Drei mögliche Auslöser einer neuen Finanzkrise hat Philippe Ithurbide, Global Head of Research beim französischen Vermögensverwalter Amundi AM, identifiziert. Sein Rat: Investoren sollten eindeutige Signale für eine Krise nicht ignorieren oder unterschätzen. Ein Grund zur Panik besteht aber nicht.
Die Folgen der Finanzkrise, die vor etwa zehn Jahren ihren Anfang nahm, sind noch nicht vollständig überwunden. Doch nun kündigt sich das Risiko einer neuen Krise an. Einen Vorgeschmack gaben bereits die markanten Marktkorrekturen im Januar und Februar dieses Jahres. Es stellt sich die Frage: Wie wird sich der Übergang aus der aktuellen Wachstumsphase mit niedriger Inflation und niedrigen Zinsen in eine Phase stärkerer Volatilität, höherer Inflation und entsprechend angepassten Zinsen vollziehen?
„Die Vergangenheit lehrt uns, dass sich Finanzkrisen selten vorhersehen lassen“, weiß Philippe Ithurbide, Global Head of Research bei Amundi Asset Management. „Präziser ausgedrückt: Maßnahmen, die eine Krise hätten verhindern können, wurden noch nie rechtzeitig eingeleitet – obwohl es tatsächlich immer eindeutige Signale für eine Krise gab.“ Warnzeichen seien jedoch nicht nur von den Regulierungsbehörden und Zentralbanken, sondern gleichermaßen auch von den Anlegern ignoriert oder unterschätzt worden.
Ithurbide, der für Europas größte Fondsgesellschaft arbeitet, die weltweit zu den zehn größten Vermögensverwaltern zählt (Stand: 31. Dezember 2017), identifiziert drei Märkte, welche in der aktuellen Lage einen weltweiten Schock oder eine Krise auslösen können:
Anleihen preisen Risiken (noch) nicht ein
Die von den Zentralbanken weltweit bereitgestellte überschüssige Liquidität fließt nicht in Waren und Dienstleistungen, sondern stattdessen in Vermögenswerte wie Anleihen. Bekanntlich sind die Zinssätze in den Industrieländern aufgrund der extrem expansiven Geldpolitik der Zentralbanken insgesamt zu niedrig. Weil Anleihen vor diesem Hintergrund nicht die tatsächlichen Risiken einpreisen, ist speziell der europäische Markt gefährdet. In den USA steht die Bewertung der Anleihen zwar im Einklang mit den Fundamentaldaten, aber die expansive Fiskal- und Steuerpolitik werden aller Voraussicht nach sowohl zu einer höheren Staatsverschuldung als auch einem höheren Außenhandelsdefizit führen. Die Folge: Steigende US-Zinsen und eine Abwertung des US-Dollars werden wahrscheinlicher. In der Bewertung der Anleihen hat sich dieses mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Szenario aber (noch) nicht niedergeschlagen.
Chinesische Unternehmensanleihen besonders gefährdet
Ungemach droht auch vom Markt für chinesische Unternehmensanleihen: Die chinesische Regierung um Xi Jinping setzt alles daran, dass die Wirtschaft Jahr für Jahr um mehr als 6 Prozent wächst. Allerdings hat dies zu einer sehr hohen inländischen Verschuldung des Staates, der Unternehmen und der privaten Haushalte geführt – wobei Unternehmen den höchsten Anteil der Verschuldung schultern. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren lag das Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt in China bei 120 Prozent. Seitdem ist dieser Wert rasant auf einen alarmierenden Stand von derzeit 250 bis 260 Prozent angestiegen. Ein weltweiter Anstieg der Leitzinsen würde sich deshalb ausgesprochen nachteilig auf Chinas Wirtschaft auswirken.
Risiko von Korrekturen am US-Aktienmarkt
Viele Anleger halten den US-Aktienmarkt für stark überbewertet. Gründe dafür gibt es gleich mehrere: das Quantitative-Easing (QE)-Programm der Fed, die langjährige Niedrigzinspolitik, eine womöglich zu positive Bewertung des US-Wirtschaftswachstums sowie unterschätzte Inflationsgefahren und Risikoaufschläge. Die Schlüsselfrage ist derzeit: Handelt es sich beim US-Aktienboom nur um ein vorübergehendes Phänomen aufgrund des Steuersenkungsprogramms und eines zyklischen Wirtschaftsaufschwungs? Oder gibt es strukturelle, nachhaltige Faktoren, wie steigende Produktivität und Profitabilität? Um die Anleger von Letzterem zu überzeugen, müssen Unternehmen ihr Wachstum kontinuierlich nachweisen – ansonsten steigt das Risiko eines Crashs.
Drei Szenarien für den weiteren Verlauf der Märkte
Vor dem Hintergrund dieser drei besonders schwer wiegenden Risiken hält Philippe Ithurbide drei Szenarien im laufenden und nächsten Jahr für wahrscheinlich:
Ein Anhalten der aktuellen Phase geringer Volatilität, stabilen Wachstums, schwacher Inflation und niedriger Leitzinsen ist am wenigsten wahrscheinlich. Hier sieht Ithurbide eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit von lediglich 10 Prozent.
Ebenfalls kaum zu befürchten ist eine tiefgreifende Finanzkrise, in der Zentralbanken kaum Handlungsspielraum haben und eine weltweite Rezession die Konjunktur belastet (Eintrittswahrscheinlichkeit: 15 Prozent).
Für am wahrscheinlichsten hält Ithurbide dagegen eine Phase höherer Volatilität, steigender Leitzinsen und unruhiger Finanzmärkte – mit regelmäßigen Korrekturen an den Aktienmärkten. Einem solchen Umfeld misst der Research-Chef bei Amundi eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent bei.
„Auch wenn wir von einem recht moderaten Zukunftsszenario ausgehen, lässt sich eine tiefe Krise nicht völlig ausschließen. Für Anleger ist also trotzdem Vorsicht geboten“, rät Ithurbide.
Wie sich eine neue Finanzkrise vermeiden lässt:
- Um eine neue Finanzkrise zu vermeiden, sind aus seiner Sicht mehrere Schritte entscheidend:
- Die Zentralbanken sollten die Leitzinsen langsam und schrittweise erhöhen, um selbst wieder handlungsfähig zu werden, falls eine Stützung der Konjunktur notwendig wird.
- Die Inflation zu steuern, ist schwierig. Die Zentralbanken sollten daher den Eindruck vermeiden, Inflation zu jedem Preis in Kauf zu nehmen.
- QE-Programme sollte schrittweise beendet und die Bilanzen der Zentralbanken auf ein normales Niveau zurückgeschraubt werden.
- Die Regulierung der Märkte für Kredit- und Finanzmarktderivate sollte fortgesetzt werden.
- Die internationale Zusammenarbeit sollte fortbestehen – und protektionistische Maßnahmen von Ländern wie den USA oder China vermieden werden.
Das Fazit: Ausreichend Liquidität bereithalten
Obwohl weltweit viele Risiken für die Märkte bestehen, verläuft die globale konjunkturelle Entwicklung derzeit weitgehend solide – zweifellos ein wesentlicher Pluspunkt in der aktuellen Lage. Sämtliche Wachstumsbringer laufen gut: Trotz protektionistischer Maßnahmen bleiben die Verbraucherausgaben, die Investitionen und der Welthandel in Schwung. Die Geld- und Fiskalpolitik unterstützt weiterhin das Fortkommen der Märkte. Insbesondere die Eurozone, Japan, die USA und China sind von einem robusten Wachstum gekennzeichnet.
Doch gerade weil sich die Wirtschaft im breiten Rahmen gut entwickelt, sind die Anleger oftmals voll investiert. Im unerwarteten Krisenfall könnten daher an den Märkten sehr rasch Liquiditätsprobleme auftreten, die Kursverluste deutlich verschärfen. Amundi, in Deutschland einer der wichtigsten internationalen Anbieter, mit einem verwalteten Vermögen von insgesamt 1,46 Billionen Euro (Stand: 30.06.2018), setzt deshalb verstärkt auf ausreichende Cash-Reserven, um im Fall von überraschenden, weitreichenden Marktkorrekturen zukunftsträchtige Assets zum kleinen Preis in die Portfolios buchen zu können.
Soweit nicht anders angegeben, beruhen die hier enthaltenen Ansichten auf Recherchen, Berechnungen und Informationen von Amundi Asset Management und haben den Stand 07.08.2018. Diese Ansichten können sich jederzeit ändern, abhängig von wirtschaftlichen und anderen Rahmenbedingungen. Es gibt keine Gewähr, dass sich Länder, Märkte oder Branchen wie erwartet entwickeln werden. Diese Veröffentlichung ist kein Verkaufsprospekt und stellt kein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Anteilen in Ländern dar, in denen ein solches Angebot nicht rechtmäßig wäre. Außerdem stellt diese Veröffentlichung kein solches Angebot an Personen dar, an die es nach der jeweils anwendbaren Gesetzgebung nicht abgegeben werden darf. Amundi Deutschland GmbH ist ein Unternehmen der Amundi Gruppe.
Von: Helge Rehbein
Quelle: Das Investment