SJB | Korschenbroich, 03.02.2014. Warum asiatische Aktien gar nicht so günstig sind wie sie erscheinen, erklärt Tanguy Kamp, Fondsmanager bei BLI. Analysten, die die asiatischen Märkte positiv beurteilen, untermauern ihre Einschätzung häufig mit Grafiken zu den durchschnittlichen asiatischen KGVs (Kurs-Gewinn-Verhältnis). Aus dem Vergleich dieser KGVs mit den US-amerikanischen oder europäischen KGVs leiten sie eine allgemeine Unterbewertung Asiens ab.
Diese Schlussfolgerung soll aufgrund der Indexzusammensetzung allerdings relativiert werden. In den Schwellenländern besteht der größte Teil der Indizes aus Unternehmen, die im Finanzsektor und in der Rohstoffbranche tätig sind.
Besonders deutlich tritt diese Tatsache beim Index der in Hongkong notierten chinesischen Werte zutage (Hang Seng China Enterprise Index – HSCEI). Der HSCEI wird ungefähr mit dem 7-Fachen der 2014 erwarteten Gewinne gehandelt, was zunächst auf eine sehr günstige Bewertung chinesischer Aktien hindeutet.
Doch im Grunde ergibt sich dieses Niveau vor allem aus der starken Gewichtung der Finanzwerte (62,5 Prozent) innerhalb des Index. Diese Aktien handeln in etwa mit ihrem Eigenkapital sowie etwa dem 5-Fachen der erwarteten Gewinne.
Nach Einschätzung vieler Experten schlummern in den Bilanzen dieser Institute jedoch zahlreiche uneinbringliche Forderungen, sodass die Kennzahlen keine reale Aussagkraft besitzen. „China kaufen“, weil das Bewertungsniveau niedrig ist, stellt folglich ein Trugschluss dar – ohne Finanzwerte ist der Index wesentlich teurer bewertet.
Warum haben Zulieferer häufig niedrige Bewertungskennzahlen?
In Asien gibt es zahlreiche Unternehmen, die in den Produktionsketten ganz unterschiedlicher Produkte tätig sind. Von technisch hochanspruchsvollen Geräten (zum Beispiel Tablets, Smartphones) bis hin zur eher einfachen Artikeln (Kleidung, Schuhe und vieles mehr).
Oft sind es Zulieferer großer bekannter Marken, wie beispielsweise Apple oder Nike. Diese Zulieferfirmen befinden sich ganz unten in der Wertschöpfungskette, wo die Margen am geringsten sind.
Auf der Ebene der sogenannten „Plattform-Unternehmen“ wie Apple und Nike hingegen werden deutlich höhere Gewinne erzielt. Meist handelt es sich bei den Plattform-Unternehmen um in den USA, Europa oder Japan ansässige Firmen, die Vertrieb, Forschung und Entwicklung (FuE), Design und Logistik selbst übernehmen, während Produktion und Montage an Unternehmen in Asien ausgelagert werden.
Letztere produzieren häufig für einen einzigen Kunden und verfügen über keinen wirklichen Wettbewerbsvorteil. Da die Zulieferer die kapitalintensiven Produktionsstätten finanzieren müssen, haben sie einen deutlich höheren Kapitalbedarf als die Plattform-Unternehmen. Außerdem hängen sie wesentlich stärker von den verschiedenen Konjunkturzyklen ab.
Während Apple oder Nike bei einer Wachstumsverlangsamung die Zulieferer anweisen kann, ihre Produktion zu drosseln, ohne dass es im eigenen Haus (Marketing, Logistik, FuE) allzu große Auswirkungen hat, bedeutet dies in Asiens Fabriken unter Umständen Produktionsstopp und Kündigungen.
Deshalb ist für viele asiatische Unternehmen eine geringe Gewinntransparenz sehr typisch – genau wie der hohe Investitionsbedarf, die starke Abhängigkeit vom Konjunkturzyklus sowie die geringen Margen. Dies erklärt die häufig niedrigen Bewertungskennzahlen solcher Zuliefererunternehmen.
Als Fondsmanager von BLI suche ich Unternehmen mit Wettbewerbsvorteilen, guten Eigenkapitalrenditen sowie einer hohen Gewinntransparenz – und das Vorangehende zeigt auf, was unsere Aufgabe so kompliziert macht.
Universal Robina, Want Want, Thai Bev und Dairy Farm
Doch glücklicherweise gibt es solche Unternehmen in Asien. Sie sind vor allem im Lebensmittelbereich (Universal Robina auf den Philippinen, Want Want in China), aber auch im Getränkesektor (zum Beispiel Thai Bev in allen ASEAN-Staaten) oder im Einzelhandel (Dairy Farm, das auf dem gesamten asiatischen Kontinent tätig ist) zu finden.
Im Bereich der neuen Technologien konnten sich Unternehmen wie Baïdu, Tencent und Naver im Internetmarkt Chinas und Koreas als starke Player positionieren. Mit Russland (Yandex), China (Baïdu) und Südkorea (Naver) gibt es nämlich nur wenige Märkte, auf denen Googles Top-Position als Suchmaschine von anderen beansprucht wird.
Diesen Unternehmen ist es jedoch gelungen, eine Marke zu etablieren und sich an die Eigenheiten der lokalen Verbraucher anzupassen. Oftmals konnten sie über die Jahre auch Vertriebsnetze aufbauen, die bei einer Präsenz auf so riesigen Märkten wie China (1,3 Milliarden Menschen) oder Indonesien (280 Millionen) unverzichtbar sind.
In der Regel haben diese Unternehmen sehr solide Bilanzen – oft mit einer Netto-Cash-Position, das heißt die Aktiva übersteigen die Verpflichtungen. In diesem Fall lässt sich der Wettbewerbsvorsprung leichter identifizieren, und sie sind gut gerüstet, um sich gegen den Markteintritt multinationaler ausländischer Gesellschaften zu verteidigen.
Ihre Bewertung übersteigt normalerweise den Durchschnitt, was jedoch auch nachvollziehbar ist – die Anleger erkennen an, dass für qualitativ hochwertige Unternehmen ein Aufschlag gerechtfertigt ist. Denn auf den Finanzmärkten gilt das Gleiche wie bei Konsumgütern. Was selten, solide und gut ist, kostet mehr! Doch ein höherer Preis für Qualität ist nicht automatisch „überteuert“!
Ein Unternehmen, das für das 20-Fache seiner Gewinne 2013 gekauft wird (und damit zu einem Preis weit über dem Marktdurchschnitt), jedoch über die kommenden zehn oder 20 Jahre Gewinnsteigerungen von mehr als 10 Prozent jährlich erzielt, ist eine gute Investition!
Meist werden „Value“-Anlagen mit geringen Bewertungskennzahlen und hohen Dividendenrenditen assoziiert. Diese Parameter spielen indes bei der Beurteilung, ob etwas wirklich zu einem „günstigen“ Preis gekauft wurde, leider keine entscheidende Rolle.
Von: Tanguy Kamp
Quelle: DAS INVESTMENT.