SJB | Korschenbroich, 16.08.2011. Krisenregion am Abgrund oder größter Profiteur der Globalisierung? Europa-Aktienfonds, deren Verwalter unabhängig vom Vergleichsindex das Beste aus der Region herausholen, haben auch künftig Konjunktur.
Sohana Javaid (9) aus dem pakistanischen Peshawar ist das jüngste Mädchen, das bei einem Selbstmordattentat-Versuch festgenommen wurde.
Extremisten entführten das Kind Ende Juni und steckten es in eine Sprengstoffweste. Kurz bevor Sohana sich in die Luft sprengen konnte, nahm die Polizei sie fest.
Kein Einzelfall. Immer häufiger benutzen die Taliban in Pakistan Kinder und Jugendliche als lebende Bomben. Die meisten Attentate gehen dabei weniger glimpflich aus: Allein in den vergangenen vier Jahren kamen in dem Land bei Anschlägen und Angriffen von Islamisten mehr als 4.000 Menschen ums Leben. Damit gehört die Islamische Republik zu den gefährlichsten Staaten der Welt.
Hellas gefährlicher als Pakistan
Im Vergleich zu Griechenland scheint Pakistan jedoch ein Hort der Sicherheit zu sein – zumindest für die Kapitalmärkte. Denn wer Staatsanleihen der islamischen Republik kauft und sich gegen deren Ausfall mittels Credit Default Swaps (CDS) absichern will, zahlt nur die Hälfte der Prämie, die der Markt für die Absicherung griechischer Staatsanleihen verlangt.
Spätestens seit Standard & Poor’s die Bonität des Landes im Juni auf CCC heruntergestuft hat, gilt Griechenland als der unsicherste Schuldner der Welt. Denn das Land, dessen Haushaltdefizit trotz jüngster Sparanstrengungen immer noch 7,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt und das seinen Gläubigern gleichzeitig 152 Prozent des BIP schuldet, ist so gut wie zahlungsunfähig. Die meisten Finanzexperten glauben nicht mehr daran, dass die Hellenen um eine Umschuldung herumkommen. Bei einem noch härteren Sparkurs drohe eine Rezessionsspirale mit weiter steigender Arbeitslosigkeit und sozialen Unruhen.
Ein ähnliches Schicksal droht Portugal und Irland. Beide Länder verfolgen ebenfalls eine restriktive Budgetpolitik mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen zeit mit rund 20 Prozent die höchste Arbeitslosenquote Europas aufweist.
Asiaten mögen Europa-Produkte
Während in Spanien, aber auch in den baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland, fast jeder Fünfte arbeitslos ist, haben andere europäische Länder wie Norwegen oder die Niederlande eine Arbeitsmarktsituation, die an Vollbeschäftigung grenzt. Auch das restliche Skandinavien sowie Österreich, Deutschland und Tschechien weisen eine moderate Arbeitslosenquote auf.
Diese exportorientierten Volkswirtschaften profitieren vom globalen Wirtschaftswachstum, das hauptsächlich aus den Schwellenländern kommt. Vor allem in Asien ist die Nachfrage nach europäischen Produkten groß. In China beispielsweise zählen deutsche Luxuslimousinen zu den beliebtesten Importgütern. Das freut die Autobauer: Nach der krisenbedingten Kurzarbeit in den vergangenen Jahren fahren Daimler, BMW und Audi bereits Sonderschichten; in manchen Werken fallen sogar die Sommerferien aus.
Die Schere zwischen Nord- und Südeuropa spiegelt sich auch auf dem Aktienmarkt wider. So rutschten im vergangenen Jahr Aktien griechischer Unternehmen, die sich im MSCI-Europa-Index befinden, 35,6 Prozent ins Minus. Irische Aktien verloren 9,1, portugiesische 1,6 Prozent. Skandinavische Index-Mitglieder aus Schweden, Dänemark und Norwegen hingegen legten zwischen 21 und knapp 45 Prozent zu. Die im MSCI Europa enthaltenen deutschen Papiere stiegen immerhin um knapp 19 Prozent.
Nord-Süd-Gefälle auch bei Aktien
So unterschiedlich wie die Wirtschaftsleistung europäischer Länder ist auch die Wertentwicklung der Europa-Aktienfonds. Während einige Produkte in den vergangenen drei Jahren bis zu 44 Prozent verloren, legten andere zwischen 25 und 30 Prozent zu. Denn talentierte Manager finden durch gezieltes Stockpicking meist selbst in schwierigem Marktumfeld noch richtige Aktienperlen.
„Ein guter Manager verfügt über eine überzeugende Anlagephilosophie und hat in der Vergangenheit nachhaltig einen Mehrwert für seine Anleger erzielt“, sagt Hermann-Josef Hall, Dachfonds-Manager bei Sauren. Zu den besten Europa-Aktienfonds-Managern zählt der Fonds-Profi Nicolas Walewski, der den Alken European Opportunities Fund managt, und Hans-Peter Schupp, der den Fidecum Contrarian Value Euroland verantwortet. Beide Europa-Experten waren früher erfolgreich als angestellte Fondsmanager tätig und haben sich anschließend mit eigenen Investmentboutiquen selbstständig gemacht. Auch der Main First Top European Ideas des ehemaligen Union-Investment-Managers Olgerd Eichler sei eine attraktive Anlage-Idee.
Wie die Manager seiner Zielfonds die derzeitige Situation in Europa einschätzen, sei durchaus unterschiedlich, erklärt Hall. Die einen sähen überwiegend Gefahren, die anderen Chancen – „und alle haben gute Argumente dafür“.
Zu den Optimisten zählt Gottfried Urban, Vorstand bei Neue Vermögen in Traunstein. „Während die Staaten immer noch mit ihren Schuldenbergen zu kämpfen haben, ist die Krise auf der Unternehmensebene bereits vorbei“, sagt der Vermögensverwalter. Die Gewinnsituation europäischer Firmen habe sich massiv verbessert: Mittlerweile verdienten Unternehmen im Schnitt mehr als im Boom-Jahr 2007. Darüber hinaus nahmen viele europäische Firmen Urban zufolge im vergangenen Jahr mittels Unternehmensanleihen viel Liquidität auf. Diese werde unter anderem zum Kauf neuer Produktionsanlagen oder Firmenübernahmen eingesetzt. Zudem sei eine kräftige Anhebung der Dividende sehr wahrscheinlich.
Thorsten Winkelmann, Manager des Aktienfonds Allianz RCM Wachstum Europa, sieht das ähnlich. Natürlich sei es für spanische Unternehmen teurer, an neue Kredite auf dem Kapitalmarkt zu kommen, räumt er ein. Trotzdem besitzt für ihn die Länderzugehörigkeit einer Firma nur wenig Aussagekraft. „Wenn ein britisches Unternehmen seinen Hauptsitz aus steuerlichen Gründen nach Dublin verlegt, werde ich dessen Papiere ja auch nicht verkaufen“, sagt er. Es komme vielmehr darauf an, wo das Unternehmen den Großteil seiner Umsätze erzielte.
Der Hauptsitz ist unwichtig
Zu Winkelmanns Favoriten gehört beispielsweise der spanische Textilriese Inditex, Mutterkonzern der Modekette Zara. „Das Unternehmen erzielt nur rund 28 Prozent seiner Umsätze auf dem heimischen Markt“, erklärt er. Der Großteil der Erträge käme hingegen aus dem Rest Europas, Asien und den USA. Die mit 3,7 Prozent größte Portfolio-Position ist indes die dänische Brauerei Carlsberg. Der viertgrößte Brauereikonzern der Welt ist laut Winkelmann Marktführer in Russland, wo er auf 41 Prozent Marktanteil kommt. „Das Unternehmen profitiert von dem Trend weg von Wodka und hin zum Bier“, sagt Winkelmann. Auch der britische Konzern Reckitt Benckiser, in Deutschland hauptsächlich aufgrund seiner Marken Calgon und Calgonit bekannt, zählt zu Winkelmanns Favoriten. „Das Unternehmen ist stark in einem interessanten Nischenmarkt positioniert“, sagt der Fondsmanager. Und aufgrund der schlechten Marktmeinung in den vergangenen zwei Jahren waren die Aktien zudem billig zu bekommen.
Fundamentales und Marktposition
Bei der Aktienauswahl schauen Winkelmann und sein Team auf die Fundamentaldaten und die Wachstumsaussichten der Kandidaten. Nur wenn eine Firma möglichst unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftszyklus wachsen kann, etwa weil sie einen Technologievorsprung hat oder in einem Nischenmarkt führend ist, kommt sie für ihn infrage.
Fundamentale Kennzahlen und die Markführerschaft in einem Segment sind auch für Peter Dreide wichtig. Auf die Wachstumsaussichten hingegen legt der Berater des Europa-Aktienfonds 4-Q European Value von Universal Investment weniger Wert. Er sucht vielmehr nach unterbewerteten Unternehmen, die seiner Ansicht nach demnächst zu einer fairen Bewertung zurückkehren werden.
Ob Value oder wie beim Allianz-Produkt Growth: Beide Strategien scheinen sich zu lohnen. Trotz der Finanzkrise legten beide Fonds in den vergangenen drei Jahren um knapp 28 Prozent zu. Auf Fünf-Jahres-Sicht bleibt der 4-Q European Value mit 26,8 Prozent leicht hinter dem Allianz-Produkt zurück, das im gleichen Zeitraum um 38,2 Prozent stieg.
Noch besser schnitt der BGF Continental European Flexible von Blackrock ab, der über drei Jahre 30,7 und über fünf Jahre 46,7 Prozent zulegte. Fondsmanager Alister Hibbert kauft hauptsächlich Papiere von Konsum- und Industrie-Unternehmen, die ihren Hauptsitz in Frankreich, Deutschland und der Schweiz haben. Seine größte Position ist der Schweizer Luxusgüter-Hersteller Richemont, der mehr als 20 Prozent seiner Umsätze in China erzielt.
Zukunftsmarkt in Südostasien
Auch Damien Lanternier, der den Agressor-Fonds von Financière de l’Echiquier managt, setzt auf den Absatzmarkt Asien – und dort vor allem auf die Asean-Staaten. So gehört der Roller-Hersteller Piaggio zu seinen Lieblingstiteln. Der Konzern, der mit seiner Marke Vespa zu den europäischen Marktführern zählt, hat 2009 eine Fertigungsstätte in Vietnam errichtet. „Verglichen mit Europa ist der Markt in Südostasien zwölfmal größer“, sagt Lanternier. Neben Vietnam seien auch Indonesien, Thailand und Taiwan als Roller-Absatzmärkte interessant.
Während Lanternier bei der Aktienauswahl weitgehend freie Hand hat, muss sich sein Kollege Frédéric Plisson, der mit dem Echiquier Major den zweiten Europa-Aktienfonds der Gesellschaft managt, auf europäische Wachstumswerte beschränken. In diesem Segment schwärmt der Franzose aktuell unter anderem für Continental, Volkswagen, Man und Bayer. So bildet Deutschland mit 18 Prozent die zweitstärkste geografische
Position seines Fonds. Seine mit Abstand größte Länderposition ist hingegen Frankreich, „weil die Unternehmen aus dem Heimatmarkt leichter zu verstehen sind“.
Selbst in den krisengeschüttelten Mittelmeerländern seien durchaus attraktive Schnäppchen zu finden, ist Urban überzeugt. Vor allem Spanien hat es dem Finanzexperten angetan. „Dort bekommt man als Investor einfach mehr fürs Geld“, sagt er. So wiesen Unternehmen aus dem spanischen Leitindex Ibex 35 derzeit in Europa die höchsten Dividendenrenditen auf.
Quelle: DAS INVESTMENT.