Warburg | Hamburg, 19.02.2021.
Seit Jahresbeginn sind die Renditen für Staatsanleihen in den USA und in der Eurozone deutlich angestiegen. Ursache für den Renditeanstieg sind vor allem die deutlich gestiegenen Inflationserwartungen. Unterstellt man einen “normalen” Verlauf der monatlichen Inflationsraten, so wie er im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahren zu beobachten war, würde der PCE-Preisindex, von dem die US-Notenbank ihre geldpolitischen Entscheidungen primär abhängig macht, allein basisbedingt im zweiten Quartal Werte von rund 2,5 Prozent erreichen und sich dann bis Jahresende bei zwei Prozent einpendeln.
Der im Moment zu beobachtende scharfe Anstieg einiger Rohstoffpreise spricht sogar dafür, dass es zumindest im Januar und Februar zu einem überdurchschnittlich starken monatlichen Anstieg der Inflationsrate kommt, sodass auch eine Inflationsrate von drei Prozent oder sogar leicht oberhalb davon im zweiten Quartal denkbar ist. Seit Jahresbeginn sind die Renditen für Staatsanleihen in den USA und in der Eurozone deutlich angestiegen. 10-jährige US-Treasuries rentieren derzeit bei rund 1,3 Prozent im Vergleich zu 0,9 Prozent zu Jahresbeginn, die Rendite für 10-jährige Bundesanleihen ist von knapp -0,6 auf -0,35 Prozent angestiegen. Damit sind die Renditen fast wieder auf demselben Niveau wie vor dem Beginn der Corona-Pandemie im letzten Jahr. Steigende Renditen führen zu sinkenden Kursen, sodass Anleger, die ihr Vermögen in Staatsanleihen investiert haben, seit Jahresbeginn eine negative Wertentwicklung verzeichnen müssen. Wir hatten in unserem Jahresausblick für 2021 erwartet, dass man mit Staatsanleihen in diesem Jahr nichts verdienen kann, dennoch sind das Tempo und das Ausmaß der Kursverluste überraschend. In der Eurozone reicht das Performance-Minus von 0,2 Prozent für italienische Staatsanleihen („Mario-Draghi-Bonus“) über minus zwei Prozent für deutsche bis zu minus drei Prozent für österreichische Staatsanleihen. In den USA weisen 10-jährige Staatsanleihen seit Jahresbeginn eine negative Wertentwicklung von knapp drei Prozent auf.
Ursache für den Renditeanstieg sind vor allem die deutlich gestiegenen Inflationserwartungen. So ist die in fünf Jahren für die folgenden fünf Jahre erwartete Inflationsrate (dies ist die von den Notenbanken favorisierte Datenreihe, wenn es um die Messung von Inflationserwartungen geht) in den USA zuletzt auf knapp 2,5 und in der Eurozone auf fast 1,4 Prozent angestiegen. In diesem Jahr wird es aber zeitweise sogar noch höhere Preissteigerungsraten geben, sodass die Inflationserwartungen – und damit auch die Renditen für Staatsanleihen – noch weiter ansteigen könnten. Unterstellt man einen „normalen“ Verlauf der monatlichen Inflationsraten, so wie er im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahren zu beobachten war, würde der PCE-Preisindex, von dem die US-Notenbank ihre geldpolitischen Entscheidungen primär abhängig macht, allein basisbedingt im zweiten Quartal Werte von rund 2,5 Prozent erreichen und sich dann bis Jahresende bei zwei Prozent einpendeln. Der Basiseffekt resultiert dabei aus der Entwicklung des Ölpreises, der im April und Mai 2020 regelrecht eingebrochen ist. Der im Moment zu beobachtende scharfe Anstieg einiger Rohstoffpreise spricht sogar dafür, dass es zumindest im Januar und Februar zu einem überdurchschnittlich starken monatlichen Anstieg der Inflationsrate kommt, sodass auch eine Inflationsrate von drei Prozent oder sogar leicht ober-halb davon im zweiten Quartal denkbar ist.
Hierfür sprechen auch die Preiskomponenten der Einkaufsmanagerindizes. Eine Regressionsgleichung, die die PCE-Inflationsrate mit der Preiskomponente des nationalen Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe erklärt, kommt zu dem Ergebnis, dass das Preisniveau zu Jahresbeginn 2021 fast um drei Prozent über seinem Vorjahreswert liegen könnte. Allerdings hat diese Schätzgleichung den tatsächlichen Preisauftrieb in den vergangenen Monaten kontinuierlich und deutlich überschätzt. Zuverlässigere Ergebnisse erhält man, wenn man stattdessen die Preiskomponente des Einkaufsmanagerindex für die Dienstleistungsunternehmen verwendet. Diese Schätzgleichung kommt derzeit zum Ergebnis einer Inflationsrate von etwas mehr als zwei Prozent, sodass auch mit diesem Ansatz eine Preissteigerungsrate von etwa drei Prozent ab dem zweiten Quartal wahrscheinlich wäre.
Wir gehen jedoch weiterhin davon aus, dass es nicht zu einer dauerhaft höheren Inflation kommen wird. Die inflationssenkenden Effekte der vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben nach wie vor Bestand. Die Globalisierung könnte mit der neuen US-Administration einen zweiten Frühling erleben; der technologische Fortschritt setzt sich unaufhaltsam fort; der Wettbewerb bei den meisten Gütern und Dienstleistungen ist unverändert intensiv, nicht zuletzt deswegen, weil die geld- und fiskalpolitischen Rettungsmaßnahmen der vergangenen zwölf Monate dafür gesorgt haben, dass Unternehmen nicht vom Markt verschwinden; und nicht zuletzt bestehen weiterhin in vielen Sektoren Überkapazitäten, die die Preissetzungsmacht der Firmen beschränken. Steigende Rohstoffpreise und höhere Transportkosten, die beispielsweise auf Engpässe bei Containerschiffen zurückzuführen sind, haben nach wie vor viel mit Corona-bedingten Angebotsverknappungen und der Wirkung von Basiseffekten zu tun. So ist der Ölpreis in den letzten Tagen wegen des Wintereinbruchs in Texas stark angestiegen. Doch sobald sich das Wetter wieder normalisiert, dürften die Frackingunternehmen ihre Ölförderung deutlich ausweiten – so wie es immer der Fall gewesen ist, wenn der Ölpreis steigt. Und da auch Saudi-Arabien seine sich selbst für Februar und März auferlegte Förderkürzung aufgeben wird, sollte dies ebenfalls zu einem höheren Angebot und somit zu einer Stabilisierung des Preises beitragen. Ähnliches könnte bei Kupfer und Eisenerz zu beobachten sein. Da die wichtigsten Minen in Schwellenländern wie Brasilien, Indien, Südafrika, Chile und Peru zu finden sind, sollte eine erfolgreiche Impfstrategie – so wie seit Anfang Februar in Chile – dazu führen, dass sich ein derzeit noch knappes Angebot schnell wieder normalisiert.
Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kapitalmärkte einen stärkeren und länger anhaltenden Preisauftrieb erwarten als wir ihn für wahrscheinlich halten. In diesem Fall müsste mit einem weiteren Renditeanstieg gerechnet werden. In der Vergangenheit war es häufig so, dass steigende Zinsen bzw. Kapitalmarktrenditen zum Spielverderber einer Aktienmarkthausse wurden. So beispielsweise im Jahr 2015, als die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen und 10-jähriger US-Treasuries von Mitte April bis Mitte Juni um fast 100 Basispunkte anstiegen und der DAX in diesem Zeitraum um mehr als zehn Prozent korrigierte. Dass sich der Aktienmarkt damals im weiteren Jahresverlauf nicht mehr erholte, lag aber nicht an den Renditen (diese sanken danach wieder, wenn auch nicht auf das Ursprungsniveau), sondern an anderen Themen, wie der Sorge um die Konjunktur in China oder den VW-Dieselskandal. Auch das schlechte Aktienmarktjahr 2018 stand in direktem Zusammenhang mit der Zinsentwicklung. Damals waren es aber nicht die Kapitalmarktrenditen, die Kapriolen schlugen, sondern die Geldpolitik der US-Notenbank. Denn nachdem die Federal Reserve im Dezember 2015 (damals noch unter Janet Yellen) das erste Mal seit neun Jahren die Zinsen erhöht hatte, setzte der damals neue Fed-Präsident Jerome Powell diesen Kurs mit erhöhter Schlagzahl fort – trotz unauffälliger Inflationsraten.
Dies zeigt, dass höhere Zinsen dem Aktienmarkt vor allem dann schaden können, wenn sie das Resultat einer restriktiveren Geldpolitik sind. Wie sich die derzeit zu beobachtende Entwicklung bei den Staatsanleihen auf den Aktienmarkt auswirken wird, hängt unter anderem vom Ausmaß des Renditeanstiegs ab. Leider kann niemand genau sagen, ob die Aktienmärkte bei einer Rendite für 10-jährige US-Treasuries von 1,5 oder erst ab einer von zwei Prozent stärker unter Druck geraten. Sowohl die Fed als auch die EZB haben vergleichsweise deutlich gemacht, dass die Zinsen niedrig bleiben und die Anleiheaufkaufprogramme trotz besserer Konjunkturdaten ohne Abstriche fortgesetzt werden. Anleger sollten von daher genau darauf achten, ob die QE-Programme den Renditeanstieg aufhalten können. Lässt die US-Notenbank die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen beispielsweise über die Marke von 1,5 Prozent ansteigen, könnte es angebracht sein, Risiken zu reduzieren. Bislang – auch das ist positiv zu bewerten – haben sich die Kursverluste bei den Staatsanleihen kaum negativ auf andere Segmente des Rentenmarktes ausgewirkt. Im Unterschied zum zweiten Quartal 2015 oder zum vierten Quartal 2018 sind die Kurse der Unternehmensanleihen (vor allem in der Eurozone) bislang relativ stabil geblieben. Unternehmensanleihen mit schlechtem Rating aus den USA und der Eurozone konnten sogar bis zuletzt Kurszuwächse verzeichnen. Insofern haben sich die Finanzierungsbedingungen der meisten Unternehmen bislang nicht verschlechtert, sodass die Konjunkturerholung nicht gefährdet ist. Allein in einigen Schwellenländern, die sehr stark von der Entwicklung des US-Staatsanleihemarktes beeinflusst werden, ist es zuletzt zu Kursrückgängen gekommen.
Da höhere Zinsen zudem nicht per se negativ für Aktien sind, ist es ohnehin sinnvoller die realen Renditen im Blick zu behalten als auf die Nominalrendite zu achten. Erst wenn diese ansteigen, droht aus unserer Sicht ein nachhaltiger Rückschlag am Aktienmarkt. Denn vor allem die Aktienkurse von Technologieunternehmen, die in den letzten Jahren stark von sinkenden Zinsen profitiert haben, dürften dann unter Druck geraten.