SJB | Korschenbroich, 03.06.2014. Am 20. März 2014 haben sich Rat und Europäisches Parlament auf die Ausgestaltung des SRM, dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus für Banken, geeinigt. Er stellt die zweite, essentielle Säule der europäischen Bankenunion dar.
Ziel des SRM ist es, finanziell in Schieflage geratene Banken möglichst ohne oder zumindest nur mit geringen Kosten für die Steuerzahler abzuwickeln.
Ohne den SRM wäre die erste Säule der Bankenunion, der am 4. November 2014 in Betrieb gehende einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM), ohne Nutzen, weil dann trotz einheitlicher EZB-Beaufsichtigung marode Banken weiterhin vom betroffenen Sitzstaat abgewickelt werden müssten.
Eine Einflussnahme der nationalen Politik auf Abwicklungsprozesse und -konditionen wäre kaum zu verhindern. Es ist aber ein Kernanliegen des SRM, die in der Vergangenheit schädliche Verbindung zwischen Nationalstaaten und Banken zu zerschlagen.
# Die rechtliche Basis
Der Abwicklungsmechanismus basiert auf einer EU-Verordnung, die zwei Komponenten beinhaltet:
# den einheitlichen Abwicklungsmechanismus („Single Resolution Mechanism“ – SRM) und
# den gemeinsamen Abwicklungsfonds („Single Resolution Fund“ – SRF)
Um den Transfer von national einzuhebenden Geldern in den SRF zu bewerkstelligen, wurde zudem eine zwischenstaatliche Vereinbarung zwischen den teilnehmenden Mitgliedstaaten abgeschlossen („Intergovernmental Agreement“, dazu unten).
Am 15. April 2014 hat das Plenum des Europäischen Parlaments seine Zustimmung zum oben erwähnten politischen Kompromiss beschlossen. Der Rat muss den SRM noch formal durchwinken. Demnach soll die neu einzurichtende einheitliche Abwicklungsbehörde (dazu gleich mehr) ihre Arbeit bereits am 1. Januar 2015 aufnehmen.
Der Abwicklungsmechanismus soll dann am 1. Januar 2016 operativ werden. Bis dahin bleiben die nationalen Abwicklungsregime, mit der Einschränkung, dass die Kommission Beihilfengenehmigungen bereits seit August 2013 von der Einbeziehung privater Investoren abhängig macht, anwendbar.
# Reichweite des SRM
Der SRM gilt, wie der SSM, prinzipiell nur für den Euroraum. Andere EU-Mitgliedstaaten, die sich dem SSM auf freiwilliger Basis angeschlossen haben, werden aber automatisch auch SRM-Mitglied.
Der neu einzurichtende europäische Abwicklungsausschuss (SRB, dazu gleich mehr) soll für die Liquidation aller Banken verantwortlich sein, wobei es wie beim SSM zu einer Teilung der Zuständigkeiten zwischen SRB und den nationalen Abwicklungsbehörden kommen wird.
Das SRB wird für jene Institute, die der direkten Aufsicht der EZB unterliegen, für grenzüberschreitende Banken sowie für Fälle, in welchen Mittel des einheitlichen Abwicklungsfonds in Anspruch genommen werden, zuständig sein. Für die übrigen Kreditinstitute bleiben die nationalen Abwicklungsbehörden verantwortlich, solange das SRB die Abwicklungskompetenz nicht an sich zieht.
# Organisation des SRM
Der SRM basiert auf einer – kompliziert anmutenden – Zusammenarbeit mehrerer nationaler und europäischer Behörden, namentlich dem neu zu schaffenden Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board, SRB) und dem Abwicklungsfonds (SRF), der EZB, der Europäischen Kommission, dem Rat und den nationalen Abwicklungsbehörden.
Dem SRB kommt bei der Abwicklung eine zentrale Rolle zu. Es setzt sich aus dem Vorsitzenden, vier weiteren Vollzeitmitgliedern und jeweils einem Vertreter der nationalen Abwicklungsbehörden aller teilnehmenden Mitgliedstaaten zusammen.
Die Mitglieder sind auf Vorschlag der EU-Kommission vom EU-Parlament zu genehmigen und in der Folge vom Rat mit qualifizierter Mehrheit zu bestellen. Jedes SRB-Mitglied hat eine Stimme. EZB und Kommission können jeweils einen Beobachter entsenden.
Abwicklungen von Instituten werden in der Regel in den Exekutivsitzungen beschlossen, an denen nur der Vorsitzende und die vier Vollzeitmitglieder teilnehmen. Ausnahmsweise ist das Plenum mit konkreten Abwicklungsfällen zu befassen, wenn eine Unterstützung in Höhe von mehr als 5 Milliarden Euro durch den Abwicklungsfonds erforderlich ist.
# Wie funktioniert eine Bankabwicklung im Rahmen des SRM?
Die Arbeit des SRB beginnt nicht erst mit der Abwicklung maroder Banken. Der Ausschuss ist zunächst für die Erstellung von Abwicklungsplänen (nach den materiellen Vorgaben der „Bank Recovery and Resolution Directive“ – BRRD) für bedeutende und grenzüberschreitend tätige Banken zuständig.
Gerät ein Institut tatsächlich in eine schwere finanzielle Schieflage, kommt zunächst der EZB eine zentrale Aufgabe zu. Sie muss dem SRB in der Regel mitteilen, ob eine Bank abzuwickeln ist. Das SRB ist dann für die Ausarbeitung eines Konzepts zuständig, das die konkrete Abwicklung der betroffenen Bank/Gruppe regelt.
Das Konzept soll nach der Vorstellung des EU-Gesetzgebers idealerweise auf dem bereits früher erstellten Abwicklungsplan beruhen und wird nach unserem Verständnis innerhalb weniger Tage fertiggestellt werden müssen.
24h || Dieses Konzept ist unverzüglich der Europäischen Kommission zu übermitteln, die es innerhalb von 24 Stunden mit Beschluss zu billigen hat oder dagegen Einwände erheben kann.
12h || Die Kommission kann auch innerhalb von 12 Stunden nach Erhalt dem Rat vorschlagen, gegen das Abwicklungskonzept Einwände zu erheben. Der Rat kann dann sogar eine Abwicklung durch den SRM ablehnen, wenn sie nicht im öffentlichen Interesse gelegen ist. In diesem Fall hat eine Abwicklung rein nach nationalen Regeln zu erfolgen.
Öffentliches Interesse liegt vor, wenn die Abwicklung insbesondere zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität in der EU, zum Schutz der Steuerzahler und zur Aufrechterhaltung kritischer Funktionen notwendig und verhältnismäßig ist.
Würde ein gewöhnliches Insolvenzverfahren die Abwicklungsziele des SRM im selben Ausmaß erreichen, liegt kein öffentliches Interesse vor. Das Abwicklungskonzept des SRB tritt hingegen automatisch in Kraft, wenn Rat und Kommission nicht fristgerecht begründete Einwände erheben (sg „silent approval“).
8h || Werden fristgerecht Einwände erhoben, hat der Ausschuss das Abwicklungskonzept innerhalb von 8 Stunden entsprechend zu ändern. Die tatsächliche Abwicklung erfolgt schließlich durch die zuständigen nationalen Abwicklungsbehörden auf Basis des Abwicklungskonzepts, wobei das SRB die Umsetzung genau zu überwachen hat.
# Der einheitliche Abwicklungsfonds (SRF)
Die zweite Komponente des SRM umfasst die Einrichtung eines von den Banken ex ante zu finanzierenden, europäischen Abwicklungsfonds (SRF). Seine Mittel sollen genutzt werden, wenn eine Verlusttragung durch Investoren / Gläubiger der Bank allein nicht ausreicht und zur Abwicklung weitere externe Mittel benötigt werden.
Der SRF ist per 1. Januar 2016 einzurichten und soll bis Ende 2024 eine Zielausstattung von zumindest 1 Prozent der gedeckten Einlagen aller teilnehmenden Mitgliedsländer aufbauen, die von den Banken nach Risikogesichtspunkten geleistet werden müssen. Das entspricht aus heutiger Sicht rund EUR 55 Milliarden.
Während der 8-jährigen Übergangszeit umfasst der Fonds nationale Teilfonds, deren Ressourcen schrittweise zusammengeführt werden sollen. Im ersten Jahr können bis zu 40 Prozent der Gelder vergemeinschaftet werden, im dritten Jahr bereits 70 Prozent.
Reichen die vorhandenen Fondsgelder nicht aus, um eine Bank abzuwickeln, kann das SRB von den Banken jährliche „Nachschüsse“ verlangen, die das 3-fache der jährlichen ex-ante-Beiträge nicht übersteigen dürfen.
Zwei wichtige Finanzierungsaspekte, die in der öffentlichen Debatte oftmals übersehen werden: am Markt können Kredite zur Finanzierung des SRF aufgenommen werden und als ultima ratio scheinen auch Mittel aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Mitgliedstaaten denkbar (so genannter „backstop“).
#FDIC Benchmark
Um die Effizienz des einheitlichen Abwicklungsmechanismus besser beurteilen zu können, lohnt ein kurzer Vergleich mit seinem US-Pendant „Federal Deposit Insurance Corporation“ (FDIC).
Die FDIC wurde 1933 als unabhängige US-Behörde eingerichtet. Als Reaktion auf die „Great Depression“ erhielt die sie das Mandat, insolvente amerikanische Banken abzuwickeln.
Lange Zeit waren Großbanken von der FDIC-Abwicklungskompetenz ausgenommen. Ein Fehler, den die USA 2010 mit dem Dodd-Frank Act korrigierten. Diese Ausweitung ist jedoch bis heute noch nicht abgeschlossen, da sich die amerikanischen Großbanken weiterhin eifrig dagegen wehren.
Der etablierte US-Abwicklungsmechanismus kann pragmatisch wie folgt zusammengefasst werden: FDIC Mitarbeiter kommen Freitag am Abend in die abzuwickelnde Bank und entscheiden im Verlauf des Wochenendes über die Aufteilung der Assets. Der FDIC-Prozess, genannt „Single Point Of Entry“ (SPOE), hat sich seit 1933 bewährt und kann als robust eingestuft werden. Alleine seit 2008 wurden auf dessen Basis rund 500 amerikanische Banken abgewickelt.
# Analyse
Der SRM hievt zumindest teilweise die Entscheidung über die Abwicklung von Großbanken aus dem nationalen Umfeld auf die europäische Ebene. Ohne Zweifel, die Richtung stimmt.
Man merkt dem SRM-Konstrukt jedoch deutlich an, dass es sich um einen politischen Kompromiss zwischen vielen Stakeholdern handelt. Dass er im Falle einer neuen gröberen Finanzkrise ausreicht, die gegenseitige Abhängigkeit von Banken und Nationalstaaten zu durchbrechen, wagen wir aus folgenden Gründen zu bezweifeln:
• Die SRM-Struktur ist komplex und bleibt – zumindest bei größeren Abwicklungsfällen – politisch beeinflussbar, weil sich die Nationalstaaten Mitspracherechte über die Involvierung des Rats gesichert haben.
So steht zu befürchten, dass bei größeren Verwerfungen nicht entschlossen genug gehandelt wird. Dass der SRM mit der Schlagfertigkeit des amerikanischen Pendants FDIC mithalten kann, glauben wir angesichts der vielen involvierten Player nicht.
• Es ist zudem fraglich, ob eine Abwicklungsentscheidung tatsächlich binnen 32 Stunden, also über das Wochenende, zustande gebracht wird, wenngleich dies im beschlossenen Kompromiss so vorgesehen ist. Unseres Erachtens wird dies gerade bei heiklen, wichtigen Fällen ungewiss sein, zumal in den Entscheidungsprozess viele Institutionen involviert sind.
• Dazu kommt die relative Größe des gemeinsamen Abwicklungsfonds. Die angepeilten EUR 55 Milliarden bis Ende 2024 erscheinen zwar ausreichend, um einzelne Großbanken oder mehrere kleinere Institute abzuwickeln.
Für größere Verwerfungen auf dem europäischen Bankenmarkt erscheint dieser Betrag jedoch als zu gering, was bereits mehrfach kritisiert wurde. Dies könnte dazu führen, dass der Steuerzahler trotz SRM wieder einspringen muss, was gerade verhindert werden soll. Es bleiben Zweifel, dass der SRM wirklich das leisten kann, wofür er geschaffen wird.
• Es muss sich auch erst zeigen, ob eine rasche Abwicklung nach zuvor ausgearbeiteten, theoretischen Abwicklungsplänen möglich ist. Krisenentwicklungen konnte nämlich bis dato relativ schlecht prognostiziert werden.
• Schließlich steht der Abwicklungsfonds auf wackeligen rechtlichen Beinen. Es wurde einerseits kritisiert, dass der EU-Vertrag keine geeignete Rechtsgrundlage für den SRM sei.
Andererseits sieht das EU-Parlament im Abschluss des zwischenstaatlichen Vertrags zur Vergemeinschaftung des Abwicklungsfonds eine Verletzung europäischen Rechts, weil damit das EU-Parlament ausgeschaltet wurde. Eines von vielen Beispielen für den ständigen politischen Kleinkrieg zwischen den Mitgliedstaaten und dem Parlament.
# Fazit
Am Beispiel des SSM ist zu erkennen, wie die EZB als relativ unabhängige, europäische Institution aus einer Position der Stärke einen klar strukturierten, realistisch umsetzbaren Aufsichtsmechanismus ausverhandelte.
Das Gegenteil ist beim SRM der Fall. Hier kommen die gegenwärtigen, mit dem Vertrag von Lissabon (2009) zugespitzten Kompetenzstreitigkeiten zwischen Rat, Kommission und Parlament deutlich zum Vorschein. Keine Kraft will ihre Einflussbereiche reduziert sehen.
Der SRM entspricht diesem Patchwork an kleinbürgerlichem Kompetenzgerangel. Die Wirksamkeit der Bankenunion ist damit reduziert. Kleinere Banken- oder nationale Bankenkrisen können mit dem derzeitigen SSM/SRM Setting gehandhabt werden.
Bei einem neuerlichen Herbst 2008-Szenario wird sich der SRM als schwächstes Glied der Kette wohl als Sollbruchstelle erweisen. Damit wird leider politischer Einflussnahme wieder Tür und Tor weit geöffnet.
Gut für Großbanken. Schlecht für den Steuerzahler.
Über die Autoren
Bernd Fletzberger ist Rechtsanwalt und Partner von PFR Rechtsanwälte. Zuvor war er Lehrbeauftragter für Bank- und Finanzwirtschaft an der Fachhochschule des BFI Wien, Rechtsanwaltsanwärter bei Binder Grösswang Rechtsanwälte OEG, Referent der Finanzmarktaufsichtsbehörde in Wien und Rechtsanwaltsanwärter bei Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte.
Markus Schuller ist Gründer von Panthera Solutions, eine Beratungsfirma für strategische Asset Allocation im Fürstentum Monaco. Zuvor war er über zehn Jahre lang als Asset Manager und Produktentwickler bei Banken und Asset Managern tätig. Er kommentiert für diverse Qualitätsmedien den Markt und referiert regelmäßig auf Konferenzen zum Thema Asset Allocation.
Quelle: DAS INVESTMENT.