Pictet | Frankfurt, 26.02.2021.
Die Technologie-Euphorie der letzten Jahre hat in der Wahrnehmung der Kapitalmärkte, aber auch in der Realwirtschaft die Prioritäten deutlich verschoben. Das technisch Machbare beziehungsweise Wünschenswerte wurde ausgiebig diskutiert. Erstaunlich war, dass bereits im Bundestagswahlkampf 2017 der Begriff „Disruption“ auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgegriffen wurde. Ein Begriff, den man damals erst einmal nachschlagen musste um ihn zu verstehen. Seither hat sich vieles verändert.
Die Rolle des Menschen in der technologisierten Welt
Digitalisierung – in unseren Schulen ebenso wie in der Arbeitswelt – sowie Robotik, Autonomes Fahren und moderne Lebens- und Stadtkonzepte bestimmen die Analysen in der Presse und die öffentliche Diskussion. An den Aktienmärkten wurden wahre Feuerwerke abgebrannt für Aktien mit „innovativen“ Geschäftsmodellen, selbst wenn diese (noch) nicht profitabel sind. Größtenteils zurecht, denn anders als zur Jahrtausendwende funktionieren diese Geschäftsmodelle und können rasch profitabel werden.
Soziale Folgen der Robotisierung schaffen neue Freiräume
Die sozialen Folgen der zunehmenden Digitalisierung und Robotisierung werden gelegentlich auch diskutiert, insbesondere im Hinblick auf mögliche Arbeitsplatzverluste. Hierbei besteht in der Tat das Risiko, dass ein bestimmter Teil von Tätigkeiten in einer Volkswirtschaft in absehbarer durch autonome Systeme und Künstliche Intelligenz ersetzt werden können. Gleichzeitig sind andere Qualifikationen am Arbeitsmarkt gefragt. Die möglichen sozialen Folgen eines raschen Wandels wurden bereits im Jahr 2014 von Brynjolfsson und McAfee in ihrem Buch „Das zweite Maschinenzeitalter“ thematisiert.
Eine der Schlussfolgerungen der Autoren war, dass durch die „Entlastung“ des Produktionsfaktors Arbeit durch autonome Systeme sich künftig größere Freiräume für die Selbstentfaltung des Menschen ergeben – sofern natürlich die soziale Abfederung des Transformationsprozesses gewährleistet ist. Diese Freiräume werden die Menschen nutzen für Aktivitäten, die über die reine Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse hinausgehen (also die Bedürfnisse nach Nahrung, Wohnung, Sicherheit und sozialer Interaktion). Ganz oben auf der von Abraham Maslow entwickelten Bedürfnispyramide steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Diese Selbstverwirklichung lässt sich in drei Unterbereiche strukturieren. Der auch im Hinblick auf die ökonomische Langzeitrelevanz bedeutsamste Bereich ist dabei sicherlich das „Lernen“. Es schafft das Erfolgserlebnis von Arbeit und Bildung, das Unabhängigkeit, Vertrauen und finanzielle Stabilität schafft. Aber auch ein stärker zwischenmenschlicher Bereich ist wichtig: Der Faktor „Füreinander sorgen“ sorgt für Seelenfrieden, der durch die Unterstützung von Freunden und Familie oder durch die Betreuung eines Angehörigen, durch die Gesellschaft von Haustieren oder das Finden eines Partners entsteht. Drittens ist noch der Faktor „Genießen“ zu nennen, also das Gefühl, das durch Unterhaltung, Reisen, Essen und kulturelle Erfahrungen gewonnen wird. Lebensstadien verlaufen künftig immer weniger linear mit klaren Abschnitten, sondern sie werden dynamischer mit wechselnden Phasen und Durchmischungen.
Anlagestrategie mit „dem Menschen“ im Mittelpunkt
Die Wohlstandsgewinne und Zeitersparnis einer digitalisierten Volkswirtschaft erlauben es den Menschen, diesem Faktor größere Beachtung zu schenken. Daraus entstehen innovative Geschäftsmodelle, die zumeist durch langfristige Wachstumstreiber – ergo Megatrends wie Demographie, Wissensgesellschaft, Kommerzialisierung oder Dematerialisierung – angefeuert werden. Wenngleich Dienstleistungen rund um „den Menschen“ gewissermaßen als die Antithese zu Robotik und Technisierung wahrgenommen werden könnten, so handelt es sich doch ebenso um ein Wachstumsfeld. Innovation trifft hierbei auf eine strukturell steigende Nachfrage. Der geübte Leser spürt sicherlich bereits, dass alle diese Attribute die Zutaten für eine thematische Aktienstrategie sein können, da langfristige Wachstumsaussichten immer auch Unternehmen zutage fördern, die entsprechende Lösungen anbieten. Alleine die Bereiche Bildung, Karriere, Gemeinschaften, Haustiere, Reisen und Freizeit sowie Unterhaltung und Esskultur schaffen ein riesiges Anlageuniversum aus börsennotierten Gesellschaften im Marktwert von mehr als 2 Billionen Dollar. Wenn man nun hohe ethische Maßstäbe an die soziale Dimension der Dienstleistungen rund um den Menschen anlegt – also der Ausschluss von kontroversen oder umweltschädlichen Betätigungen – reduziert sich das Anlagespektrum etwas, bleibt aber mit 200 bis 250 Aktien rund um den Globus breit diversifiziert. Neben Konsumwerten finden sich die Titel in zahlreichen weiteren Sektoren. Die Selbstverwirklichung der Menschheit tritt in eine neue – spannende – Phase ein.
Von
Walter Liebe, Head of Intermediaries, Deutschland
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