten Infrastruktur der Organisationseinheiten vieler Anbieter. Die Umsetzung aller Vorgaben, wie übertriebene Dokumentationspflichten, erfordern höheres Personalaufkommen und dadurch höhere Kosten. Dem steht oftmals ein sehr beschränkter Kundennutzen gegenüber. Kunden sind enttäuscht, weil sie den Sinn und Zweck der überbordenden Administration nicht erkennen können“, sagt Markus Kohl, Carl von Rohrer Vermögensverwaltung.
GRAFIK: Wie hat sich der Zeitaufwand für regulatorische Maßnahmen verändert?
Der Gesetzgeber unterscheidet bisher kaum zwischen großen Instituten und kleinen Einheiten. Das regulatorische Anforderungsprofil gilt für beide gleichermaßen, obwohl die Kapazitäten ungleich verteilt sind. „Eine kleine Vermögensverwaltung steht heute schon am Rand der Kapazität. Sehr viele Arbeits- und Prüfungsschritte sind doppelt angelegt. Zudem wurde das Prüfungswerk ständig erweitert. Es ist an der Zeit, über eine Verschlankung nachzudenken“, betont Rolf Kazmaier, SVA Vermögensverwaltung.
Mehr Präzision seitens der Politik in Regulierungsfragen wünschen sich daher viele Marktteilnehmer: „Wir werden von der Gesetzgebung sehr häufig in einen Topf mit nicht geprüften und nicht überwachten und nicht regulierten Finanzberatern geworfen, und das entspricht weder der Wahrheit, noch ist dies im Sinn der renditesuchenden Anleger“, ärgert sich Heiko Löschen, Mademann & Kollegen.
Eine Konsolidierung in der Branche ist zu erwarten – auch aufgrund der zunehmenden technischen Erfordernisse: „Elektronische und digitale Vermögensverwaltung wird im Netz bereits angeboten, der Preisdruck nach unten wird dadurch verstärkt. Viele Vermögensverwalter müssen sich Gedanken machen, über Konzentration Marktstärke zu erlangen. Wir erwarten sowohl Übernahmen als auch freundliche Zusammenschlüsse in den nächsten Jahren“, prognostiziert Kazmaier von der SVA Vermögensberatung.
Mehr Transparenz durch Mifid II
Noch ist kein Ende der Regulierungselle in Sicht – so wird die neue Finanzmarktrichtlinie Mifid II, die zu Januar 2017 in Deutschland umgesetzt sein muss, weitere Anpassungen bringen. Zum Beispiel dürfen sich künftig Vermögensverwalter, soweit sie Anlageberatung erbringen, nur noch dann unabhängig nennen, wenn sie ihre Expertise über diverse Finanzinstrumente und Emittenten streuen und keine enge Verbindung zu den Anbietern unterhalten.
„Sie müssen ein eigenes, unabhängiges Research und Monitoring unterhalten und nachweisen, dass sie aus einem breiten Marktangebot den individuellen Kundenbedürfnissen entsprechende Produkte ausgewählt haben. Dabei dürfen sie keinerlei Zuwendungen von dritter Seite erhalten“, erläutert Andreas Grünewald, Vorsitzender des Verbands Unabhängiger Vermögensverwalter VuV.
Es steht zu erwarten, dass sich Anbieter von vermögensverwaltenden Fonds aufgrund der Vorgaben von Mifid II künftig weiter aus der Anlageberatung zurückziehen und sich auf eine beratungsfreie Vermittlung ihrer eigenen Fondsprodukte beschränken, innerhalb derer eine Streuung gut dargestellt werden kann. Große Einheiten können die Vermittlung der Produkte über eigene exklusive Vertriebsorganisationen bewerkstelligen.
GRAFIK: In welche Vermögensklassen wird investiert?
Wie sehr die strukturellen Eingriffe den Markt verändern, wird erst nach der Umsetzung des deutschen Gesetzgebers klar werden. Bereits seit der letzten Regulierungswelle ist die Anlageberatung akut vom Aussterben bedroht. Praxisferne Vorgaben des Gesetzgebers bei der Be- und Nachbearbeitung von Beratungsgesprächen haben dazu geführt, dass diese Dienstleistung vielerorts aus dem Angebot verschwindet.
Mehr Profil gefordert
Statt der individuellen Wertpapierberatung werden künftig Fondslösungen und Vermögensverwaltungsmandate dominieren. Das Credo von Carl von Rohrer: Vermögensverwalter müssen in Zukunft ihr Profil schärfer herausarbeiten, um bestehen zu können. So könne man beispielsweise als Spezialist für bestimmte Asset-Klassen oder Dienstleistungen auftreten oder ganz bewusst bestimmte Kundengruppen ansprechen.
„Wir glauben nicht, dass kleine Orga-Einheiten, wie wir es sind, mehr Nachteile haben werden als mittelgroße Gesellschaften. Die Organisationsstrukturen sind nicht so komplex, und man kann rascher auf Kundenwünsche reagieren“, so Kohl. Dies erfordere allerdings ein überdurchschnittliches Engagement jedes Mitarbeiters.
Diese extrem motivierten Berater müssen erst einmal geworben werden. „Neue Private Banker finden wir in der Regel über Personalberatungen; Nachwuchskräfte kommen teilweise auch aus den eigenen Reihen“, berichtet Matthias Ende über das Recruiting bei Merck Finck & Co. „Bei der Auswahl kommt es darauf an, dass der Kandidat ein Typ ist. Er muss profunde Kenntnisse im Anlagegeschäft aufweisen und die Fähigkeit haben, Menschen zuzuhören und sie langfristig begleiten zu wollen“, ergänzt Löschen.
Berufsziel Vermögensverwalter
Bis heute gibt es keinen klassischen Karriereweg zum Vermögensverwalter. „Meist wird nach wie vor eine klassische Banklehre und ein Studium der Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre mit starker praktischer Ausrichtung empfohlen“, sagt Guido Küsters, der als Gründer des Finanzplaner Forums regelmäßig Weiterbildungen organisiert.
Denn ohne umfassende Praxiserfahrung kann man in der Vermögensverwaltung nicht reüssieren. „Ein finanzplanerischer Hintergrund erlaubt es einem Vermögensexperten, über den Tellerrand der Vermögensverwaltung hinaus auch die Komplexität der gesamten Vermögensstruktur zu verstehen und beratend begleiten zu können“, nennt Küsters das Top-Argument für die häufige Verbreitung des Finanzplaners in der Vermögensverwaltung.
Von: Oliver Lepold
Quelle: DAS INVESTMENT.