Solvency II läutet das Ende der Garantieprodukte ein, meint Finanzberater Alexander Moll. Welche sinnvolle Alternativen es für Anleger gibt und welche weiteren Überraschungen die Versicherungsrichtlinie für Vermittler bereit hält.
Anleger und Sparer in Deutschland legen großen Wert auf Sicherheit: Viele streuen ihr Vermögen, um so das Gesamtrisiko der Investitionen zu minimieren. Das trifft auch auf Anlageprodukte im Bereich der Privaten Altersvorsorge zu, die eine wichtige Säule beim Aufbau von Vermögen darstellt.
Daher bieten viele Versicherer bei der Privaten Altersvorsorge Produkte an, die Anlegern eine Garantie auf das eingezahlte Kapital versprechen. Damit wird wohl bald Schluss sein: Der Branche stehen umfangreiche gesetzliche Regulierungen bevor, die bereits Anfang 2016 in Kraft treten.
Für Verbraucher besteht daher Handlungsbedarf: Anleger und Sparer, die in ihre Private Altersvorsorge investieren möchten, sollten sich noch bis Ende des Jahres informieren und beraten lassen. Das schleichende Ende der Garantien in der Altersvorsorge hat begonnen und betrifft insbesondere Riester-Rente und Betriebliche Altersvorsorge.
Garantieprodukte vor dem Aus
Der Name der Regulierungen: Solvency II. Solvency II ist ein Projekt der EU-Kommission zu einer grundlegenden Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Europa, vor allem der Solvabilitätsvorschriften für die Eigenmittelausstattung (mehr als nur Eigenkapital) von Versicherungsunternehmen.
Vor allem betroffen sind so genannte Garantieprodukte, also Produkte, die die eingezahlten Beiträge plus eine eventuell vereinbarte Mindestverzinsung garantieren. Diese Mindestverzinsung droht nun das Aus.
Denn laut einem Entwurf des BMF plant die Bundesregierung den Höchstrechnungszins, also den Zins, der in der Privaten Altersvorsorge maximal versprochen werden darf, zum Ende dieses Jahres abzuschaffen.
Solvency II: Chronologie der Regulierung
Um die Auswirkungen der Gesetzesänderungen auf die Private Altersvorsorge und die daraus resultierenden Folgen für Sparer und Anleger einordnen zu können, lohnt der Blick auf die Hintergründe und die Entstehung der Solvency II-Regulierung.
Mit Solvency II regelt die EU-Kommission das Versicherungsaufsichtsrecht in Europa neu. Bis zum Inkrafttreten der neuen Anforderungen gelten die derzeitigen Gesetze, auch Solvency I genannt.
Am 10. Juli 2007 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Solvency-II-Rahmenrichtlinie dem Europäischen Parlament und Rat vorgelegt. Anfang April 2009 konnten sich die 27 Unterhändler der Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments auf neue Aufsichts- und Eigenkapitalregeln Solvency II verständigen. Solvency II wurde am 22. April 2009 vom EU-Parlament und am 10. November 2009 von den EU-Finanzministern verabschiedet.
Die Umsetzung der Richtlinie in nationales deutsches Recht erfolgt über eine Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Den ersten Entwurf dafür hat die Bundesregierung im Februar 2012 in den Gesetzgebungsprozess eingebracht. Dieser verzögerte sich jedoch auf Grund ausstehender Richtlinien. Im September 2014 folgte dann der zweite Anlauf mit einem weiteren Entwurf, der am 5. Februar 2015 vom Bundestag beschlossen wurde. Der Bundesrat folgte dem Bundestag und stimmte dem neuen Versicherungsaufsichtsgesetz am 6. März 2015 zu. Damit kann und wird das Gesetz am 1. Januar 2016 in Kraft treten.
Neue Risikobewertung der Versicherer
Die Umsetzung von Solvency II in nationale Gesetzgebung zwingt alle Versicherer – also Lebensversicherer, Krankenversicherer, Unfallversicherer, Schadenversicherer, Pensionskassen, Pensionsfonds und viele weitere – zum Umdenken. Denn mit Solvency II sollen versicherungstechnische Risiken besser bewertbar gemacht werden können (Kerngeschäft).
Darüber hinaus werden in Zukunft auch die Kapitalanlagerisiken und die operationellen Risiken eines Versicherers bei der Risikobewertung berücksichtigt. Grundlage für die Bewertung stellt ein 3-Säulen-Prinzip dar:
1. Säule 1 behandelt die Höhe des Minimumsolvenzkapitals, die Mindest-kapitalanforderung und die Höhe des zu stellenden Zielsolvenzkapitals (die Solvenzkapitalanforderung im Verhältnis zu den anrechnungsfähigen Eigenmitteln)
2. Die zweite Säule erfordert ein neues Risikomanagementsystem und beinhaltet hauptsächlich qualitative Anforderungen, wie etwa die Qualifikation der Vorstände von Versicherungsunternehmen, die sogenannten „Fit-and-proper“-Kriterien.
3. Die Berichterstattungspflichten der Versicherungsunternehmen werden in Säule drei neu geregelt. Dazu zählen u.a. die Berichtspflichten an Aufsichtsbehörden (Supervisory Reporting) und die zu veröffentlichende Angaben (Public Disclosure). Bei den Berichtspflichten soll eine enge Anbindung an andere gesetzliche Berichtspflichten wie in der Rechnungslegung, insbesondere den International Financial Reporting Standards (IFRS), erreicht werden.
Zusätzlich dazu umfasst die Solvency-II-Richtlinie weitreichende Änderungen in der Beaufsichtigung von Versicherungsgruppen.
Auswirkungen auf die Versicherungsbranche
Um die Auswirkungen der geplanten Solvenzkapitalanforderungen nach Solvency II auf Angemessenheit, Anwendbarkeit und Durchführbarkeit zu testen, wurden bereits seit Ende 2005 sogenannten Quantitative Impact Studies (QIS) durchgeführt. Die Anforderungen an das Risikomanagement der Versicherungsunternehmen und die Berechnungsvorgaben für die versicherungstechnischen Rückstellungen wurden dabei immer weiter konkretisiert. Aufbauend auf den Erfahrungen aus den vorangegangenen QIS und unter Einbeziehung aktueller Ereignisse an den Finanzmärkten wurden die Formeln zur Berechnung des Solvenzkapitals immer wieder angepasst.
Die Ergebnisse der QIS5-Studie hat die EU-Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions) im März 2011 veröffentlicht. Aus den Erkenntnissen sind für die Versicherer in beinahe allen Unternehmensbereiche konkrete Maßnahmen abzuleiten:
• Aufbau und Erweiterung Solvency II-Know-how
• Vorbereitung der IT (Datenqualität und -quantität)
• Prozessdefinition (wer liefert wann welche Information)
• Simulation (Erkennen von Spielräumen)
• Produktmanagement (wie viel Solvency Capital Requirement (SCR) „kostet“ ein Versicherungsproduktportfolio)
• Asset Management (wie viel SCR „kosten“ die Kapitalanlagen)
• Definition und Anpassung der Risikostrategie und ihrer Elemente sowie
• Aufbau Datenbasis für das zukünftige Berichtswesen
Ergebnis: Garantien in der Altersvorsorge vor dem Aus
Aufgrund der Vorschriften und der Risikobeurteilung werden sich die Aktienquoten im Deckungsstock bzw. Sicherungsvermögen bei starken Versicherern halten und ausbauen lassen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Schwache Versicherer werden ihre Aktienquote senken, Garantien werden im “worst case” werthaltig und müssen somit bedeckt werden. Dies wird laut Branchenexperten dazu führen, dass es Garantien in der Altersvorsorge ab 2016 kaum noch bis gar nicht mehr geben wird.
Auswirkungen für Anleger und Sparer
Anleger und Sparer, die in der Privaten Altersvorsorge Wert auf Garantien legen, müssen noch in diesem Jahr handeln. Selbst Experten tun sich derzeit extrem schwer damit zu prognostizieren, wann der klammheimliche Ausverkauf der Garantien sein Ende haben wird. Sicher ist, dass die umfangreichen Regulierungen gravierende Veränderungen des deutschen Versicherungsmarktes zur Folge haben und sich infolgedessen auch die Produkte wandeln werden.
Besonders hart wird Solvency II diejenigen Produkte treffen, die bei den sicherheitsorientierten Verbrauchern in Deutschland besonders beliebt sind: Riester-Rente und Betriebliche Altersvorsorge. Hier spricht man von Produkten der zweiten Schicht. Weil bei der Riester Rente und der Betrieblichen Altersvorsorge eine Bruttobeitragsgarantie zum Ablauf gesetzlich verpflichtend ist, kann damit gerechnet werden, dass sich die Zahl der Anbieter in diesem Bereich stark dezimieren wird. Viele Versicherer werden sich Garantieprodukte aufgrund ihrer Kapitalausstattung nicht mehr leisten können. Und auch für die Basis Rente und die Private Rentenversicherung gilt dies im Falle einer 100-prozentigen Garantie zum Laufzeitende.
Sinnvolle Alternativen für Anleger
Viele Anleger setzen derzeit auf Garantieprodukte. Diese Produkte verlassen sich allerdings voll und ganz auf den gesetzlichen Höchstrechnungszins und die Überschussbeteiligung des jeweiligen Versicherers. Die Gesamtverzinsung solcher Produkte beläuft sich im Marktdurchschnitt auf nur 3,13 Prozent jährlich. Oft bleibt Verbrauchern nach Abzug von Kosten und Inflation wenig bis gar nichts über. Solche Produkte machen für den Vermögensaufbau wenig Sinn.
Eine der wenigen zielführenden Alternative im aktuellen Niedrigzinsumfeld sind fondsbasierte, dynamische Hybridmodelle.
Andere Modelle, wie zum Beispiel die aufkommenden Indexpolicen, bringen weniger Mehrrendite als ihre klassischen Pendants, da lediglich die Überschüsse in einen Index investiert werden. Mit Indexpolicen wird Verbrauchern ein Investmentprodukt angepriesen, das im Grund nicht mehr leistet als die altbekannten klassischen Produkte.
Vorteile investmentbasierter Hybridmodelle
In den letzten Jahren haben Hybridmodelle bei Sparern und Anlegern immer mehr an Beliebtheit gewonnen. Aber was verbirgt sich genau hinter einem intelligenten, investmentbasierten dynamischen Hybridmodell?
Investmentbasierte, dynamische Hybridmodell als Kapitalanlage im Bereich der Altersvorsorge gibt es in verschiedenen Ausprägungen mit zwei oder drei Töpfen sowie dynamisch oder statisch.
Generell ist der so genannte erste Topf nichts anderes als der klassische Deckungsstock des Versicherers. Im zweiten Topf befindet sich die freie Fondsanlage. Einige Versicherer bieten seit wenigen Jahren ein so genanntes ICCPI-Modell (individualisierte Constant Proportion Portfolio Insurance) in ihren Policen an. Dieses 1987 entwickelte Wertsicherungsmodell steuert über gewisse Algorithmen die Verteilung der Sparbeiträge auf die zwei Töpfe.
Ziel eines solchen Modelles ist es, in steigenden Marktphasen so viel Vertragsguthaben wie möglich in die freie Fondsanlage zu investieren und in schwierigen Marktphasen die Verluste stark einzugrenzen.
Garantiert wird garantiert weniger
Im Zuge der aktuellen gesetzlichen Neuregelungen ist es schwer absehbar, wie lange solche intelligenten Garantiemodelle noch Bestand haben werden. Als garantiert gilt aber, dass Versicherer weniger garantieren werden. Denn auch einem Garantietopf sind Grenzen gesetzt in Bezug auf den Rechnungszins.
Je niedriger der Zins nach Abschaffung des Höchstrechnungszinses von den Gesellschaften festgelegt wird – falls es überhaupt noch einen geben wird –, desto schwieriger wird es für Sparer und Anleger sein, überhaupt noch solche Garantieprodukte am Markt zu finden.
Andere Modelle, wie etwa statische Hybride machen unter den heutigen Marktbedingungen gar keinen Sinn mehr, Produkte im Segment der „3-Topf Hybride“ nur noch bei zwei Anbietern. Grundsätzlich sollten sich sicherheitsbewusste Menschen, die für ihr Alter privat vorsorgen wollen, noch in diesem Jahr eine Police bei einem Anbieter mit einer ICCPI-Modell sichern.
Altkonditionen noch bis Ende 2015
Handlungsbedarf besteht vor allem für Anleger und Sparer, die noch von den derzeitigen Konditionen profitieren wollen und sich Produkte mit einer Garantie wünschen, weil diese besondere Sicherheit bieten. Bis Ende 2015 können entsprechende Produkte mit den derzeitigen Konditionen sicher abgeschlossen werden.
Insbesondere Personen unter 40 stehen hierbei vor einer großen Herausforderung. Sehr wenige Gesellschaften am Markt bieten eine außerordentliche Erhöhung des Beitrages zu Altkonditionen an. Versicherten, denen der aktuelle Versicherer keine außerordentlichen Erhöhungen anbietet, bleibt nur die Möglichkeit der Beitragserhöhung mit einer jährlich festgelegten Dynamik – und auch nur dann, wenn diese Option vertraglich vereinbart ist.
Besonders im Falle von großen Gehaltssprüngen oder bei extrem niedrigen Beiträgen – unter 100 Euro monatlich – ist der Abschluss eines Neuvertrages noch in 2015 notwendig.
Über den Autor: Alexander Moll (Finanzberatung Moll) ist selbständiger Finanz- und Anlageberater seit dem Jahr 2013. Vorher absolvierte er sein Studium zu Master in International Management an der International School of Management in Dortmund, das er mit dem Master of Arts erfolgreich abgeschlossen hat.
Von: Alexander Moll
Quelle: DAS INVESTMENT.