Skandale lassen regelmäßig auch die Aktie des betroffenen Unternehmens stark einbrechen. So ein Kurseinbruch muss allerdings nicht langfristig sein, hat Thomas Hünicke, Geschäftsführer der WBS Hünicke Vermögensverwaltung, beobachtet.
Im Rahmen des Diesel-Betrugs werden auf Volkswagen immense Kosten und Forderungen zukommen. Wie die Vergangenheit zeigt, wird aber keineswegs alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Es ist der Super-Gau der deutschen Industriegeschichte. Bis zu elf Millionen Diesel-Pkw sollen von den Softwaremanipulationen der Volkswagen-Ingenieure betroffen sein.
Dass dies nicht das Werk einiger weniger Krimineller ist, scheint auf der Hand zu liegen. Strafen und mögliche Schadensersatzleistungen werden deshalb deutlich höher ausfallen als bei anderen Automobilbauern, deren schadhafte Brems- und Gaspedale (Toyota) sowie defekte Zündschlösser (General Motors) den unmittelbaren Tod einer ganzen Reihe von Verkehrsteilnehmern zur Folge hatten.
Hinzu kommt der enorme Imageverlust. Der Schaden für die Wolfsburger sowie die gesamte deutsche Autobranche ist deshalb bisher nicht ansatzweise absehbar. Entsprechend hat sich die Marktkapitalisierung von VW zeitweise um 36 Mrd. Euro (minus 45 Prozent) reduziert. Aktuell betragen die Verluste der Aktionäre noch 26,8 Milliarden Euro, wobei die breit gestreuten Vorzüge (minus 41 Prozent) deutlich stärker gelitten haben als die Stammaktien (minus 29 Prozent).
Andererseits zeigt der Blick in die Vergangenheit, dass Anleger immer wieder dazu neigen, auf sehr markante Nachrichten mit starker Medienpräsenz übertrieben zu reagieren. So übersteigen die Kursverluste von Versicherungskonzernen bei großen Sturmschäden oder Überschwemmungen die zu erwartende Schadenssumme oft deutlich. Während des Hurrikans Katrina im August 2005 und den dramatischen Bildern aus dem überschwemmten New Orleans reduzierte sich der Market Cap von Allianz marktbereinigt beispielswiese um etwa eine Milliarde Euro. Der Jahresgewinn wurde letztendlich aber nur mit 300 Mio. Euro belastet. Zudem kam es in der Folge zu einem verbesserten Risikomanagement und steigenden Versicherungsprämien.
Größere Parallelen des VW-Skandals lassen sich zum so genannten Lipobay-Desaster ziehen. Aufgrund starker Wechselwirkungen mit Todesfolgen musste Bayer 2001 seinen bis dahin überaus erfolgreichen Cholesterinsenker vom Markt nehmen. Auch hier schienen die finanziellen Belastungen zunächst unkalkulierbar. Laut Geschäftsbericht 2004 wurde der Chemie- und Pharmakonzern in ca. 14.660 Fällen verklagt (davon 14.550 in den USA). Die direkten Kosten aus Vergleichen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht beliefen sich bis Ende 2007 letztendlich jedoch auf weniger als 1,2 Mrd. US-Dollar. Trotz regelmäßiger Dividendenzahlungen notiert die Aktie heute rund 140 Prozent über ihrem Wert unmittelbar vor dem Verkaufsstopp des Medikaments und den ersten Klagen. Die Zugewinne beim DAX Kursindex (keine Reinvestition von Dividenden) betragen seither dagegen keine 20 Prozent.
Natürlich ist die Vergangenheit niemals eins zu eins auf die Zukunft übertragbar, und erhebliche Unterschiede weisen die beiden Fälle ebenfalls auf. Dennoch legen es menschliche Verhaltensmuster nahe, dass sich ein Einstieg in die VW-Vorzugsaktie während der „schwärzesten Stunde“ des Volkswagenkonzerns durchaus lohnen könnte. Dies sehen übrigens auch einige Analystenhäuser so (zum Beispiel JP Morgan, Bernstein, Berenberg), die die jüngsten Kursreaktionen ebenfalls für übertrieben halten.
Von: Thomas Hünicke
Quelle: DAS INVESTMENT.