Invesco | Frankfurt, 24.07.2018.
Die Märkte wurden zuletzt durch eine Kombination von Unsicherheitsfaktoren belastet, die von der Zuspitzung des Handelskonfliktes über die Stärkung des US-Dollars und den Brexit bis zu den schwelenden finanziellen und politischen Problemen der Eurozone reichen. Diese könnten den Märkten zwar kurzfristig zu schaffen machen. Nach Ansicht des Chefökonoms von Invesco, John Greenwood, reicht aber keiner dieser Belastungsfaktoren für sich genommen aus, um die fundamentalen Treiber des aktuellen globalen Aufschwungs auszuhebeln. Greenwood glaubt auch nicht, dass die aktuellen Zinserhöhungen in den USA, die als erste der großen Volkswirtschaften die Zinsnormalisierung eingeläutet haben, den aktuellen Aufschwung zum Erliegen bringen werden.
Wie er in seinem Markt- und Wirtschaftsausblick für Q3 2018 erläutert, gibt es grundsätzlich zwei Arten von Phasen steigender US-Zinsen: Entweder handelt es sich um eine Zinskorrektur – oder -normalisierung – im Rahmen eines konjunkturellen Aufschwungs oder um eine Zinsstraffung zur Eindämmung der Inflation, wenn sich der Konjunkturzyklus seinem Ende nähert. Greenwood ist überzeugt, dass die aktuellen Zinserhöhungen in den USA der ersten Kategorie zuzuordnen und vergleichbar mit den Zinsstraffungen der Jahre 1994-95 und 2004-05 sind. Diese Form der Zinsanpassung könne zwar zu kurzfristigen Turbulenzen an den Finanzmärkten führen, habe aber gewöhnlich keine gravierenden Auswirkungen.
Im Wesentlichen würden die US-Zinsen derzeit erhöht, um ein übermäßiges Wachstum der Geldmenge und eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern, damit der Aufschwung noch mehrere weitere Jahre andauern kann. Der Chefökonom von Invesco sieht keine Hinweise auf eine fundamentale Beschleunigung der Teuerung in den USA. Dies und das anhaltend schwache Geld- und Kreditwachstum bedeute, dass für die Fed kein Bedarf für weitere Zinserhöhungen bestünde, wenn die Zinsen ein „neutrales“ Niveau erreicht haben.
Unterdessen verharrt die Inflationsrate in anderen großen Wirtschaftsräumen wie der Eurozone und Japan weiter deutlich unter dem 2-Prozent-Ziel. Daher sieht Greenwood hier auch aktuell kein Risiko einer abrupten Straffung der Geldpolitik, die die Märkte destabilisieren könnte. Für die Industrieländer zeichne sich damit ab, dass der globale Aufschwung noch mindestens zwei, vielleicht sogar drei oder vier Jahre andauern könne, bevor er mit dem Anstieg der Inflation seinen traditionellen Wendepunkt erreiche. „Das wiederum bedeutet, dass die Aktien- und Immobilienmärkte ihren zyklischen Höhepunkt mehrere Jahre nach den aktuellen Zinserhöhungen erreichen könnten“, so der Chefökonom von Invesco.
Auf Länderebene signalisieren die zuletzt wieder deutlich besseren Daten aus den USA seiner Ansicht nach, dass es sich bei der Wachstumsabschwächung im ersten Quartal nur um eine vorübergehende Wachstumsdelle gehandelt hat. Während viele Analysten erwarten, dass die Ende 2017 verabschiedeten Steuersenkungen der Trump-Regierung das BIP-Wachstum in den USA in den nächsten zwölf Monaten kräftig ankurbeln werden, glaubt Greenwood, dass dieser fiskalpolitische Impuls durch das schwache Geld- und Kreditwachstum weitgehend kompensiert wird. Die Steuersenkungen könnten zwar über den „Crowding-Out-Effekt“ durch höhere Staatsausgaben zu höheren Zinsen führen. Ihre Auswirkungen auf Wachstum und Inflation dürften daher aber begrenzt sein. Insgesamt rechnet der Chefökonom von Invesco in den USA im Gesamtjahr 2018 so mit einem realen BIP-Wachstum von 2,5%.
Derweil hat die Europäische Union mit dem Separatismus in Spanien, der Koalitionskrise in Italien und einer europaweiten Einwanderungsdebatte zu kämpfen, die drohte, für Bundeskanzlerin Merkel zur Machtprobe zu werden. Im Hintergrund dauern die zähen Brexit-Verhandlungen weiter an. Diese politischen Entwicklungen haben die Wirtschaftsaktivität in der Eurozone belastet. Im weiteren Verlauf des Sommers wird sich die Wirtschaftsaktivität Greenwood zufolge voraussichtlich weiter abschwächen, da der Handelskonflikt mit den USA, das schleppende Kreditwachstum und die anhaltenden Probleme der Banken für Abwärtsdruck sorgen.
Nach Ansicht des Chefökonoms von Invesco bedeutet letzteres, dass das Einlagen- und damit M3-Wachstum in der Region wahrscheinlich wieder sinken wird, wenn die EZB ihre Anleihenkäufe im Dezember beendet. Das wiederum könnte die Wachstumsdynamik bremsen und die Inflation bis auf 1% oder sogar noch weiter sinken lassen, wodurch Greenwood der Eurozone insgesamt ein reales BIP-Wachstum von 2,1% für 2018 in Aussicht stellt.
In Großbritannien hat eine gewisse Verlagerung der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsbasis hin zu Exporten und exportbezogenen Investitionen die Konsumabhängigkeit der Wirtschaft in den letzten zwei Jahren reduziert. In den letzten Quartalen hat dieser Trend jedoch wieder nachgelassen, da die Unsicherheiten über die Ausgestaltung der Handelsbeziehungen nach dem Austritt aus der EU dazu geführt haben, dass viele Unternehmen Investitionen aufgeschoben haben. In Verbindung mit einem nur schwachen Lohnwachstum und einem langsamen Geld- und Kreditwachstum wird das Greenwood zufolge dafür sorgen, dass das Wachstum in Großbritannien bis auf weiteres weiter schwächer ausfällt als in den USA und der Eurozone. Er prognostiziert ein reales BIP-Wachstum von 1,4% für 2018 insgesamt.
In Asien entwickelt sich die japanische Wirtschaft weiter nur mäßig. Der Chefökonom von Invesco führt dies auf das fehlende Wachstum der Erwerbstätigenbasis infolge der gesellschaftlichen Alterung sowie die chronisch fehlende Nachfrage zurück. Wie er betont, ist das breite Geldmengenwachstum (M2) in Japan noch nicht ausreichend stark, um für einen nachhaltigen Preisauftrieb zu sorgen. Dadurch dürfte die Inflation im Schnitt weiter deutlich hinter dem Zielwert der BOJ von 2% zurückbleiben und durch ein niedriges nominales BIP-Wachstum, ein unterdurchschnittliches Lohnwachstum und enttäuschende Verbraucherausgaben begleitet sein. Der Chefökonom von Invesco rechnet in Japan im Gesamtjahr 2018 mit einem realen BIP-Wachstum von 0,9%.
In China zahlen sich die ergriffenen Maßnahmen zum Abbau des von den kommunalen Regierungen, Unternehmen und bankunabhängigen Finanzdienstleistern über mehrere Jahre angehäuften Schuldenbergs inzwischen aus. Durch das langsamere Geldmengenwachstum hat sich die Binnennachfrage etwas abgeschwächt. Auf außenwirtschaftlicher Ebene wirken Greenwood zufolge derzeit zwei gegenläufige Kräfte. Einerseits hätten sich die chinesischen Exporte wieder etwas erholt. Andererseits würden die Importzölle der Trump-Regierung – die auf viele der fortschrittlichsten chinesischen Industriesektoren abzielen – zunehmend Wirkung zeigen.
Noch sei es zu früh zu sagen, wie sich der von Trump angestoßene Handelskonflikt entwickeln wird. Greenwood skizziert jedoch zwei plausible Szenarien. Das erste sieht wie folgt aus: Die USA und China könnten die Verhandlungen wieder aufnehmen und bis zu den Zwischenwahlen in den USA im November eine Einigung mit chinesischen Zugeständnissen herbeiführen. Im zweiten Szenario würde China den US-Zöllen gleichwertige Vergeltungszölle entgegenstellen, woraufhin die Trump-Regierung zu einem noch schmerzhafteren Gegenschlag ausholen dürfte. Dadurch würde der Handelskrieg noch auf unbestimmte Zeit andauern, mit potenziell gravierenden Folgen für den Welthandel und die US-chinesischen Beziehungen. Bis auf weiteres rechnet Greenwood in China 2018 mit einem BIP-Wachstum nach offizieller Messung von 6,7%.
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