Wir werfen im zweiten Teil unserer Serie zu Schwellenländer-Investments einen Blick auf die Wachstumsdynamik der Fonds und setzen die Flows ins Verhältnis zu Bewertungen und Risiken der Underlyings.
Wir haben im ersten Teil unseres Artikels zu Emerging Markets auf eine bemerkenswerte Trendwende in diesem Jahr hingewiesen. Schwellenländer-Investments haben sich für Anleger vom Saulus zum Paulus gewandelt. Im Zuge der Erholung der Aktien- und Bondkurse sind die Zuflüsse in Fonds deutlich gestiegen. Per Ende Juli gingen den 43 Kategorien für Schwellenländer-Investments Nettoneugelder in Höhe von 16,7 Milliarden Euro zu. Ist das das Signal zum Einstieg?
Gemach. Eine erhöhte Nachfrage nach Risikopapieren sollte per se keine Ermutigung für Anleger zum Kauf sein. Denn Mittelflüsse in Fonds gelten als ein prozyklisches Signal: Fondsanleger laufen den Ereignissen an den Märkten typischerweise hinterher. Sie kaufen dann, wenn die Kurse bereits gestiegen sind und verkaufen als Reaktion auf nachgebende Notierungen. Es kann gefährlich werden, wenn Investitionen von Fondsanlegern auf hohe Bewertungen treffen. Dem Markt droht eine Überhitzung, und die Rückschlaggefahr ist dann erhöht. (Ein spiegelbildlicher Ausstieg nach einer Korrektur ist genauso schädlich, da Verluste häufig zur Unzeit realisiert werden. Fallende Kurse bieten Langfristinvestoren zumeist attraktive Einstiegschancen.)
Wir wollen nun eine Standortbestimmung vornehmen. In welchen Segmenten der Emerging Markets treten Fondsinvestoren besonders stark als Käufer auf? Wo nimmt die Nachfrage bedenkliche Züge an? Wie sieht die Bewertung der zugrundeliegenden Aktienmärkte aus, und wie riskant sind die Bonds? Die untere Tabelle zeigt die Morningstar Kategorien für Schwellenländer-Aktien und -Renten mit der höchsten Dynamik bei den Zuflüssen in den ersten sieben Monaten 2016. Sie ist nach der organischen Wachstumsrate sortiert. Diese Kennzahl setzt die Mittelflüsse ins Verhältnis zum verwaltetem Vermögen zu Beginn der betrachteten Periode, hier also seit Beginn dieses Jahres. Diese Kennzahl gilt als aussagekräftiger als die reinen Nettomittelzuflüsse, weil sie Auskunft über die Frage gibt, ob ein Kapitalmarktsegment möglicherweise überhitzt ist. In der Tabelle finden Sie auch die durchschnittlichen Bewertungen der Aktien in den Fonds, gemessen am Kurs/Gewinn- und Kurs/Buchwert-Verhältnis, sowie die durchschnittlichen Bond-Ratings.
Tabelle: Emerging Markets Kategorien mit der höchsten Wachstumsrate 2016
Wie die obere Tabelle zeigt, war das Momentum der Zuflüsse in den beiden globalen Kategorien Schwellenländer-Anleihen EUR-orientiert und Schwellenländer Bonds für lokale Währungen am höchsten. Erstere verzeichneten ein organisches Wachstum von knapp 14 Prozent. Das bedeutet, dass seit Jahresanfang das in diesen Fonds investierte Vermögen unter Ausschluss von Performance-Effekten um 14 Prozent gestiegen ist. Absolut gesehen muten die Zuflüsse in diese Kategorie von 1,1 Milliarden Euro per Ende Juli indes unverdächtig an.
Auch bei Fonds für Anleihen, die auf lokale Währungen lauten, war das Wachstum mit über zehn Prozent stürmisch. Es folgen Fonds globale Bonds, die auf Dollar lauten. Mit einer organischen Wachstumsrate von knapp acht Prozent war die Nachfrage nach Dollar-Denominierten Schwellenländer-Anleihen nur geringfügig niedriger.
Ausfallgefahren bei Bonds oft unterschätzt
Anleger, die in derartige Produkte investieren, werden typischerweise von den vergleichsweise auskömmlichen Renditen angezogen. Der beliebte Index JPMorgan EMBI Global TR wies per Ende August beispielsweise einen durchschnittlichen Kupon von gut sechs Prozent auf. (Ausschüttende ETFs auf diesen Index kehren derzeit rund 4,8 Prozent pro Jahr aus.) Doch hohe Kupons sind heute ein Signal für ein hohes Risiko. Betrachtet man die Ausfallrisiken, dann wird dies deutlich. Ein durchschnittliches „BB“-Rating signalisiert gemäss unserer Bond-Bewertungs-Methodologie eine schwache Kreditqualität.
Nach unserer Erfahrung unterschätzen Anleger häufig die in Hochzinsfonds enthaltenen Risiken, was auch daran liegt, dass die Produktanbieter die einfach gewichteten Durchschnitts-Ratings für die Fondsbeschreibungen verwenden. Das ist nicht ratsam, da die Ausfallgefahr von Bonds mit sinkender Qualität exponentiell steigt. Das ist bei den von uns verwendeten Durchschnitts-Ratings der Fonds berücksichtigt (hier gelangen Sie zu unserer Bond-Bewertungs-Methodologie). Sie reflektieren diese Konvexität.
Angesichts der negativen Erfahrungen vieler Anleger in Schwellenländer-Bonds im Jahr 2013 lohnt es sich auch an die seinerzeitigen Umstände zu erinnern. Die blosse Ankündigung des seinerzeitigen Fed-Chefs Ben Bernanke, die Anleihekäufe durch die US-Notenbank zurückzufahren, reichte für eine veritable Korrektur. Anleger, die heute verstärkt in Emerging Markets Bond-Fonds investieren, setzen also darauf, dass es nicht zu Zinserhöhungen in den USA kommen wird — oder dass die Folgen nicht so schlimm sein werden wie das seinerzeitige „Taper Tantrum“. Ob sie sich dabei auf gesicherte Erkenntnisse oder auf das Prinzip Hoffnung stützen, ist indes nicht bekannt.
“Wer heute verstärkt auf Emerging Markets Bonds setzt, hält die Risiken für überschaubar. Ob er sich dabei auf gesicherte Erkenntnisse oder auf das Prinzip Hoffnung stützt, ist nicht bekannt. ”
Auch bei den Aktienkategorien liefert ein Blick auf die Wachstumsdynamik interessante Einblicke. Dort, wo die Mittelflüsse 2016 absolut gesehen bisher am höchsten waren, verharrte die organische Wachstumsrate auf einem relativ niedrigen Niveau. Die Rede ist von global anlegenden Schwellenländer-Aktienfonds. Sie sammelten in den ersten sieben Monaten netto 10,47 Milliarden Euro ein, so viel wie keine andere Schwellenländerkategorie. Dies entspricht allerdings nur etwas über sechs Prozent des Vermögens der Kategorie per Jahresanfang. Der Run ist hier also ungeachtet der absolut hohen Zuflüsse nicht vergleichbar mit der Wachstumsdynamik von Emerging Markets Rentenfonds.
Die Bewertungen scheinen zudem erträglich. Global investierende Fonds setzen auf Aktien mit einem durchschnittlichen Kurs/Gewinn-Verhältnis von 14,8. Das Kurs/Buch-Verhältnis beläuft sich auf 1,88. Zum Vergleich: Die Aktien im MSCI World Index kommen auf ein KGV von 18,7 und ein KBV von 2,11. Nicht nur das Momentum der Zuflüsse ist also moderat, die Bewertungen sind es auch.
Auch bei Nebenwertefonds sieht es relativ entspannt aus. Die organische Wachstumsrate der Fonds liegt bis dato bei vergleichsweise moderaten 7,4 Prozent. Die Bewertungen sind mit einem KGV von durchschnittlich 15,8 etwas höher als die von Standardwerten, erscheinen aber ebenfalls moderat.
Brasilienfonds wachsen stark, kommen aber von niedrigstem Niveau
Höher ist die Dynamik bei Brasilien-Aktienfonds. Hier liegt das organische Wachstum bei recht sportlichen 9,5 Prozent in diesem Jahr. Allerdings dürfte das in erster Linie am stark gesunkenen Vermögen von Brasilienfonds liegen, die in den vergangenen Jahren wegen der schwachen Fundamentaldaten und der schwachen Performance brasilianischer Aktien stark verkauft wurden. Bewertungsseitig sieht es bei den Brasilien-Aktien, die in den Fonds der Morningstar Kategorie vertreten sind, indes nicht bedenklich aus. Mit einem durchschnittlichen KGV von 14 und einem KBV von 1,6 zählen Brasilien-Aktien zu den günstigsten Schwellenländer-Titeln.
Anders die Lage bei Lateinamerika-Aktienfonds, die sowohl stark wachsen als auch bewertungsseitig nicht attraktiv aussehen. Das dürfte vor allem daran liegen, dass viele Fondsmanager (günstige) Brasilien-Aktien eher meiden und stattdessen stärker auf Mexiko und Chile setzen. Gerade erstere sind inzwischen sehr teuer. Anleger sind hier also mit dem typischen Value-Dilemma konfrontiert: höhere Rendite-Chancen bei Value kontra den höheren Wohlfühlfaktor bei weniger problembehafteten Aktien aus Mexiko.
Warnlampen sollten auch mit Blick auf Aktienfonds mit Fokus auf Thailand angehen. Die absoluten Zuflüsse in solche Fonds sind optisch mit 50 Millionen Euro lächerlich gering. Allerdings entspricht das immerhin einer organischen Wachstumsrate von 7,5 Prozent. Vor allem sind die Bewertungen thailändischer Aktien ambitioniert, wie aus der oberen Tabelle hervorgeht.
Wir wollen unsere Übersicht nun mit einem Blick auf die grössten Kategorien für Schwellenländerinvestments vervollständigen. Die untere Tabelle enthält die grössten zehn der in unserer Datenbank enthaltenen 43 Schwellenländer-Kategorien. Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass es mit der Liste der dynamisch wachsenden Kategorien Überschneidungen gibt. Das ist insofern beruhigend, weil es bedeutet, dass Anleger weniger auf Exotenmärkte, sondern eher auf breit streuende Produkte setzen. (Ausnahmen sind hier die besagten Thailand-Fonds, die allerdings keine kritische Grösse darstellen).
Tabelle: Indien- und China-Fonds sind aus der Mode gekommen
Zu den ungeliebten Kategorien zählen dagegen vor allem Fonds für China- und Indien-Aktien, Aktienfonds der Kategorie Asien ex Japan sowie global investierende Fonds für Unternehmensanleihen. Besonders hohe Abflüsse mussten Fonds für China-Aktien hinnehmen. Sie verloren in den ersten sieben Monaten gut vier Milliarden Euro. Indien-Aktien wurden mit Nettoabflüssen von knapp 1,5 Milliarden Euro ebenfalls stark verkauft wie auch Fonds der Kategorie Aktien „Greater China“, die 1,1 Milliarden Euro verloren.
Blickt man auf die Bewertungen, so ergibt sich ein differenziertes Bild. Mit einem durchschnittlichen KGV von 11,9 sind die Titel in China-Fonds, die vor allem an der Börse in Hongkong gelistet sind, günstig. Spiegelbildlich sind die Bewertungen der Indienfonds mit einem KGV von gut 24 dagegen teuer. Behavioural-Finance-Fans sollten also zur Kenntnis nehmen, dass ein Markt nicht allein deshalb attraktiv ist, weil Fonds auf der Verkaufsseite stehen. Es lohnt sich, auch auf die Bewertungen zu blicken.
Beide Fondsgruppen sind ein Spiegelbild der Marktentwicklung der vergangenen Jahre: Indien-Aktien haben sehr stark von den Hoffnungen auf Reformen und Deregulierung profitiert. Das spiegelt sich auch in den Bewertungen wider. Dagegen wurden China-Aktien seit 2015 hart abgestraft. Sie leiden unter der Verunsicherung der Anleger, die um das Wachstum des Reiches der Mitte bangen. Für risikobereite Anleger gilt hier abzuwägen: Macht die Kombination aus schlechten Nachrichten und tiefen Bewertungen China-Aktien attraktiv, oder ist die alte Liebe nach schweren Enttäuschungen nachhaltig verblasst?
Im dritten Teil unserer Serie greifen wir die Aktiv-Passiv-Debatte auf. Idealtypisch gelten Emerging Markets als Kapitalmarktsegmente, bei denen sich Fondsmanager infolge von Informations-Ineffizienzen Vorteile gegenüber Indexfonds verschaffen können. Wir machen die Probe aufs Exempel und schauen nach, ob und, wenn ja, wo sich aktives Management behauptet hat.