SJB | Korschenbroich, 24.09.2014. In den meisten Konjunkturprognosen wird derzeit angenommen, dass die Wirtschaft im nächsten Jahr schneller wächst als in diesem. Warum das fragwürdig ist und warum im nächsten Jahr von der Geldpolitik keine positiven Impulse kommen, erklärt Martin Hüfner, Chefvolkswirt vom Assenagon Asset Management.
Strukturreformen könnten helfen, sind aber politisch schwer zu realisieren. Wenn die Aktienkurse trotzdem weiter steigen, besteht die Gefahr, dass sie sich immer mehr von der Realwirtschaft entfernen. In diesen Wochen arbeiten die Volkswirte wieder an den Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr. Die Industrieländerorganisation OECD hat gerade eine neue Vorhersage veröffentlicht.
Der Internationale Währungsfonds wird das in zwei Wochen tun. Andere Institutionen folgen. Soweit derzeit absehbar gibt es bei allen Unterschieden zwei Konstante, die bei allen Prognosen weitgehend gleich sind.
Die eine ist, dass das Wachstum in diesem und dem nächsten Jahr niedriger ausfällt als bisher angenommen. Das ist unbestritten, weil das erste Halbjahr 2014 so schlecht gelaufen ist.
Die andere ist, dass sich die Weltwirtschaft in einem Aufschwung befindet und dass 2015 besser wird als 2014. Nach der jetzigen Prognose des IWF, die freilich noch revidiert wird, soll die Weltwirtschaft in diesem Jahr um 3,6 Prozent expandieren, im nächsten um 3,9 Prozent (siehe Grafik).
Es ist dieser Punkt, der mir Kopfschmerzen bereitet. Warum um Gottes willen soll das Wachstum 2015 größer sein als in diesem Jahr? Als diese Annahme zum ersten Mal gemacht wurde – das war vor einem Jahr –, erschien sie plausibel.
Die große Krise näherte sich, so dachten wir, dem Ende. Überall waren Reformmaßnahmen unternommen worden. Sie müssten sich jetzt auszahlen und zu einer Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft führen. Das war nach großen Krisen auch schon früher so. Auch ich habe das geglaubt.
Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass diese Annahme falsch war. Es gab weit weniger belastbare Reformen als gedacht. Die Wirtschaft ist in vielen Regionen noch nicht gesund.
Die Weltwirtschaft kam daher in diesem Jahr nur mühsam in Gang. Von einem Aufschwung nach der Krise kann allenfalls in den USA und in Großbritannien die Rede sein. Überall sonst stottert der Konjunkturmotor.
Warum soll er im nächsten Jahr wieder Fahrt aufnehmen? Manche verweisen auf Impulse von der Geldpolitik. Sie glauben, dass die EZB noch etwas Gas gibt. Auch in China kann es sein, dass die Zentralbank noch stärker lockert.
Freilich werden von den USA eher restriktive Einflüsse ausgehen. Das trifft als allererstes natürlich die Amerikaner selbst. Es wird sich nach allen Erfahrungen aber auch auf den Rest der Welt, vor allem auf die Schwellen- und Entwicklungsländer, auswirken.
Der Finanzpolitik sind die Hände gebunden. Selbst Japan hat festgestellt, dass von hohen Staatsschulden ein negativer Vertrauenseffekt ausgeht und dass man mit weiterem “Deficit Spending” daher vorsichtig sein sollte.
Strukturreformen zur Beseitigung von Wachstumshemmnissen, zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Gesundung der Banken könnten helfen. Sie haben in Spanien den Aufschwung eingeleitet. Indien hat sich Modernisierung auf die Fahnen geschrieben.
Aber diese Länder sind Ausnahmen. Wir sehen in Japan, Italien und Frankreich, wie schwer Strukturreformen politisch durchsetzbar sind. Selbst in Deutschland, das sich viel auf seine Rolle als wirtschaftspolitischer “Musterknabe” einbildet, gibt es keine Reformen.
Wenn die politischen Rahmenbedingungen keine Hilfe geben – könnte der Aufschwung vielleicht aus der zyklischen Dynamik der Märkte selbst kommen? So wurde schon manch ein Aufschwung geboren.
Im Augenblick sieht es aber nicht danach aus. Die Investitionsbereitschaft der Unternehmen ist weltweit eher schwach. Die Firmen sitzen auf riesigen Cash-Positionen und warten auf Investitionsgelegenheiten.
Der private Konsum leidet unter der hohen Arbeitslosigkeit in vielen Ländern. Teilweise spielt auch eine Rolle, dass die Realeinkommen nicht, zumindest nicht ausreichend schnell wachsen. Das gilt selbst für die USA.
Nach einer Untersuchung der Federal Reserve stagnierten die Realeinkommen der mittleren Einkommensklassen in den letzten Jahren, die der unteren Einkommensklassen (mit einer hohen Konsumquote) sanken sogar.
Hinzu kommt, dass sich die gestiegenen geopolitischen Risiken negativ auf die Nachfrage auswirken. Die dadurch geschaffene Unsicherheit führt dazu, dass Investitionsprojekte verschoben werden.
Durch die Rezession in Russland verringert sich die Nachfrage eines nicht unwichtigen Teilnehmers am Welthandel. Die bisher ergriffenen Sanktionen zwischen dem Westen und dem Osten verringern allein das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um einen Viertel Prozentpunkt.
Meine Schlussfolgerung daraus: Es ist alles andere als sicher, dass die Weltwirtschaft im kommenden Jahr stärker Fahrt aufnimmt. Sicher gibt es einige Länder, wo das der Fall sein kann, etwa die USA oder Spanien, Indien, vielleicht auch Brasilien.
Die große Mehrheit der Staaten wird auf dem jetzigen Expansionsniveau verharren, vielleicht sogar darunter bleiben. Das gilt unter anderem für China. In Europa ist wegen der Schwierigkeiten in Italien und Frankreich kaum mit mehr Wachstum zu rechnen. Japan ist mit seinen “Abenomics” ebenfalls noch nicht über dem Berg. In jedem Fall: Ein ausgewachsener Aufschwung ist das nicht.
Für den Anleger
Für die Aktienmärkte ist das keine gute Nachricht. In den letzten Jahren lebten die Märkte vielfach nur von monetären Lockerungsmaßnahmen. Das kann nicht ewig so weiter gehen.
Irgendwann müssen die höheren Aktienkurse durch bessere Gewinne unterfüttert werden. Sonst gibt es Probleme. Schauen Sie bei Ihren Investments also vor allem auf die Märkte, deren Realwirtschaft wächst. Es gibt ein paar. Einer sind die USA.
Von: Martin Hüfner
Quelle: DAS INVESTMENT.