Der Iran ist seit Januar 2016 einen Großteil der Sanktionen los. Das Land wartet geradezu darauf, aus seinem wirtschaftlichen Dornröschenschlaf zu erwachen. In kürzester Zeit sollte das Wirtschaftswachstum von unter ein auf 6 bis 8 Prozent hochschnellen, erklärt Stefan Böttcher von Charlemagne Capital.
Nach dem Inkrafttreten des lange erwarteten Nuklearabkommens zwischen dem Iran und der „5+1 Gruppe“, kehrte das Land am 16. Januar 2016 wieder auf die Bühne der internationalen Finanzmärkte zurück. Praktisch alle EU- und UN-Sanktionen wurden mit sofortiger Wirkung aufgehoben, während einige US-Sanktionen weiter bestehen bleiben.
Freigesetzte Assets
Für den Iran bedeutet das, dass zahlreiche wichtige Meilensteine sehr schnell erreicht werden können. Diese umfassen den Lagerbestand von 30 bis 40 Millionen Barrel Öl, der umgehend zum Verkauf freigegeben werden kann. Zusätzlich erwarten wir einen sofortigen Exportanstieg um 300.000 Barrel pro Tag, der sich bis zum Jahresende auf 500.000 Barrel pro Tag steigern sollte.
Wichtig ist auch, dass der Iran über ein Vermögen von 32 Milliarden US-Dollar an im Ausland eingefrorenen Geldern verfügen kann, wobei die Gesamtsumme auf 100 bis 130 Milliarden Dollar geschätzt wird. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Wiedereinführung des Swift-Zahlungssystems, welches iranische Banken wieder an den internationalen Zahlungsverkehr anschließen soll.
Des Weiteren sind langfristige Vorteile in Form von ausländischen Direktinvestitionen und Kapitalmarktinvestitionen zu erwarten. Die in absehbarer Zukunft angestrebten ausländischen Direktinvestitionen betragen 50 Milliarden Dollar, in einer Volkswirtschaft mit einem Bruttoinlandsprodukt von zurzeit gerade mal 400 Milliarden Dollar.
All diese positiven Faktoren veranlassen uns dazu, ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6 bis 8 Prozent zu erwarten, im Vergleich zu derzeitig weniger als ein Prozent.
Kein reines Rohstoffland
Irans wirtschaftliches Gefüge macht das Land zu einer einmaligen Investitionsgelegenheit innerhalb der regionalen sowie internationalen Vergleichskategorie. Trotz weltweit größter Öl- und Gasreserven, Reichtum an über 40 mineralischen Rohstoffen wie Kohle, Salz und Kiesel und über 20 Metallarten wie Kupfer, Eisenerz und Uran, werden nur 10 Prozent des iranischen Bruttoinlandsproduktes aus dem Energiesektor generiert.
Ein verhältnismäßig hochentwickelter Dienstleistungssektor und verarbeitende Industrie eröffnen eine hohe Anzahl an Kapitalanlagemöglichkeiten außerhalb des für die Region traditionellen Energiebereichs.
Infolgedessen wird die mit der Aufhebung der Sanktionen verbundene Belebung und das massive Potenzial für Auslandsinvestitionen nicht nur von der Konsumentennachfrage der 80 Millionen Iraner getrieben, von denen sich 51 Prozent im Alter von unter 30 Jahren befinden. Stattdessen sollte auch das immense Exportpotenzial in die Nachbarländer mit ihren deutlich geringer diversifizierten Volkswirtschaften Irans Wirtschaft beleben.
Unter den zahlreichen neuen Märkten, die sich momentan im Prozess der Öffnung für die Außenwelt befinden, verfügt der Iran allein über bestimmte Merkmale, die es zu einer einmaligen Investitionsmöglichkeit werden lässt. Im Gegensatz zu den besonders spannenden Beispielen an Ländern wie Kuba, Äthiopien und Myanmar, die sich von der internationalen Isolation erst vor kurzem befreit haben, findet man im Iran unter anderem einen voll funktionsfähigen Bankensektor, ein Justizsystem und einen weitgehend entwickelten Kapitalmarkt.
Nicht von niedrigerer Bedeutung ist die Tatsache, dass das Bildungsniveau der Bevölkerung mit eines der höchsten unter den Entwicklungsländern ist. Unter den über vier Millionen Universitätsstudenten sind mehr als die Hälfte Frauen. Außerdem verfügt das Land über eine gut entwickelte Infrastruktur, eine kapitalistische Marktordnung und über eine beachtliche Reformagenda für das Wirtschaftssystem.
Keine Wachstumshindernisse
Ein Faktor, der viele Entwicklungsländer unter ihrem Potenzial wachsen lässt, wie man es in zahlreichen Ländern des afrikanischen Kontinents und in Südasien gesehen hat, ist das Energiedefizit. Iran befindet sich bereits weltweit auf Platz 14 in Bezug auf installierte Leistungskapazität, während die Kapazitätsauslastung im Jahr 2014 nur bei 42 Prozent lag.
Beträchtliche Investitionen im Energiesektor über die vergangenen 15 Jahre sowie sehr niedrige Energieträgerpreise resultieren in günstigen Strompreisen und der Fähigkeit, den Nachfragewachstum mindestens für ein Jahrzehnt befriedigen zu können, ohne dabei die Kapazitätsgrenzen zu erreichen.
Eine relativ progressive Kapitalmarktinfrastruktur und Bankenlandschaft lassen den Iran auch hier im Vergleich zu anderen sogenannten Frontier Märkten gut dastehen. Während notleidende Kredite durchaus ein Grund zur Sorge sein können, lässt die Tatsache, dass 92 Prozent der Iraner über ein Girokonto sowie 75 Prozent über eine Debitkarte verfügen und außerdem 32 Prozent der Bevölkerung einen Kredit bei einem Finanzinstitut aufgenommen haben, darauf schließen, dass das Finanzsystem bereits relativ robust ist. Zudem dürfte es in der Lage sein, einen deutlichen Fluss an Auslandsinvestitionen zu absorbieren.
Dementsprechend ist auch die Fähigkeit, durch mehr Fremdkapitalaufnahme das Wirtschaftswachstum voranzutreiben, deutlich höher als in vergleichbaren Märkten. Die Staatsverschuldung als Anteil am BIP liegt bei nur 4 Prozent, sodass das Problem notleidender Kredite mit Hilfe des Staates ohne großen Aufwand gelöst werden kann. Mit einer Inflationsrate von jetzt weniger als 10 Prozent und fallenden Leitzinsen könnte ein Anstieg der Staatsverschuldung zu einem weiteren Auslöser für mehr Wirtschaftswachstum werden.
Der erste Ansturm
Die Kombination aus Humankapital, Infrastruktur, erwähnenswerten Binnen- und Exportmärkten sowie Zugang zu günstiger Energie machen das Land seit vielen Jahren zu einem höchst attraktiven Ziel für Unternehmen der verarbeitenden Industrie.
Bereits kürzlich wurden wir Zeuge des Ansturms internationaler Konzerne aus Italien, Frankreich und China. Sie alle verfolgen das Ziel, von der Öffnung des Irans mit Handelsverträgen in Milliardenhöhe zu profitieren.
Viele dieser Unternehmen erneuern ihre alte Beziehungen von vor den Sanktionen, wie im Falle von Peugeot, die neue Verträge abgeschlossen haben, aber auch eine Entschädigungszahlung an iranische Partner für den erzwungenen Vertragsbruch vereinbart haben. Vor der Einführung der Nuklearsanktionen produzierte der Iran 1,6 Millionen Kraftfahrzeuge im Jahr 2011. Solch eine Ziffer zeigt das enorme Potenzial für Unternehmen aus dem Ausland.
Der Iran befindet sich seit 2006 in einem Reformprozess, mit dem Ziel, den Anteil der Staatsbeteiligung an der Wirtschaft bis 2017 von 75 auf 20 Prozent zu reduzieren. Der Großteil dieser Privatisierung ist bereits über zahlreiche Platzierungen am Aktienmarkt auf dem Weg.
Blick auf den Aktienmarkt
Unserer Einschätzung nach befinden sich 99,5 Prozent des Marktes im Besitz von Inländern. Der Aktienmarkt hat zurzeit über 500 Unternehmen aus 23 unterschiedlichen Sektoren und die Marktkapitalisierung liegt bei circa 100 Milliarden Dollar. Mit einem täglichen Umsatzvolumen von bis zu 300 Millionen Dollar wäre der Iran im Fall einer Indexaufnahme der größte Frontier Market.
Die positive Entwicklung des Aktienmarktes nach der Aufhebung der Sanktionen von 13 Prozent im Januar sieht umso beeindruckender aus, zieht man einen Vergleich zu den Nachbarn in Ägypten (minus 16 Prozent), Saudi Arabien (minus 13 Prozent), Kuwait (minus 8 Prozent) und Vereinigte Arabische Emirate (minus 6 Prozent).
Wir gehen davon aus, dass dies nur der Anfang einer sehr deutlichen Aufwertung des iranischen Aktienmarktes ist, der durchaus einige Jahre anhalten könnte. Der Markt handelt zurzeit auf einem 2016er Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von gerade mal 5,5, während ein Markt wie Saudi Arabien mit einem 2016er KGV vom 13 bewertet wird. Die globalen Frontier Markets sind mit 11 doppelt so teuer.
Zusätzlich zur bereits erwähnten anhaltenden Aufwertung, gehen wir von einem Gewinnwachstum iranischer Unternehmen aufgrund des zu erwartenden hohen Konjunkturwachstums aus, welches deutlich stärker als in vergleichbaren Märkten ausfallen sollte.
Somit sind wir der Meinung, dass der Iran mit einem Aufschlag zu anderen Märkten in der Region sowie den globalen Frontier Märkten handeln sollte.
Blick auf die Risiken
Nichtdestotrotz bestehen weiterhin gewisse Risiken, die zunächst überwunden werden müssen, um das wirtschaftliche Potenzial des Landes auszuschöpfen. Das Risiko einer Wiedereinführung der Sanktionen ist wahrscheinlich das prominenteste Risiko, aber je mehr Zeit vergeht und je mehr Unternehmen aus dem Ausland sich im Iran engagieren, desto niedriger sehen wir die Wahrscheinlichkeit, dass der Rest der Welt in diesem Fall der US-Regierung blind Folge leistet.
Trotz des hohen Diversifizierungsgrades der Volkswirtschaft sind die Staatseinnahmen zu 30 Prozent vom Energiesektor abhängig. Dementsprechend wird der Ölpreis zu einem gewissen Grad die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen.
Und schließlich das schwer quantifizierbare Risiko einer weiteren Zunahme geopolitischer Spannungen in der Region, die sich eher in einem Anstieg der Risikoprämie manifestieren würden, als eine unmittelbare Kriegsgefahr für den Iran selbst darstellen sollten.
Zusätzlich gibt es eine Anzahl von Aspekten struktureller Natur, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, um das Investitionsklima zu verbessern und somit die Transaktionskosten zu reduzieren.
Dazu zählen: die Vereinheitlichung des Wechselkurses, eine Annäherung an international geltende Rechnungslegungsstandards, Institutionalisierung der lokalen Aktionärslandschaft, eine Lockerung der Preiskontrollen und weitere Abschaffung von Subventionen.
Viele dieser Missstände sind das Ergebnis jahrelanger ökonomischer Isolierung des Landes, und somit mit dem fehlenden Anreiz für Reformen verbunden, die dazu dienen, internationales Kapitals anzuziehen. Dies wird sich jetzt ändern.
Fazit
Schließlich glauben wir, dass der Iran über das Potenzial verfügt, zu einer der attraktivsten Anlagemöglichkeiten des Jahrzehnts für direkte und Kapitalmarktinvestoren zu werden. Es ist äußerst selten, dass man so einen wohldiversifizierten Markt in einem Land mit mittlerem Einkommensniveau findet, in dem die internationale Investorengemeinschaft weitgehend abwesend ist.
Wie bei jedem Markt, der sich in einem Reformprozess befindet, werden wir entlang des Weges Schwierigkeiten erfahren und Rückschläge einstecken müssen, aber bei einem Aktienmarkt mit KGV-Bewertung von nur 5,5 werden die Risiken von den Chancen bei weitem überstrahlt.
Von: Stefan Böttcher
Quelle: DAS INVESTMENT.