SJB | Korschenbroich, 23.01.2015. Nun ist es amtlich: Die Europäische Zentralbank EZB wird Staatsanleihen im großen Stil kaufen. Das gab der Notenbankchef Mario Draghi am heutigen Donnerstag bekannt.
Eine Überraschung war es nicht: Die neue Quantitative-Easing-Runde der Europäischen Notenbank wurde bereits von Experten erwartet. In einer Pressekonferenz gab der EZB-Chef Mario Draghi nun die genauen Ausmaße bekannt. Demnach will die Zentralbank bis Ende September 2016 jeden Monat für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere aus den Euro-Ländern aufkaufen. Des Weiteren belässt die EZB den Leitzins unverändert bei 0,05 Prozent. Dieses niedrige Zinsniveau will Draghi auf lange Sicht beibehalten. Auch der Einlagenzins für Banken bleibt weiterhin bei minus 0,2 Prozent.
Die EZB-Ankündigung katapultierte den Dax auf ein neues Rekordhoch von 10.399,67 Punkten. Der Euro fiel zugleich auf ein Tagestief von 1,1513 US-Dollar.
Warum Fondsmanager und Volkswirte diesen Schritt bereits im Vorfeld erwartet hatten und welche Konsequenzen die Staatsanleihekäufe auf den Markt haben werden, lesen Sie hier:
Azad Zangana, leitender Ökonom und Stratege für Europa von Schroders:
Wir erwarten, dass die EZB am Donnerstag zusätzlich zu den bisherigen Käufen von forderungsbesicherten Wertpapieren und gedeckte Schuldverschreibungen den Kauf von Staatsanleihen beschließen wird.
Durch monetäre Lockerung – also Quantitative Easing (QE) – werden die Renditen einzelner Staatsanleihen gesenkt, was auch die Renditen für Unternehmensanleihen und Bankzinssätze senken kann. Einen noch größeren Einfluss aber hat die Abwertung des Euros, die sich, wie wir denken, noch weiter fortsetzen kann.
Das Risiko einer Deflation ist sicherlich hoch, aber wir erwarten, dass die Euro-Zone insgesamt eine langfristige Deflation knapp vermeiden wird. Einige Länder wie zum Beispiel Griechenland und Zypern befinden sich wahrscheinlich bereits inmitten einer Deflation, aber die Gesamtheit der Euro-Zone hat diese Deflation bis jetzt vermieden.
Andrew Bosomworth, Leiter Portfoliomanagement, Pimco Deutschland:
Wenn der EZB-Rat, das oberste Beschlussorgan der Europäischen Zentralbank, an diesem Donnerstag zu seiner Sitzung zusammenkommt, dann wird es um eine einzige zentrale Frage gehen: Nämlich wie die Details aussehen werden, wenn das Quantitative Easing (QE) genannte Anleihenkaufprogramm demnächst umgesetzt wird. Das „ob“ und „wann“ steht schon gar nicht mehr zur Debatte.
Wir gehen davon aus, dass die EZB ein Aufkaufprogramm für Anleihen mit einem Volumen zwischen 500 und 1.000 Milliarden Euro auflegen wird. Es dürfte sich auf Staatsanleihen konzentrieren, bei der Verteilung wird der Kapital-Schlüssel der EZB als Richtwert dienen, und es wird voraussichtlich die ein oder andere Form eines Risikoausgleichs geben für den Fall, dass die erworbenen Anleihen Verluste produzieren (oder total ausfallen).
Wir erwarten, dass QE ähnliche Effekte auf die Eurozone haben wird wie es andere QE-Programme anderer Zentralbanken in der Vergangenheit hatten. Am wichtigsten dabei: Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft werden davon abhängen, wie die Regierungen der Eurozone reagieren und antworten.
Indem die Kapital-Kosten für Investitionen gesenkt werden, kann QE die Regierungen der Eurozone in ihrem Bestreben unterstützen, das Wachstum anzukurbeln – zum Beispiel durch wachstumsfördernde Reformen oder Investitionen in produktive Infrastruktureinrichtungen.
Indem neu geschaffene Mindestreserven gegen Staatsanleihen eingetauscht werden, wird QE die Risiko-Prämien anderer Asset-Klassen und Finanzinstrumente wie Hypothekendarlehen, Unternehmensanleihen und Aktien schrumpfen lassen und gleichzeitig den Außenwert des Euros sinken lassen. Viele dieser finanziellen Effekte dürften jedoch schon eingepreist sein.
Die Reaktion des Marktes wird deshalb höchstwahrscheinlich davon abhängen, wie die drei voneinander abhängigen Stellschrauben des QE bedient werden: Namentlich sind das Risikoausgleich, Volumen und Aufteilungs-Schlüssel.
Franck Dixmier, Investmentchef Anleihen Europa bei Allianz Global Investors:
Die Erwartungen an das Quantitative Easing (QE) Programm, zu dem die EZB am Donnerstag Details bekannt geben will, sind hoch, und Mario Draghi täte gut daran, einen mutigen und gleichzeitig einfachen Angriffsplan zu entwickeln, um eine ausgedehnte Phase der Deflation abzuwehren und den wirtschaftlichen Ausblick für die Eurozone zu verbessern.
Während die EZB ihr letztes großes Geschütz der Geldpolitik in Stellung bringt, erwarten die Marktteilnehmer ein QE-Programm mit einem Volumen von mindestens 500 Milliarden Euro und würden sich bei einem geringeren Volumen des Anleihen-Ankaufprogramms enttäuscht zeigen.
Staatsanleihen werden sicherlich Bestandteil des Programms sein, wohingegen die Einbeziehung von Unternehmensanleihen im Investment Grade Bereich für eine positive Überraschung sorgen könnte, da der Markt dieses Szenario derzeit nicht eingepreist hat.
Es ist entscheidend, dass der Plan einfach, skalier- und änderbar ist, schließlich gibt es bislang noch keinen empirischen Beleg dafür, dass Quantitative Easing tatsächlich zu höherer Inflation führt. Das bedeutet, dass die EZB – falls die Inflationserwartungen weiter sinken würde – Anpassungen an ihrem QE-Programm vornehmen müsste, um dessen Glaubwürdigkeit zu erhalten und die die gewünschte Wirkung zu erreichen.
Es wäre meiner Meinung nach ein großer Fehler, wenn die EZB zu viele Bedingungen und Vorbehalte an das Programm knüpft, um die QE-Kritiker zu besänftigen. Das würde die Umsetzung schwieriger machen und Anlegern den Blick auf die Auswirkungen und Konsequenzen erschweren.
Es wurde viel über die Rolle der nationalen Zentralbanken in dem Programm geredet, ob und unter welchen Umständen sie Assets kaufen sollten. Ich halte diese Art der Risikostreuung für einen nicht wünschenswerten Kompromiss, da er das Ansehen der EZB als starke und zentrale geldpolitische Autorität der Eurozone, die sie sein soll, unterminiert und vielmehr auf eine Föderation nationaler Kreditgeber hindeuten würde. Das würde Zweifel über Gräben innerhalb der EZB zu einer Zeit nähren, in der zuversichtliche und einmütige Führung am notwendigsten ist.
Antonio Sommese, Finanzstrategie Sommese:
Sollte die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag wie erwartet mit der Ankündigung umfangreicher Käufe von Staatsanleihen ein starkes Zeichen setzen, so sei ist dies leider kein gutes Zeichen. Wenn die nationalen Notenbanken die Staatsanleihen des eigenen Landes aufkaufen, bedeutet das letztlich nichts anderes, als dass sich die EZB aus der Verantwortung stiehlt. Es ist ein fauler Kompromiss.
Die derzeitigen Dax-Rekordhochs spiegeln die Erwartung wider, dass die Geldwächter der Eurozone den Markt mit Geld fluten werden. Diese Entwicklung ist hochgefährlich, weil sie einzig und allein darauf basiert, dass die Europäische Zentralbank am Donnerstag ein gigantisches Anleihekaufprogramm verkünden wird. Je nach Quelle ist von einer Geldschwemme zwischen 500 und 700 Milliarden Euro die Rede.
Mit diesem sogenannten Quantitative Easing (QE) will EZB-Präsident Mario Draghi gegen Deflation ankämpfen und zugleich zum größten Schlag seiner Amtszeit gegen eine schwächelnde Konjunktur ausholen. Die Märkte sind hochnervös. Wenn Draghi auch nur geringfügig von dem abweicht, was die Anleger erwarten, wird dies der Börse augenblicklich einen empfindlichen Dämpfer versetzen.
Luke Bartholomew, Fondsmanager bei Aberdeen Asset Management:
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, dass das OMT-Programm der EZB im Grundsatz rechtens war, hat mehr aufgeklärt als nur eine ‚Buchstabensuppe‘. Sie war der letzte Teil von Mario Draghis langer, harter Kampagne, um ein umfassendes europäisches Programm der quantitativen Lockerung inklusive dem Ankauf von Staatsanleihen zu starten.
Die Erwartungen für eine entsprechende Ankündigung in dieser Woche sind so hoch wie sie es nur sein können. Draghi weiß das und es ist sehr unwahrscheinlich, dass er diese Erwartungen enttäuschen wird. Er hat Monate damit zugebracht, die Flure der Macht abzumarschieren, im und außerhalb des Schattens daran arbeitend, jenen Konsens herzustellen, den er braucht, um die erbitterte Opposition Deutschlands gegen das Quantitative Easing auszumanövrieren.
Es ist nicht wirklich die Frage, ob das Programm angekündigt wird, sondern vielmehr, welche Form es haben wird: Wie groß wird es sein, die Bonds welcher Länder werden aufgekauft und wer wird für die Risiken der angekauften Assets haften? Alles unterhalb von 500 Milliarden Euro an Staatsanleihekäufen wird den Markt enttäuschen.
Das Programm wird voraussichtlich zwar nicht den Kauf von Staatsanleihen aus Griechenland und Zypern enthalten, aber die Möglichkeit offen lassen, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu tun. Die Frage, wo das Risiko liegen wird, ist schwieriger zu beantworten.
Wenn die gekauften Staatsanleihen auf die Bilanz der EZB genommen werden, ist dies de facto eine Vergemeinschaftung des Risikos innerhalb der Eurozone. Dies wäre das bessere Programm, wird aber einer sehr starken Opposition des von Deutschland dominierten EZB-Rats gegenüber stehen, der vehement dagegen ist, dass die Schuldenlast geteilt wird.
Wenn das Risiko stattdessen auf die Bilanzen der verschiedenen nationalen Notenbanken genommen wird, könnte das stillschweigend den Eindruck erwecken, dass die Bonds der Eurozone ein Kreditrisiko haben – ein Signal, das die EZB nicht wirklich aussenden will. Dies würde es der EZB jedoch erleichtern, ein deutlich höheres Ankaufprogramm anzukündigen.
Sollten wir ein Programm über mehr als 500 Milliarden Euro bekommen, dann können wir mit einem Verkauf des Euro und einer Verringerung der Spreads in der Europeripherie im Anschluss an die Ankündigung rechnen. Schwieriger vorherzusagen ist, wie deutsche Staatsanleihen reagieren werden. Es könnte zu einem Verkauf nach der QE-Ankündigung kommen, weil die Inflationserwartungen ansteigen und sich die Wahrnehmung ändert, was eine riskante Anlage ist und was nicht (wie es die Erfahrung in Großbritannien und den Vereinigten Staaten war, nachdem diese ihre Programme gestartet hatten). Oder es kommt vielleicht doch zu einer Rally unter der schieren Last der EZB-Käufe.
Von: Svetlana Kerschner
Quelle: DAS INVESTMENT.