Amundi | München, 21.09.2022
Patrice Lemonnier, Head of Emerging Markets Equity, und Nick Mc Conway, Head of Asia ex-Japan Equity bei Amundi, werfen in ihrem aktuellen Papier „Taiwan: depicting the unthinkable“ einen Blick auf die Taiwanfrage und die Ein-China-Politik der Volksrepublik China. Sollten Anleger sich auf einen Krieg in der Straße von Taiwan und auf taiwanesischem Boden einstellen? Während die Autoren einen Angriff nicht restlos ausschließen können, geben sich doch vorerst Entwarnung und legen dar, warum ein solcher Angriff den eigenen Interessen der Volksrepublik zuwiderliefe.
Von Patrice Lemonnier, Head of EM Equity, und Nick Mc Conway, Head of Asia ex-Japan Equity
Russlands Angriff auf die Ukraine rückt auch die Taiwan-Frage wieder in den Fokus der Anleger: Was plant China? Die gute Nachricht vorweg: Unserer Meinung nach ist das Kriegsrisiko nach wie vor gering.
Die Volksrepublik China betrachtet Taiwan als integralen Bestandteil ihres Territoriums. Die westlichen Verbündeten teilten nach dem zweiten Weltkrieg diese Sicht und bestätigten sie über die letzten 40 Jahre, indem sie die Ein-China-Politik akzeptierten. Daher kann man davon ausgehen, dass die Volksrepublik die Verwaltung Taiwans irgendwann wieder unter die eigene Kontrolle wird bringen wollen. Xi Jinping formulierte es im Januar 2019 so: Die politische Spaltung über die Meerenge hinweg könne „nicht von Generation zu Generation weitergegeben werden“. Manche Beobachter gehen davon aus, dass Xi die Taiwan-Frage vor dem Ende seiner Präsidentschaft lösen will. Sollten Anleger also für eine militärische Auseinandersetzung in der Straße von Taiwan vorausplanen?
Eine Wiedervereinigung wäre für China eine große Herausforderung, denn Taiwan hat sich im Laufe der Jahre zu einer Demokratie entwickelt. Eine vollständige Integration wird in der taiwanesischen Bevölkerung kritisch gesehen, nicht zuletzt wegen der Erfahrung, wie China die Integration Hongkongs umgesetzt hat.
Kurz vor einem Taiwan-Krieg?
Wir halten das Risiko eines Kriegs zwischen China und Taiwan momentan für gering:
- Die wirtschaftlichen Kosten sowohl für China als auch für die Industrieländer wären katastrophal. Ein Krieg dürfte Europa enger an die USA binden. Weltweit koordinierte Sanktionen würden eine globale Wirtschaftskrise nach sich ziehen. Für die chinesische Wirtschaft würden ein Zusammenbruch der Exportnachfrage und Produktionsunterbrechungen einen unmittelbaren Schlag bedeuten. Für den Rest der Welt käme es möglicherweise zu einem enormen Versorgungsschock, der die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs in den Schatten stellen und das Wachstum weltweit bremsen würde. Ein Krieg würde auch Chinas langfristige Wachstumsaussichten ernsthaft gefährden, insbesondere durch einen verschlechterten Zugang zu Rohstoffen, wie etwa Grundstoffen und Hightech-Komponenten für Halbleiter. Der Krieg würde damit wahrscheinlich zu einer vollständigen Abkopplung der chinesischen Wirtschaft vom Westen führen.
- Das Regime der Volksrepublik erfährt in der Bevölkerung breite Unterstützung. Zu einem großen Teil ist das auf den beeindruckenden wirtschaftlichen Fortschritt Chinas in den letzten 30 Jahren zurückzuführen, der Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut auf das Einkommensniveau der sogenannten ersten Welt gebracht hat. Unserer Ansicht nach würde ein wirtschaftlicher Rückschlag die Stimmung in der Bevölkerung deutlich beeinträchtigen. Nationalistische Rhetorik wird nicht ausreichen, um einen Einbruch des Lebensstandards wettzumachen.
- Manche Militärexperten zweifeln sogar an, dass China militärisch überhaupt in der Lage wäre, Landungen in Entfernungen von mehr als 140 km von der eigenen Küste erfolgreich durchzuführen.
- In einem Krieg mit Taiwan könnte China sich wohl auch keine taiwanesische Technologie aneignen: Halbleiterfabriken dürften in diesem Fall freiwillig oder unfreiwillig beschädigt werden, wichtige Mitarbeiter würden wohl nach Übersee fliehen.
- Die Bereitschaft der westlichen Länder, Russland auf allen Ebenen – Einzelpersonen, Unternehmen und Devisenreserven – mit Sanktionen zu belegen, dürfte eine starke Abschreckung für die chinesischen Behörden darstellen.
Blockade statt Krieg?
Auch von einer vollständigen Blockade Taiwans gehen wir derzeit nicht aus. Der Hauptgrund dafür wäre nicht die Verkehrsunterbrechung in der Straße von Taiwan, der meistbefahrenen Containerschiffsroute der Welt. Denn Ausweichrouten stehen zur Verfügung, auch wenn sie länger und damit teurer sind. Das wichtigste Argument gegen eine lang anhaltende Blockade Taiwans ist vielmehr, dass die Insel ein wichtiger Bestandteil der globalen Halbleiterlieferkette ist. Eine Blockade würde nicht nur dem Westen, sondern auch China selbst großen wirtschaftlichen Schaden zufügen.
Restrisiko bleibt
Wir halten es für unwahrscheinlich, dass China oder die USA bewusst einen Krieg anzetteln. Nachhaltiges und qualitativ hochwertiges Wachstum sowie steigender Wohlstand dürften heute insbesondere für die Volksrepublik China wichtiger sein denn je. Auch Xi Jinpings nationalistische Töne ändern nichts daran – es läuft kein Countdown in Richtung Krieg.
Das Risiko eines Kriegs „aus Versehen“, eines Kriegs, den eigentlich niemand will, steigt hingegen – und Anleger sollten Anzeichen einer weiteren Eskalation im Blick behalten:
- Die USA machen sich unter dem Eindruck des Russland-Ukraine-Kriegs für ein vermehrtes Engagement für Taiwan stark. Unter ideologischen Aspekten geht es um die Position der demokratischen Welt gegen die Autokratie.
- China unter Xi ist zunehmend frustriert darüber, dass die Ein-China-Politik von den USA und ihren Verbündeten unterschiedlich interpretiert wird.
- Die chinesische Volksbefreiungsarmee und das US-Militär haben ihre laufende Kommunikation nach Pelosis Taiwan-Visite ausgesetzt.
Quelleninformationen und weitere Informationen finden Sie im aktuellen Investment Outlook und im Amundi Research Center.
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