Amundi | München, 22.05.2025
China schien lange auf einem unaufhaltsamen Weg hin zur technologischen Führerschaft. Claire Huang, Senior EM Macro Strategist am Amundi Investment Institute, und Van Vu Ngoc, CFA, EM Senior Equity Research Analyst, Technology, meinen jedoch, dass das Rennen zwischen China und den USA sowie deren Verbündeten nicht entschieden ist. Im Research Papier „China in the race for technological leadership“ beschäftigen sich die Autoren mit den Schwierigkeiten, die die veränderte geopolitische Lage, aber auch die Innenpolitik Chinas dem weiteren technologischen Aufstieg des Landes bereiten könnten und welche Entwicklungen Investoren beobachten sollten.
Mit seinen rasanten Fortschritten im Bereich kritischer Technologien ist China heute ein ernstzunehmender Konkurrent des Westens beim Kampf um die globale Technologieführerschaft.
Chinas Aufstieg zum Innovator
Der Aufstieg des Landes zu einer Innovationsmacht ist eng mit seinen umfassenden Fertigungskapazitäten und seiner aktiven Beteiligung an der globalen Wertschöpfungskette verbunden.
Aber China hat auch in der akademischen Forschung eine neue Position erreicht. Laut Nature-Index, der qualitativ hochwertige Forschungspublikationen erfasst, sind sieben der zehn weltweit führenden akademischen Institutionen chinesisch. Besonders in Fachgebieten wie der Chemie und den Geo- und Umweltwissenschaften dominiert China. Die veränderte Rolle verdankt das Land unter anderem dem Austausch von Talenten innerhalb der internationalen akademischen Welt. Im Jahr 2018/19 machten chinesische Staatsangehörige 16 % aller Absolventen an US-Universitäten aus.
Chinas Patent-Output ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Nach Angaben der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) übertraf China 2023 die USA bei den Patentanmeldungen mit über 70.000 Patenten gegenüber weniger als 60.000 in den USA, wobei die Zunahme in Bereichen wie Batterien, Biotechnologie, maschinelles Lernen und Halbleiter besonders stark war. Die USA scheinen in bestimmten Kategorien wie OLED und Batterien “das Handtuch geworfen” zu haben.
Innovation kann viele Formen annehmen, einschließlich der Prozessinnovation, in der sich China auszeichnet, indem es seine dynamische Produktionsbasis nutzt. Der technologische Fortschritt hängt jedoch auch von der Fähigkeit ab, Innovationen zu entwickeln und zu verbreiten. Eine zugängliche, erschwingliche Infrastruktur ist dabei ein wichtiger Faktor. China hat hier einen deutlichen Vorteil, wenn auch um den Preis steigender Schulden und Haushaltsbelastungen. Das Land verfügt über ausgefeilte Logistiknetze, eine hohe Durchdringung mit digitaler Infrastruktur (mit einer Milliarde 5G-Teilnehmern), relativ niedrige Kosten für Wasser und Strom und erschwingliche Industrieflächen.
Erfolg in der Vergangenheit gleich Erfolg in der Zukunft?
Das Land steht allerdings derzeit vor etlichen Herausforderungen, die seinen Fortschritt bremsen könnten:
Der anhaltende deflationäre Druck ist ein Problem für die Einführung von Technologien in Unternehmen. Werden Kosten gesenkt, mindern sich auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für Investitionen. Unternehmen konzentrieren sich, um zu überleben, auf den Schuldenabbau. Ein strategischer Wechsel der Politik hin zur Stimulierung der Verbrauchernachfrage zur Bekämpfung der Deflation wäre hier hilfreich.
Ein Hindernis ist außerdem das unvorhersehbare regulatorische Umfeld in China. Die Initiative “Gemeinsamer Wohlstand” der Regierung, die die Einkommensungleichheit verringern soll, hat zu einem harten Durchgreifen in Sektoren wie E-Commerce und Bildung geführt. Die Maßnahmen dämpften den Unternehmergeist im privaten Sektor. Unternehmen in der Technologie-, Medien- und Telekommunikationsbranche, die einst als Vorreiter der chinesischen Innovation galten, stehen seit 2021 vor erheblichen regulatorischen Hürden.
Chinas Innovationsstrategie ist zunehmend zentralisiert. Seit Covid-19 ist der Spielraum für lokale Autonomie kleiner geworden. Die Regierung bevorzugt bestimmte Sektoren und behindert andere. In den letzten drei Jahren ist sie systematisch gegen E-Commerce-Plattformen, Glücksspiele und das Gesundheitswesen vorgegangen. Die Anti-Korruptionskampagne im Finanzsektor hat die Kapitalallokation erschwert und vielversprechende Privatunternehmen zum Rückzug aus dem Markt gezwungen.
Chinas Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA, gelten als zunehmend angespannt. Schon die Regierung Biden schränkte die Erneuerung des Abkommens zur Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie ein. Die Trump-Administration geht mit ihrer America First Trade/Investment Policy und der verschärften Einwanderungs- und Visapolitik noch weiter. Chinesische Wissenschaftler in den USA werden aus Sicherheitsbedenken immer genauer unter die Lupe genommen, und die US-Exportkontrollen und -sanktionen betreffen ein breiteres Spektrum von Hightech-Gütern. Die Sanktionen gegen Iran und Russland verursachten eine stärkere Militarisierung der Gesellschaft und schwächten den Privatsektor und die Mittelschicht. Im Falle Chinas könnten ähnlichen Folgen und damit eine Verlangsamung des technischen Fortschritts eintreten.
Der künftige Erfolg Chinas wird davon abhängen, ob es dem Land gelingt, seinen von oben nach unten gerichteten, staatlich gelenkten Ansatz mit den von unten nach oben gerichteten Kräften der Verbrauchernachfrage und der Kommerzialisierung in Einklang zu bringen. Ein dynamischer privater Sektor und ein dezentraler Ansatz sind für die Verbreitung von und den Zugang zu neuen Technologien unerlässlich. In dieser Hinsicht hat sich das Innovationsumfeld für chinesische Unternehmen in letzter Zeit verschlechtert.
Was bedeutet dies für Investitionen?
Das Rennen um die technologische Führung zwischen China und dem Westen ist noch lange nicht vorbei. Die USA besitzen den effizientesten Kapitalmarkt der Welt, der bahnbrechende Innovatoren hervorbringt. Dieser einheitliche Markt bietet einen fruchtbaren Boden für Unternehmen, die sich unvergleichbar leicht vergrößern können. China dagegen hat den umfangreichsten und kosteneffizientesten Produktionssektor der Welt erschaffen. Mit seinen Lieferketten ermöglicht es Unternehmen Innovationen in der Umsetzung und durch Skalierung. Zahlreiche chinesische Hersteller produzieren mit ihrem „Can-do“-Geist in einer für andere oft wirtschaftlich nicht machbaren Weise Waren.
Investitionen in chinesische Technologieführer durch die Auswahl von “Skalierungs-Champions” sind angesichts der durch deren Kosteneffizienz geschaffenen hohen Markteintrittsbarrieren ein gangbarer Weg.
Gegenwärtig hat Asien den größten Anteil an der Produktion hochentwickelter Informationstechnologie-Hardware. Jeder Versuch, die Lieferketten in die USA zu verlagern, würde zu sinkenden Gewinnspannen und steigenden Kosten für die Verbraucher führen, was vor allem für Unternehmen mit geringerer Preissetzungsmacht und niedrigeren Bruttomargen zu einem Problem werden könnte.
Quelleninformationen und weitere Angaben finden Sie im aktuellen Research Paper sowie im Amundi Research Center.
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Über Amundi
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