Nordea | Luxembourg, 18.07.2019.
Die indische Wirtschaft verlangsamt sich als Folge der schwächeren Binnennachfrage. „Dieser Prozess wird sich vermutlich fortsetzen, da die Regierung die Probleme im Schattenbankensektor noch nicht angegangen ist. Sie hat der Reserve Bank of India (RBI) den Auftrag erteilt, den Sektor zu kontrollieren, aber es wird Monate dauern, bis diese das Problem angehen wird und Abhilfemaßnahmen wie zusätzliche Finanzmittel und einen gewissen Schuldenabbau ergreift“, sagt Sébastien Galy, Senior-Makrostratege bei Nordea Asset Management.
Die RBI sei bekannt dafür, die Liquiditätsanforderungen für Banken in der Vergangenheit gesenkt zu haben, und es sei wahrscheinlich, dass diese risikoreicheren Investoren geringere Risikoanforderungen haben werden. Entscheidend sei, dass die RBI das Vertrauen der Anleger gewinne, und dafür sei eine monatelange Arbeit vor Ort erforderlich. Infolgedessen dürfte sich die Verlangsamung der Konsumnachfrage in ländlichen Gebieten und einigen spezifischen Sektoren wie Immobilienanlagen fortsetzen.
„Überraschenderweise hat die indische Regierung darauf nicht mit einer stärkeren fiskalischen Expansion reagiert. Das Defizit wird voraussichtlich 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen, gegenüber derzeit 3,4 Prozent. Die Besorgnis über die Gesamtverschuldung des Landes kann für die Zurückhaltung der Regierung gegenüber einer fiskalischen Expansion verantwortlich sein“, so der Experte. Ohne Unterstützung für die Infrastruktur sei die Regierung auf die Auslandsnachfrage und die Mittelschicht angewiesen. Die Auslandsnachfrage dürfte bis zum Tiefpunkt Chinas, voraussichtlich innerhalb der nächsten drei bis sechs Monate, gedämpft bleiben. Damit bleibe die Nachfrage aus der Mittelschicht, die nach wie vor robust sei. Die Wahl von Narendra Modi dürfte die Verbraucher beruhigt haben, was bedeute, dass die Nachfrage trotz relativ hoher Arbeitslosigkeit wahrscheinlich verhältnismäßig hoch sein werde. Dennoch gebe es problematische Aspekte, wie beispielsweise eine geringe Produktivität in der Wirtschaft. Insgesamt deute dies darauf hin, dass sich die Konjunkturabkühlung um einen weiteren Prozentpunkt fortsetzen könnte. „Auch wenn Indien nach wie vor eine der wachsenden Volkswirtschaften der Welt ist, sollte diese Verlangsamung die Situation letztendlich umkehren“, meint Galy.
In einem solch schwierigen Umfeld seien die Gewinnerwartungen gedämpft und unterschätzten die Reaktionsfunktion der Zentralbank. Der Aktienmarkt dürfte teuer bleiben, da sich die Ertragserwartungen verbesserten und im Vergleich zum übrigen Asien eine verhaltene Performance lieferten.
- Der Schattenbanksektor beeinträchtigt das Wachstum
Fehler im Bankensektor (z. B. Ausfall von Infrastruktur-Leasing & Finanzdienstleistungen) erschweren nach Ansicht Galys den Zugang zu Kapital für risikoreichere Kunden wie Immobiliengesellschaften und ländliche Haushalte. Das Wall Street Journal berichtete zum Beispiel, dass die Autoverkäufe in Indien im Mai um 19 Prozent gesunken seien. Generell verschlechterten sich die Finanzierungsbedingungen in den Schattenbanken erheblich, was zu weniger und teureren Krediten führte, da die notleidenden Kredite auf 6,1 Prozent stiegen. Als Reaktion darauf habe die Regierung beschlossen, dass Finanzunternehmen, die keine Bank seien, ebenso wie Finanzierungsunternehmen für den Wohnungsbau unter die Kontrolle der Reserve Bank of India gestellt würden. Dies könne leider zwei Quartale dauern.
- Hitze und Regenmangel sind ein Problem
Eine sehr schwache Monsunzeit im Juni werde nach Angaben des indischen Meteorologieministeriums voraussichtlich nicht anhalten, wirke sich aber vorerst auf die Landwirte und damit auf das BIP-Wachstum aus. Hitzewellen zwischen März und Juli seien intensiver, häufiger und länger geworden (CNN) und könnten es im dicht besiedelten Indien möglicherweise sehr schwer machen, mit Wasserknappheit zu leben. Experten seien der Meinung, dass sich Hitzewellen in ganz Indien ausbreiten könnten. Bis zum Jahr 2100 würde kein Teil Asiens die Grenzen der Überlebensfähigkeit bei einem Szenario von + 2,25°C überschreiten. Wenn jedoch keine Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden, würden das Chota Nagpur Plateau und Bangladesch diese Schwelle erreichen. Andere Gebiete Indiens würden ohne Klimaanlage (+ 35°C) fast unbewohnbar werden. Indien hat dagegen eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Es ist Unterzeichner der Pariser Vereinbarung und hat sich verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2030 teilweise durch die Nutzung von Sonnenenergie um 33-35 Prozent unter das Niveau von 2005 zu bringen, obwohl das Land weiterhin auf Kohle angewiesen wäre.
- Strukturell schwache Handelsbilanz
Angesichts einer Verlangsamung des verarbeitenden Gewerbes und der Schwellenländer hänge eine Erholung der Exporte zum Teil davon ab, dass sich das chinesische Wachstum innerhalb der nächsten drei bis sechs Monate erhole. „Dies wäre eine zyklische Erholung, während das Problem für Indien ein strukturelles ist, da es eine anhaltend negative Handelsbilanz aufrechterhält. Das verarbeitende Gewerbe scheint unterentwickelt zu sein (15 Prozent des BIP) und ist nicht in der Lage, von einer steigenden Anzahl gebildeter Jugendlicher zu profitieren“, so der Makrostratege. Tatsächlich sei nur eines der Top-10-Unternehmen Indiens eine globale Marke, Tata Motors. Zu beachten sei das anhaltende Problem einer starken Abhängigkeit von Rohstoffimporten, vor allem von Energie, Kohle und Gold.
- Langfristiges Problem: Produktivität
„Eines der Hauptprobleme für einen relativ schwachen Konsum und Export ist, dass die Produktivität der indischen Wirtschaft seit einiger Zeit relativ niedrig ist. Im Wesentlichen werden Arbeitsplätze und Sektoren gefördert, die noch intensiv an Arbeitskräften sind, und dies zu einer Zeit, in der das Kapital und nicht der Mensch zunehmend eine Rolle spielen sollten“, sagt Galy. Ein großer Teil der Wirtschaft bestehe aus kleinen Unternehmen mit wenig Zugang zur Innovation (Livemint). Die Weiterqualifizierung von Arbeitnehmern in so kleinen Unternehmen sei wahrscheinlich ein wichtiges Thema. Vor diesem Hintergrund dürften die Haushalte den Konsum und größere Investitionen begrenzen. Die Regierung habe die Bereitschaft gezeigt, auf neue ausländische Wettbewerbe und Ideen zu setzen, wenn auch nur in begrenztem Umfang. So erlaube die Regierung im aktuellen Haushalt beispielsweise im Rahmen der Liberalisierung ausländischer Direktinvestitionen 100 Prozent (von 49 Prozent) in Versicherungsvermittlern. „Wichtiger ist, dass die Regierung Sektoren wie Luftfahrt, Medien, Versicherung und Animation (CNBC) öffnet, die deflationär sind. Lokale Beschaffungsbeschränkungen für ausländische Direktinvestitionen im Einzelhandelssektor werden gelockert“, meint Galy.
Zusammenfassend sei in Indien Geduld geboten. „Es kann noch ein bis zwei Quartale dauern, bis das Wachstum sich umkehrt. Bis dahin dürften Sektoren, die auf die Nachfrage angewiesen sind, weiterhin Schwierigkeiten haben“, schließt der Experte.
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*Quelle: Nordea Investment Funds, S.A., 31.03.2019
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