Das Investment: Die Rezessions-Angst geht um: Wenn Chinas Krise auf eine fragile Eurozone trifft

sjb_werbung_das_investment_300_200SJB | Korschenbroich, 04.09.2015. Die jüngsten Entwicklungen in China schüren die Ängste vor einer größeren Krise des Landes und damit einer weltweiten Rezession. Doch das wird die chinesische Regierung nicht zulassen, ist Unternehmensberater Daniel Stelter überzeugt. Schon allein aus Eigeninteresse. Ob das für die Eurozone reicht, bleibt abzuwarten.

Eigentlich ist der Versuch der chinesischen Regierung, durch die Abwertung des Renminbi ihren Export zu stimulieren, verständlich. Japan tut es, die EZB tut es auch.

Und nach einer handelsgewichteten Aufwertung des Renminbi um mehr als 10 Prozent blieb kaum eine andere Wahl, als ein klares Signal zu setzen: bis hierher und nicht weiter. Die Schmerzgrenze war erreicht.

Das Signal ging auch in Richtung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Hört auf, den Dollar durch das Wecken von Erwartungen auf Zinssteigerungen zu stärken. Denn durch die Bindung an den US-Dollar wirkt das auch auf China.

Die Angst geht um

Dass dieses Signal nun ein Beben dieser Größenordnung auslöste, ist nur durch die neue Angst vor einer weltweiten Rezession zu erklären. Eben jene Angst, die seit Mitte der 1980er Jahre unser Wirtschaftssystem bestimmt.

Im Versuch fehlende Nachfrage zu kompensieren, wird immer mehr mit Schulden gearbeitet. Der überwiegende Teil der neuen Schulden dient Konsum, Spekulation und dem Kauf vorhandener Assets, wie Aktien (Rückkäufe, M&A) und Immobilien, nicht der Investition in neue Kapazitäten und Technologien.

Das Hin- und Her-Verkaufen von vorhandenen Assets steigert jedoch nur die (Schein-)Vermögen und Schulden in einer Volkswirtschaft, nicht das langfristige Produktionspotenzial, welches über das Wachstum entscheidet.

Erste Flickschusterei vor sechs Jahren

2009 kam es zu einer kurzen Unterbrechung dieses Aufschuldungsprozesses in Europa und den USA. Die Vermögenspreise fielen und offenbarten die Tatsache, dass sie ohne die enorme Verschuldung deutlich weniger Wert waren. Um einen völligen Kollaps des Systems zu verhindern, senkten die Notenbanken die Zinsen auf historische Tiefs und die Staaten machten weiter Schulden.

In praktisch allen Ländern außer Deutschland liegen die Schulden von Privaten und Staaten über dem Niveau von 2009. Dies hat sicherlich dazu beigetragen, eine große Depression zu verhindern.

Auch China hat aus Angst vor der Rezession im Jahre 2009 die vorhandenen Ungleichgewichte massiv verstärkt. Um die eigene Wirtschaft vor einer Rezession zu bewahren, wurde ein historisch einmaliger Verschuldungs- und Investitionsboom gestartet.

Die Verschuldung vervierfachte sich innerhalb von sechs Jahren auf 28 Billionen Dollar. Und wie bei jedem Verschuldungsboom waren erhebliche Fehlinvestitionen die Folge.

Kater nach dem Verschuldungs-Rausch

Rund 6 Billionen Dollar dürften in den Sand gesetzt worden sein, in Form von Städten ohne Bewohnern und Fabriken ohne Nachfrage. Die Folge der erheblichen Überkapazitäten ist in einer staatlich gelenkten Wirtschaft nicht anders als bei uns: die Preise fallen. Verschuldete Unternehmen schauen nicht mehr auf den Gewinn, sondern auf den Cashflow.

Alles, was Geld in die Kassen spült, ist willkommen. So fallen die Preise auf Produzentenniveau in China seit 40 Monaten. Da zugleich die Zinsen bei rund 6 bis 8 Prozent liegen, zahlen chinesische Unternehmen vermutlich den höchsten Realzins der Welt. Mehr braucht es nicht, um ein Land in eine tiefe Krise zu stürzen.

Dazu wird es in China vorerst nicht kommen. Die Notenbank kann die Zinsen noch deutlich senken und Devisenreserven mobilisieren. Dennoch ist die auf rund 800 Milliarden Dollar alleine in den ersten sechs Monaten diesen Jahres geschätzte Kapitalflucht ein erhebliches Warnsignal.

Die Bevölkerung, vor allem die Vermögenden aus dem Umfeld der Partei, glauben nicht mehr an die Fortsetzung des Booms.

China exportiert Deflation

Auch wenn es jetzt nicht zu einem anhaltenden Verfall der chinesischen Währung kommt, wogegen auch die hohe Verschuldung chinesischer Unternehmen in Dollar von fast 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts spricht, bleibt der deflationäre Druck fallender Produzentenpreise. Mit fatalen Wirkungen für die überschuldete Weltwirtschaft.

Europa erlebt im Sommer 2015 die lang erwartete Erholung. Tiefe Zinsen, schwacher Euro und günstiger Ölpreis haben nach sieben Jahren Dauerkrise die Peripherie belebt. Deutschland sonnt sich im Export-Boom nach China, in die Schwellenländer, die USA und die Nicht-Euroländer Europas.

Die Politiker feiern das vermeintliche Ende der Krise, gerade jetzt, wo doch Griechenland endlich gelöst ist. Zumindest für die nächsten drei Jahre. Die EZB feiert den eigenen Erfolg in der Deflationsbekämpfung.

Doch die Lage ist fragil. Keines der grundlegenden Probleme der Eurozone wurde gelöst. Die Schuldenstände bleiben zu hoch und wachsen weiter und die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer bleibt schwach.

Selbst Spanien als Musterschüler bräuchte bei derzeitigem Tempo noch zehn Jahre und einen Schuldenschnitt, um die Krise zu überwinden.

Chinesische Krise trifft auf fragile Eurozone

Auf diese fragile Eurozone trifft nun die chinesische Krise. Die schwache Konjunktur in China wirkt auf verschiedene Wege negativ auf uns. Zunächst sinken die Exporte nach China. Das trifft vor allem Deutschland.

Die sinkende Nachfrage nach Rohstoffen dämpft die Konjunktur in den Rohstoffländern von Australien bis Südafrika. Damit sinkt auch hier die Import-Nachfrage und wächst das Risiko von weiteren Finanzkrisen angesichts der auch dort aus dem Ruder gelaufenen Verschuldung.

Fallende Rohstoffpreise und sinkende Exportpreise aus China verstärken den deflationären Druck. Den Notenbanken im Westen bleiben nicht mehr viele Möglichkeiten gegenzusteuern. Bleibt nur noch die direkte Finanzierung von Staatsausgaben, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu zwingen. Ob und wie schnell es dazu kommt, bleibt abzuwarten.

Ende des Euro-Projekts?

Klar ist hingegen, dass eine erneute Rezession die Zerfallsprozesse im Euro beschleunigen wird. Spätestens bei der nächsten Rezession wird es zu einem politischen Erdrutsch in einem der Krisenländer kommen. Die Wahlsieger werden dann das Projekt beenden. Mit massiven Schäden für uns alle.

Doch wie gesagt. China will nicht, dass es soweit kommt. Deshalb wird die Abwertung nicht so weit gehen, wie viele befürchten und mit lockerer Geldpolitik wird China denselben Weg gehen wie wir.

Die Krise, die durch zu viele Schulden ausgelöst wurde, durch noch mehr Schulden zu bekämpfen. Eine Runde geht noch. Offen nur, ob es auch für die Eurozone reicht.
Über den Autor:

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“. Er war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Strategieberatung The Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior-Partner und Geschäftsführer. Seit 2007 berät er internationale Unternehmen im Umgang mit den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise.

Aktuell hat Stelter eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty im Verlag Frankfurter Allgemeine Buch veröffentlich. Mit seinem Buch „Die Schulden im 21. Jahrhundert“, das schon im Titel auf Pikettys Bestseller Bezug nimmt, weist Stelter auf die gravierende Betrachtungslücke seines französischen Kollegen hin, der in seiner Veröffentlichung übersieht, dass die Vermögen nur ein Symptom, die Schulden aber das wahre Problem der wirtschaftlichen Entwicklung sind.

Quelle: DAS INVESTMENT.

Von: Ansgar Neisius

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