Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein: Der europäische Fondsmarkt meldet Rekordzuflüsse, die Gesellschaften verzeichnen hohe Nettomargen. Bei genauerer Betrachtung ist das Bild allerdings weniger rosig, beobachet Philip Kalus, Gründer und Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Accelerando Associates. Vor welchen Herausforderungen die Branche steht.Der europäische Fondsmarkt, nach den USA der zweitgrößte Fondsmarkt der Welt, erfreut sich stetigen Wachstums. Mit mehr als 35.000 Investmentfonds, die hier zum öffentlichen Vertrieb zugelassen sind, ist er allerdings übersättigt. Zum Vergleich: In den USA sind gerade einmal 9.500 Fonds auf dem Markt. Vergleicht man das durchschnittlich verwaltete Vermögen, stößt man auf ein noch wesentlich größeres Ungleichgewicht.
Das durchschnittliche Fondsvolumen in Europe beträgt gerade einmal 260 Millionen Euro, während Fonds in den USA auf ein Durchschnittsvolumen von 1,7 Milliarden Euro kommen. Gleichzeitig ist die Zahl der in Europa zur Verfügung stehenden Anteilsklassen in den letzten Jahren sprichwörtlich explodiert. Dennoch erscheint die Lancierung neuer Fonds als gängiges Mittel der Fondsindustrie, um neue Kundengelder einzutreiben – zumindest in der Theorie.
Angebot von Passivprodukten – eine Verzweiflungstat?
Das rasende ETF-Wachstum in Europa übt zusätzlichen Druck auf die traditionelle Fondsindustrie aus. Die Liste der aktiven Manager, die ihr Produktangebot um passive Fonds erweitert haben, ist lang und wächst stetig weiter. Nachdem aber viele aktive Fondsmanager den Mehrwert des aktiven Managements über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, gepredigt haben, stößt die Expansion in passive Gefilde vielfach auf Skepsis. Wir kennen zahlreiche Großinvestoren in Europa, die diesen Schritt eher als ein Zeichen der Verzweiflung und nicht als eine logische Produkterweiterung der Fondshäuser ansehen. Dennoch muss man den Fondsgesellschaften zugutehalten, dass durch das erweiterte Produktangebot Kundengelder im Haus gehalten werden können, die andernfalls abzuwandern drohen. Zumindest ist das in der Theorie so. In der Praxis bevorzugen führende Fondslektoren allerdings die wirklich besten Fonds ihrer jeweiligen Gattung, die selten unter einem Dach zu finden sind.
Es wird viel über Preisdruck in der Fondsindustrie berichtet. Viele Fondsanbieter senken ihre Verwaltungsgebühren. Interessanterweise konnten wir in unseren Untersuchungen aber keine breitere Korrelation zwischen gesenkten Gebühren und erhöhten Absatzzahlen finden. Tatsächlich sind viele europäische Fonds-Bestseller sogar den teureren Produkten zuzuordnen. Anbieter, die ein hohes Alpha erwirtschaften und auch auf der Serviceseite punkten, können ihre Premium-Gebühren recht problemlos verteidigen. Wirklicher Preisdruck findet sich eher auf der Seite der benchmarknahen und passiven Produkte.
Trend zu Übernahmen und Fusionen
Eine steigende Anzahl an Fondsanbietern strebt Skalierungseffekte an. Die Häuser wollen ihre Vertriebswege global erweitern und setzen dabei auf Übernahmen. Allein 2016 wurden weltweit rund 150 Fusionen oder Übernahmen von Asset Managern gezählt. In diesem Jahr beherrschten einige prominente Zusammengänge wie die von Standard Life mit Aberdeen oder Janus mit Henderson die Schlagzeilen der Finanzindustrie.
Wie aber stehen Fondsanalysten zum Trend unter Fondsanbietern, sich zusammenschließen zu wollen? Wir haben in diesem Frühjahr europaweit Fondsslektoren zu ihren Ansichten hierzu befragt. Ergebnis: Es existieren zwar unterschiedliche Standpunkte. Im Allgemeinen beobachten Fondsanalysten die Situation jedoch vorerst kritisch und abwartend. In der Euphorie von M&A-Gesprächen wird nach Meinung vieler Marktbeobachter zu sehr auf Skalierungseffekte und mögliche Kostenvorteile geschaut. Gleichzeitig werden die Vorteile, die sich auf Produkt- und Fondsebene ergeben sollen, zu wenig nach außen vermittelt. Und noch einen fundamentalen Punkt vermissen Fondsanalysten: Sie würden gern über die möglichen Stolpersteine bei den Zusammenschlüssen aufgeklärt werden.
Es ist aber nicht nur die Fondsanbieter-Seite, die sich im Umbruch befindet. Auch auf Seiten der Einkäufer, der Fondsanalysten, lassen sich weitreichende Veränderungen beobachten.
Die Zahl von Fondsanalysten in Europa sinkt bereits seit einigen Jahren stetig. Haupttreiber dafür sind Konsolidierung und Übernahmen, ganz besonders in der Schweiz und in Großbritannien. Darüber hinaus zentralisieren immer mehr international tätige Häuser Fondsselektion an einem Standort. Die separate Fondsanalyse in unterschiedlichen Ländern gehört in vielen Fällen der Vergangenheit an.
Weniger Fondsanalysten
Das Verbot von Rückvergütungen, in einigen europäischen Ländern schon heute der Fall und mit Inkrafttreten von Mifid II bald auch in ganz Europa Realität, bringt immer mehr Banken und andere Vertriebsschwergewichte dazu, Fondsselektion als Kostenfaktor zu betrachten. Dies gilt nicht nur für die klassische Fondsanalyse an sich, sondern auch für die rechtliche und administrative Prüfung, die technische Anbindung sowie die Abwicklung. Jeder einzelne Teil stellt einen Kostenblock dar.
Fondsempfehlungslisten und die Anzahl der von den Banken angebotenen Fondsanbieter werden in der Konsequenz reduziert. In ganz Europa lässt sich der Trend weg von offener hin zu geführter Architektur beobachten. Das wirtschaftliche Modell des Fondsvertriebs bei Banken verändert sich. 2016 kehrte das lange tot geglaubte hauseigene Fondsmanagement eindrucksvoll in die europäischen Bestseller-Listen zurück: Der Absatz von hauseigenen Fonds, ganz besonders in Südeuropa, erreichte neue Rekorde. Höhere Margen, kombiniert mit einer besseren Kontrolle der Vermögensgegenstände, werden diesen Trend unserer Meinung nach weiter verstärken.
Service wird wichtiger
Die Digitalisierung macht auch vor Fondsanalysten nicht halt. Dadurch verändert sich auch die Fondsanalyse an sich. Fondsdatenbanken von Drittanbietern zur quantitativen Analyse sind längst etabliert. Neu sind aber Internet-basierte Lösungen zur qualitativen Analyse von Fondsgesellschaften, Fondsmanagern, Investment-Prozessen, Risikomanagement et cetera. Informationen, die bisher den direkten Kontakt zur Fondsgesellschaft erforderten, werden zunehmend über Drittanbieter zur Verfügung gestellt. Die Notwendigkeit, dass Fondsanalysten mit Fondsgesellschaften in Kontakt treten müssen, verschiebt sich zunehmend hin zum Ende eines Analyseprozesses.
Im Fokus stehen dann weniger die Fonds an sich, deren Prüfung bereits erfolgt ist, sondern in erster Linie Aspekte der Kundenbetreuung. Die faktischen Unterschiede von Fonds, die eine Prüfung erfolgreich durchlaufen haben, sind oftmals marginal. Die finale Entscheidungsfindung zu Gunsten eines bestimmten Fonds wird immer mehr von Serviceaspekten bestimmt. Hier trennt sich oftmals die Spreu vom Weizen. Der Wettbewerb wird zunehmend auf der Ebene der Kundenbetreuung ausgetragen. Die Ansprüche führender Fondsanalysten in Europa an die Qualität im Kundenservice der Fondsgesellschaften, an die Tiefe der Informationen – oftmals in maßgeschneiderten Formaten – sowie an die Schnelligkeit in der Bearbeitung von Anfragen wachsen stetig.
Die gesamte Wertschöpfungskette im Fondsvertrieb befindet sich im Umbruch. Auf Basis der vorweg beschriebenen Veränderungen erwarten wir, dass sich die Anzahl von Vertriebsmitarbeitern in Europa in den nächsten Jahren um mindestens 35 Prozent reduzieren wird. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass die Zahl hoch qualifizierter Servicemitarbeiter überproportional zunehmen könnte. Spannende Zeiten.
Der Autor:
Philip Kalus ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsgesellschaft Accelerando Associates. Die Gesellschaft bietet Asset Managern Research und strategische Beratung zum Fondsvertrieb in Europa an.
Von: Philip Kalus
Quelle: Das Investment