Heute schon gescrabbelt? Sie wissen schon – das Brettspiel, bei dem man durch geschicktes Jonglieren mit Buchstaben Punkte sammelt. Unserem Kolumnisten Markus Stillger hat es dabei besonders das Wort „Versprechen“ angetan. Sein Credo: Es wissentlich falsch zu benutzen ist weit mehr als ein harmloser Versprecher.
Die Finanzbranche lebt wie keine andere Wirtschaftssparte davon, dass die Kunden den Angeboten vertrauen. Dort gilt nicht der Grundsatz „Geld gegen Ware“, sondern „Geld gegen mehr Geld am Tag X“. Entscheidend für das Mehr ist eine kalkulatorische Zinshöhe, die der Anbieter einer Kapitalanlage in seinem Angebot unterstellt. Allen Anbietern von täglich verfügbaren Investmentfonds hat der Gesetzgeber dabei in den vergangenen Jahren mit einer wahren Regulierungs-Orgie bis ins letzte Detail vorgeschrieben, über welche Risiken ein potentieller Investor aufzuklären ist.
Leider waren die Messer der Behörden-Rasenschere nicht bei allen Anbietern auf die gleiche Höhe eingestellt. Wie sonst lässt sich erklären, dass zum Beispiel eine Schweizer Firma ungeniert Anzeigen in deutschen Medien schalten kann, in denen sie mit 12 Prozent Zinsen pro Jahr für eine Beteiligung an lateinamerikanischen Holzplantagen wirbt? Abgesehen davon, dass die Zinsen natürlich keine Zinsen sind, kommt in diesem Fall erschwerend hinzu, dass die Erträge nicht jährlich, sondern größtenteils erst in thesaurierter Form nach 20 Jahren ausgezahlt werden. Ich wage an dieser Stelle die Prognose, dass hier mehr als die Hälfte der Investoren schon an der korrekten Zinseszinsrechnung scheitert, wenn es gilt, am Ende der Laufzeit die Auszahlungen ins Verhältnis zu den Einzahlungen zu stellen.
Das größte thesaurierte Zinsversprechen aller Zeiten haben in Deutschland übrigens die Lebensversicherer abgegeben. 93,8 Millionen Verträge mit einer durchschnittlichen Sparsumme von nahezu exakt 1.000 Euro pro Jahr verzeichnet die Branche per Ende 2014 in ihrem Bestand. Die Mehrzahl abgeschlossen von Kunden, denen eine Auszahlung – inklusive Überschussbeteiligung – versprochen wurde, von der man heute schon aufgrund der jüngsten Zinsentwicklung definitiv weiß, dass das Versprechen am Ende des Tages nicht zu halten sein wird. Wer seine Wertmitteilungen genau studiert und auch versteht, wird erkennen, dass sich die Auszahlungsprognosen mittlerweile auf den Garantiezins reduziert haben. Und 4 Prozent Garantiezins heißt noch lange nicht 4 Prozent Rendite.
Apropos 4 Prozent: Auf der Suche nach dem stetigen Ertrag bildet diese Zahl ja eine magische Hürde für alle Akteure am Kapitalmarkt. Derjenige, der seinen Kunden eine vierteljährliche Ausschüttung in Höhe von einem Prozent seines Kapitals nicht nur versprechen, sondern auch liefern kann, steht in der Gunst der Anleger momentan ganz weit oben. Das führt teilweise zu kuriosen Versprechern. Da gibt es zum Beispiel den Fondsmanager, der in seinem Kommentar vollmundig Folgendes schreibt: „Wir haben 4 Prozent ausgeschüttet und damit unser Ziel erreicht.“ Die Tatsache, dass der Anteilspreis von 100 auf 92 Euro gefallen ist, erwähnt er nur am Rande.
Oder wie ein bekannter Rentenfondsmanager, der jüngst auf einer gut besuchten Vermögensverwalter-Veranstaltung tönte: „4 Prozent Rendite pro Jahr schaffen wir immer!“ Wenn ich mir seine Performance anschaue, liegen wir im Moment bei minus 4 Prozent im Zwölf-Monats-Zeitraum. Mit einem Schuss Ironie und Gelassenheit könnte man sagen: „Der Kerl hat ja recht gehabt, er hat nur das Vorzeichen verwechselt.“ Dafür ist die Sache aber eigentlich zu wichtig, denn für viele Investoren geht es um die Existenz. Und da gibt es momentan für einen Anleger leider nur eine ehrliche Ansage: „Wenn Du nicht bereit bist, mit Deiner Anlage Schwankungen zu ertragen, dann bleib mit Deinem Geld zu Hause. Es gibt keinen risikolosen Zins mehr und auch keinen risikolosen Ertrag!“
Aber wer kann sich eine solche Aussage gegenüber einem potentiellen Kunden schon leisten? Ich kann als Berater oder Fondsmanager nur meine Sicht der Dinge schildern und hoffen, dass jemand diesen Überlegungen folgt. Auch auf die Gefahr hin, mit der ein oder anderen Einschätzung schief zu liegen – im günstigsten Fall nur temporär. Auf keinem Fall darf man aber in der heutigen Zeit dem Anleger Sicherheit suggerieren, wo keine ist. Jeder, der Anleger wissentlich mit unhaltbaren Versprechen lockt, macht sich deshalb nicht nur eines Versprechers schuldig. Er ist auf dem besten Wege, auch das „s“ ersatzlos zu streichen und das „p“ durch das zwar etwas weicher klingende, aber den Wortsinn deutlich verschärfende „b“ zu ersetzen.
Über den Autor: Markus Stillger ist Gründer und Inhaber der Stillger & Stahl Vermögensberatung und der MB Fund Advisory aus Limburg an der Lahn. Für DER FONDS kommentiert er an dieser Stelle ab sofort jeden Monat aktuelle Trends an den Kapitalmärkten und stellt ihnen seine eigene Weltsicht entgegen.
Von: Markus Stillger
Quelle: DAS INVESTMENT.