SJB | Korschenbroich, 22.05.2015. Ist der deutsche Leitindex nach seinem Rekordhoch überhitzt, oder ist er noch immer günstig? Die Antwort richtet sich ganz nach der Sichtweise. DAS INVESTMENT zeigt beide Seiten der Medaille.
Die Hochzeit im Himmel – Zitat Daimler-Chef Jürgen Schrempp – war der Weg in die Milliardenhölle. Nachdem Daimler sich 1998 mit dem US-Konkurrenten Chrysler vermählte, bekam es wirtschaftlich kein Rad mehr auf die Fahrbahn. Der Aktienkurs fuhr dem Dax über Jahre nur noch hinterher. Heute – eine Scheidung später – blickt die Daimler-Aktie nicht nur auf prächtige Kursgewinne zurück, sie ist sogar die beliebteste Aktie im Dax (siehe Tabelle, Link weiter unten). Nimmt man nämlich alle Kommentare der verantwortlichen Analysten und reiht sie in eine Skala von 1 bis 5, entsteht ein Durchschnitt von 4,05. Wer hätte das von dem ehemaligen Dax-Bremsklotz erwartet?
Der Blick auf die am wenigsten beliebten Aktien zeigt jedoch, dass die Analystenstimmung generell ziemlich gut ist. Selbst der schlechteste Wert, Munich Re, liegt mit 2,6 nicht weit unter dem rechnerischen Mittel von 3.
Kennzahlen wirken reichlich hoch
Das und die jüngsten Kursgewinne, die den Dax auf sein Rekordhoch von 12.374 Punkten am 10. April brachten, ruft jedoch sogleich Skeptiker auf den Plan. „Überhitzt“ ist ein Wort, das dann häufig fällt. „So wie deutsche Standardwerte 2011 nach unten übertrieben hatten, überschießen sie derzeit nach oben“, hieß es etwa in einem Bericht der Hessischen Landesbank.
Also was nun? Tatsächlich wirken einige klassische Kennzahlen inzwischen reichlich hoch. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das Aktienkurse mit dem Eigenkapital von Unternehmen vergleicht, und das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegen am oberen Ende ihrer Korridore der vergangenen Jahre (Grafik Nummer 4, Link weiter unten). Somit gibt es für weiter steigende Kurse nur zwei Wege: Die Bewertungen müssen über ihre Normwerte hinaus steigen, oder die fundamentalen Daten müssen sich verbessern. Dann vergrößert sich der Nenner, und die Gesamtzahl wird kleiner.
Für Ersteres spricht ein Vergleich mit dem Zinsniveau. So ist es eine übliche Technik, den Gewinn pro Aktie am Kurs zu messen und das Ganze quasi als Aktienrendite mit Anleiherenditen zu vergleichen. Macht man das also mit zehn-jährigen Bundesanleihen, geht der Sieg ganz klar an den Dax (Grafik Nummer 2, Link weiter unten). Hand in Hand damit geht das Argument, dass es schlicht kaum noch lukrative Zinsanlagen gibt und Anleger deshalb verstärkt in Aktien ausweichen. Auch das heißt: Daumen hoch für den Dax.
Für verbesserte Fundamentaldaten sprechen der schwache Euro und der niedrige Ölpreis. Das beides, etwas zyklischer Rückenwind und Wirtschaftsreformen sorgten zuletzt für verbesserte Frühindikatoren in der Eurozone. Ein Aufschwung würde auch an den Dax-Unternehmen nicht vor-beigehen, ihre Gewinne heben und über Gewinnrücklagen auch das Eigenkapital. Auch hier: Daumen hoch.
Studie zeigt: Ausländer greifen zu
Tragisch ist es allerdings, dass die Kurs-gewinne an den Deutschen zum größten Teil wieder vorbeigehen. Denn auf der Käuferseite finden sich hauptsächlich ausländische institutionelle Anleger, legt eine Studie der Unternehmensberatung EY – ehemals Ernst & Young – nahe. Am 21. April brachte sie Zahlen über die Eigentumsverhältnisse der Dax-Unternehmen 2014. So lag der Dax zu lediglich 36 Pro-zent in den Händen deutscher Anleger, das ist ein Prozentpunkt weniger als im Vorjahr. Der Anteil von ausländischen Investoren erhöhte sich dagegen von 54 auf 56 Prozent. „Das Interesse ausländischer Investoren an deutschen Top-Unternehmen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen“, stellt Martin Steinbach fest, der bei EY die Abteilungen Neuemissionen und Listing Service leitet. Übrigens zog der Ausländeranteil bei jenen 23 Dax-Unternehmen mit entsprechenden Daten seit 2005 von 45 auf 59 Prozent an.
Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn auch in Luxemburg oder Irland aufgelegte Fonds gelten als ausländische Anleger, in ihnen steckt allerdings viel deutsches Geld. Kann man das auseinanderklamüsern? Nein, kann man nicht. EY entnimmt die Daten aus Geschäftsberichten, in denen Fonds nicht nach Anlegern aufgeschlüsselt sind. Selbst die Zentralbank, die eine ähnliche Statistik führt, räumt diese Unzulänglichkeit ein.
Genau werden wir also nicht erfahren, wem die Dax-Rekorde nützen. Hauptsache, sie kommen.
Von: Andreas Harms
Quelle: DAS INVESTMENT.