SJB | Korschenbroich, 19.06.2015. „Der Nutzen für die chinesische Wirtschaft und für Anleger dürfte erheblich sein“, so die Einschätzung von Mark Mobius zu den Auswirkungen der Reform staatlicher Unternehmen in China. Der Chef der Templeton Emerging Markets Group beleuchtet in seinem aktuellen Kommentar das chinesische Reformvorhaben.
Chinesische Aktien konnten in der ersten Hälfte dieses Jahres stark zulegen. Es ist jedoch wichtig, daran zu denken, dass der chinesische Aktienmarkt in Wirklichkeit aus mehreren Märkten besteht. Die Märkte in Shanghai (A-Aktie) und Hongkong (H-Aktie) werden von staatlichen Unternehmen (State-Owned Enterprises, SOEs) dominiert, die als „Blue Chip“ Titel gelten. Der Markt in Shenzhen (A-Aktie) ist das Zuhause kleinerer Titel des Landes.
Das Interesse vieler Anleger an chinesischen SOEs wurde zweifelsfrei durch die Erwartungen an die baldige Umsetzung von Reformvorhaben der Regierung geweckt. Quellen in Regierungsnähe teilten mit, dass die Reformpläne schon bald konkrete Formen annehmen dürften. Das trug zu den Zugewinnen der letzten Zeit an den Aktienmärkten in Shanghai und Hongkong bei. In der Tat verzeichneten viele SOEs bereits in den letzten Wochen eine signifikante Aktienkursvolatilität. Angesichts der Marktrally in diesem Jahr dürften wir weiterhin mehr Volatilität an den chinesischen Märkten erleben.
Staatliche Unternehmen mit sinkenden Erträgen
Die SOEs sind ein grundlegendes Instrument der chinesischen Regierungspolitik. Wir halten die Reformen insgesamt für eine Verbesserung der Wirtschaft für äußerst wichtig. SOEs repräsentieren circa vierzig Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung und zwanzig Prozent der Arbeitsplätze im Land. Sie sind ein wichtiger Mechanismus für die Weiterleitung der geldpolitischen Anreize an die breitere chinesische Wirtschaft. Dies geschieht über Investitionspläne, die über Vorzugskredite staatlicher Banken finanziert werden.
Allerdings sind die Erträge von SOE-Werten von einem ungefähren Gleichstand mit dem Privatsektor im Jahr 2008 auf etwas mehr als die Hälfte des aktuellen Ertragsniveaus der Privatunternehmen gefallen. Grund hierfür sind schlecht durchdachte und politisch motivierte Investitionen. Mehrere SOEs scheinen auch aufgrund steigender Kreditlasten und geringer Rentabilität in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Die Regierung wirkt jetzt mehr als jemals zuvor entschlossen, die Mängel in der Geschäftsführung von SOEs anzugehen. So soll eine stärker marktorientierte und unternehmerisch denkende chinesische Wirtschaft geformt werden.
Die derzeitige Zusammensetzung des chinesischen SOE-Systems ist das Ergebnis von Reformmaßnahmen, die fast zwei Jahrzehnte weit zurückreichen. 2014 war die Art der Reformen, die von der chinesischen Regierung geplant waren, unklar. Die darauffolgende Aktivität deutet – zumindest bei von der Zentralregierung kontrollierten Unternehmen – nicht auf eine „Privatisierung“ hin, wie man sie aus dem Westen kennt. Dabei würden Unternehmen ganz oder teilweise an den Privatsektor veräußert werden und der Staat sich aus der Geschäftsführung zurückziehen.
Pilotprojekte der SOE-Reform laufen
Von sechs Pilotprojekten im Rahmen der SOE-Reformen, die im April 2014 angekündigt wurden, ging es bei nur zwei Unternehmen um Privatkapitalinvestitionen. Die Unternehmen suchten nach Zuführungen zusätzlichen Kapitals in bestehende notierte Tochtergesellschaften. Dies führte zu gemischten Besitzverhältnissen, die stark von staatlichen Aktionären dominiert wurden. Zwei andere Unternehmen experimentierten mit einem unabhängigen Vorstand mit Blick auf die Kapitalverwaltung. Dadurch wurde eine Barriere zwischen dem Unternehmen und seinen staatlichen Besitzern geschaffen, was dem in Singapur entwickelten Modell ähnlich ist.
Ein weiteres Pilotprojekt behielt die SOE-Struktur größtenteils bei, verlieh aber dem SOE-Vorstand die Autorität, das Geschäftsführungsteam einzusetzen und für dieses Anreize zu schaffen. Diese Reformen reflektieren die Ansicht in Regierungskreisen, dass es wichtig ist, Sicherungssysteme zwischen der Hauptgeschäftsführung und den staatlichen Besitzern einzubauen. Dabei hat entweder die Geschäftsführung selbst oder eine zwischengeschaltete Ebene von Vermögensverwaltungsgesellschaften die Aufgabe, eine marktorientierte Unternehmensstrategie durchzusetzen.
Mehrere SOEs haben seit Ankündigung des Pilotprojekts eigene Initiativen umgesetzt. Ein großer Erzeuger von Atomstrom sowie ein Anbieter von Finanzdienstleistungen haben beispielsweise die Vermögen staatlicher Holdinggesellschaften in notierte Tochtergesellschaften eingebracht. Ein führendes Ölunternehmen verkaufte einen Minderheitsanteil an seinem Benzinvertriebsgeschäft an eine Investorengruppe. Weiterhin führte ein Zementhersteller eine Kapitalumstrukturierung durch, wodurch ein von Mitarbeitern kontrolliertes Gremium zum größten Aktionär des Unternehmens wurde. Gleichzeitig scheinen andere Unternehmen einem konventionelleren Weg zu folgen, indem sie Privatkapital für bestimmte Gemeinschaftsprojekte aufnehmen. In mehreren Fällen gewährten Geschäftsführungen eine Beteiligung an den Unternehmen, die sie führten.
Zukünftig weniger zentral kontrollierte SOEs
In den letzten Monaten schien die chinesische Regierung einem anderen Reformweg zugeneigt zu sein. So wurden zwei staatliche Unternehmen im Bahnbereich fusioniert, um die Duplikation von Ressourcen zu vermeiden. Außerdem kann so ein größeres Volumen in ausländischen Märkten erzielt werden. Dies erwies sich unter Anlegern als äußerst populär und die Kommentare in gut vernetzten Journalen deuteten auf weitere Initiativen ähnlicher Art hin. In einem Bericht wurde gemeldet, die staatliche Kommission des Staatsrats zur Beaufsichtigung und Verwaltung (SASAC) plane eine drastische Reduzierung der Zahl zentral kontrollierter SOEs – von derzeit 112 auf 40. Allerdings wurde der Bericht in der staatlich kontrollierten Economic Information Daily später durch eine SASAC-Veröffentlichung heruntergespielt. Die Gerüchte über Fusionspläne bestehen jedoch weiterhin.
Eine Welle von Unternehmensaktivitäten im SOE-Bereich dürfte unserer Meinung nach signifikante Chancen für Anleger schaffen. Im Hinblick auf eine erhöhte Effizienz oder Marktsensibilität sehen wir allerdings durch eine einfache Vergrößerung von Unternehmen ohne andere Reformen wenig langfristige Folgen für den SOE-Sektor. Natürlich schließen Fusionen, sofern sie stattfinden, andere Maßnahmen nicht aus. In zentralem Besitz stehende SOEs sind unserer Meinung nach aber nicht in jedem Fall der richtige Ort für frühe, ehrgeizige Reformen.
Wie bereits angemerkt sind in Zentralbesitz stehende Unternehmen meistens in Sektoren tätig, die immer noch als strategisch gelten. Das führt zu Zurückhaltung dabei, die Kontrolle der Geschäftsführung durch private Interessen zu ersetzen. Außerdem besteht bei der Zentralregierung kein unmittelbarer Bedarf an der Zuführung von Barmitteln. Sie dürfte vielmehr stärker an einer Schaffung langfristiger Einkommensflüsse interessiert sein. Das ist aus Plänen zur Erhöhung der Dividenden, die von SOEs an die Zentralregierung zu zahlen sind, ersichtlich. Von den etwa 15 Prozent, die derzeit normalerweise ausgeschüttet werden, soll eine Erhöhung auf 30 Prozent erfolgen.
„Bauern werden enteignet, um Land an Bauträger weiterzuverkaufen“
Die Situation scheint bei SOEs, die im Besitz von Lokalregierungen stehen, anders zu sein. Mehrere Faktoren machen eine aggressivere Privatisierung von SOEs im Besitz von Lokalregierungen wahrscheinlicher als dies bei Unternehmen im Besitz der Zentralregierung der Fall ist. Die SOEs der Lokalregierungen decken ein breiteres Feld von Aktivitäten ab. Viele von ihnen stehen im Wettbewerb mit effizienteren Privatunternehmen und sind nicht strategischer Natur. Diese Unternehmen sind generell weniger rentabel als zentrale SOEs.
Am wichtigsten ist unserer Einschätzung nach die schlechte Finanzlage vieler Lokalregierungen. Dadurch schafft der Verkauf von SOE-Werten einen starken Anreiz. Viele Lokalregierungen sind sehr hoch verschuldet. Gründe hierfür sind beschränkte Ertragsquellen und die wichtige Rolle, die ihnen bei den jüngsten Investitionsprogrammen zukam. Gleichzeitig wurde ihre Haupteinnahmequelle – der Verkauf von Land für Entwicklungsprojekte – weniger lukrativ. Zum einen werden die Immobilienmärkte stabiler. Gleichzeitig gelangt die Praxis, Bauern für eine geringe Entschädigung zu enteignen und das Land dann an Bauträger weiter zu verkaufen, zunehmend in den Blick der Öffentlichkeit. Es wurden zwar bereits Maßnahmen zur Reformierung der Finanzen der lokalen Regierungen ergriffen. Die Privatisierungserträge könnten aber eine große und unmittelbar verfügbare Unterstützung bieten.
Shanghai will Privatkapital bei 60 Prozent seiner SOEs zulassen
Weit über die Hälfte der chinesischen Provinzen und Gemeinden haben seit Bekanntgabe der Regierungsziele irgendeine Form von SOE-Reformmaßnahmen bekanntgegeben. Guangdong, Chongqing und Shanghai scheinen jedoch detailliertere Pläne als andere Provinzen zu haben. Meldungen Mitte des Jahres 2014 zufolge hat beispielsweise Guangdong ausländischen Anlegern Anteile an 50 verschiedenen SOEs angeboten und plant, bis 2017 70 Prozent der staatlichen Unternehmen für Privatkapital zu öffnen.
Laut einer Besprechungsunterlage der britischen Regierung bot die Provinz Chongqing Privatinvestoren sogar Anteile an mehr als 100 SOEs an. Shanghai äußerte die Absicht, bis 2020 Privatkapital bei 60 Prozent seiner SOEs zuzulassen und war für einige der aufsehenerregenden Unternehmensmaßnahmen verantwortlich. Darunter insbesondere das Einspeisen von privatem Kapital in ein angeschlagenes Hotelunternehmen und Stabilisierungsmaßnahmen im lokalen Lebensmitteleinzelhandel. Weiterhin äußerte auch die südliche Provinz Hainan Pläne zur Öffnung von Unternehmen in den Bereichen Transport, Bauwesen, Energie und Tourismus für Privatkapital.
Unserer Ansicht nach erscheint die Kluft zwischen den Absichten und den Maßnahmen derzeit groß. Lokale Regierungen und Anleger liegen in der jeweiligen Bewertung der staatlichen Unternehmen weit auseinander. In einem Briefingdokument merkt die britische Regierung an, dass nur sehr wenige Privatinvestoren an den über 100 Anlagemöglichkeiten, die von der Lokalregierung in Chongquing angeboten werden, interessiert sind.
Freihandelszonen als Zentren der Privatisierung
Wir glauben, dass sich diese Kluft durch eine Überbewertung der Unternehmen durch die Lokalregierungen sowie den mangelnden Willen, auf Kontrolle zu verzichten, erklären lässt. Ein weiterer möglicher Grund könnten die laufenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption in China sein. Die preis-bestimmenden Stellen wollen nicht beschuldigt werden, sie hätten Werte korrupt zu niedrig bewertet.
Auf der Käuferseite hatten Private Equity Vehikel in China wenig Erfolg, was das Interesse neuer Anleger einschränken dürfte. Sie sind jedoch für die Ermöglichung der Privatisierung eine potenziell wichtige Gruppe von Institutionen, die in den letzten Jahren wenige erfolgreiche Exits und schwache Kapitalerträge zeigte. Nichtsdestotrotz, könnte die Kombination aus willigen – oder erzwungenen – Verkäufern und der Menge an verfügbarem Investitionskapital zu einem steten Strom von Transaktionen führen. Dies gilt insbesondere, wenn Verkäufer bei ihren Preiserwartungen realistischer werden. Gleichzeitig müssen sich sowohl die Anleger mit der SOE-Privatisierung vertraut machen als auch die Aufsichtsbehörden mit den Bedürfnissen von Anlegern.
Wenn die Freihandelszonen erst besser etabliert sind, könnten sie unserer Meinung nach sehr gut zu Zentren der Privatisierungen werden. Jüngste Äußerungen lauten, die chinesischen Binnen-Aktienmärkte seien zunehmend gut geöffnet für ausländische Anleger und ermöglichen eine Zulassung für internationale Aktienindizes. Dies kann die Zahl der potenziellen ausländischen Käufer nur erhöhen. Insgesamt sind wir der Überzeugung, dass die SOE-Reformen in China schnell fortschreiten werden. Der potenzielle Nutzen für die chinesische Wirtschaft und für Anleger dürfte erheblich sein.
Von: Mark Mobius
Quelle: DAS INVESTMENT.