Degroof Petercam AM | Brüssel, Januar 2019
Das Jahr 2018 endete mit einem deutlichen Einbruch der Aktienmärkte, ein markanter Dämpfer für Anleger weltweit. Im Dezember fiel der S&P 500 um fast 10%, während der Stoxx 50 und der Nikkei jeweils um 6% bzw. 10% nachgaben. Die Marktturbulenzen sorgten vielfach für Ratlosigkeit: Sind Aktien nun im Abwärtstrend oder ergeben sich durch den Rücksetzer einmalige Gelegenheiten?
Mega-Konjunkturzyklus
Um diese Frage zu beantworten muss untersucht werden, in welchem Stadium des Konjunkturzyklus wir uns aktuell befinden. Die Dauer der derzeitigen Expansionsphase lässt den Verdacht aufkommen, dass das Ende des Zyklus näher gerückt sein könnte. Der Aufschwung befindet sich im 114. Monat und ist damit bereits die zweitlängste Wachstumsphase der Geschichte. Die bislang längste begann im März 1991 und erstreckte sich über 120 Monate. Der Konjunktur-Boom ist vornehmlich das Ergebnis der extrem lockeren Geldpolitik mit niedrigen oder sogar negativen Zinsen und quantitativen Lockerungen sowie der jüngsten Fiskalpolitik in China und den USA.
Schon die ehemalige Präsidentin der US-Notenbank, Janet Yellen, sagte, dass Expansionsphasen nicht an Altersschwäche sterben. Somit wird eine nähere Analyse von Konjunkturzyklen erforderlich. Wirtschafts- und Marktindikatoren liefern dafür wertvolle Informationen. Wirtschaftliche Frühindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex (PMI), die in der Regel dem Konjunkturzyklus vorauseilen, scheinen bereits Ende 2017 bis Mitte 2018 ihren Spitzenwert erreicht zu haben. Auch Spätindikatoren, wie die Arbeitslosenquote, weisen immer noch positive Werte auf und veranlassen die Zentralbanken dazu, ihre Geldpolitik weiter zu straffen. Die Zeichen deuten somit darauf hin, dass das Ende des Konjunkturzyklus erreicht sein könnte. Diese Schlussfolgerung wird durch die offensichtliche Absicht der Fed unterstützt, eine Pause bei ihren Zinsanhebungen einzulegen, sowie die in Teilen bereits inverse US-Renditekurve.
Wirtschafts- und Marktindikatoren sowie politische Entscheidungsträger legen dasselbe Fazit nahe: Wir könnten uns durchaus auf oder sogar bereits wieder unter dem Gipfel des Konjunkturzyklus befinden. Dies wirft gleichzeitig die Frage auf: Quo vadis, Aktienmärkte?
Wie soll man die Aktienmärkte bewerten?
Um die Richtung der Märkte zu prognostizieren, sollte ein Anleger die derzeitigen Aktienbewertungen einschätzen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist wahrscheinlich die von Finanzanalysten und -strategen am meisten verwendete Kennzahl. Diese ist zwar sehr hilfreich in Trendmärkten, doch hat sie ein bedeutendes Manko. An Wendepunkten im Konjunkturzyklus neigen die meisten Unternehmen, Analysten und Strategen dazu, den Trend der zugrundeliegenden Gewinne zu dem Zeitpunkt zu extrapolieren, an dem dieser seine Richtung ändert. Daher sendet das KGV häufig falsche Signale – und zwar zu pessimistische, wenn sich die Markt- und Wirtschaftsentwicklung im Tal befindet, und zu optimistische in der Nähe von Konjunkturgipfeln. Da sich der derzeitige Zyklus seinem Endstadium nähert, ist das KGV somit wahrscheinlich wohl nicht das beste Instrument.
Um die Aktienbewertungen breiter zu analysieren, ist es sinnvoller, entweder die Extrapolation des Gewinns pro Aktie zu vermeiden oder eine andere Kennzahl zu verwenden, die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen hat und auf Robert Shiller, Wirtschaftsprofessor an der Yale University, zurückgeht. Dieser Nobelpreisträger entwickelte das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis, das üblicherweise auch CAPE (Cyclically Adjusted Price-to-Earnings Ratio) oder Shiller-KGV genannt wird. Diese Bewertungskennzahl ist definiert als der Aktienkurs dividiert durch die durchschnittlichen Gewinne der vergangenen zehn Jahre und bereinigt um die Inflation. Einfach ausgedrückt berücksichtigt sie die Gewinne über einen „vollständigen“* Konjunkturzyklus, um die Zyklizität von Gewinn-Kennzahlen herauszunehmen und eine übermäßige Extrapolation in die Zukunft zu vermeiden.
Die Beurteilung des CAPE für die verschiedenen Aktienregionen und seine Betrachtung in einem historischen Kontext könnte zur Beantwortung der Fragen beitragen, die sich Anleger zurzeit stellen: Sind die Märkte nach dem jüngsten Fall der Aktienkurse günstig? Ist eine Rezession bereits eingepreist?
Grafik 1 zeigt die Entwicklung der Gewinne pro Aktie. Das Gewinnwachstum seit 2006 fiel in den Schwellenländern am stärksten aus, gefolgt von einem Aufschwung Japans und in der Folge auch der USA. Es ist schmerzhaft festzustellen, dass das Gewinnwachstum in der Eurozone quasi inexistent ist, was auf massiv regulierte Sektoren wie Versorger, Kommunikationsdienstleister und Finanzen zurückzuführen ist, die heftige Gewinnrückgänge zu verzeichnen hatten.
Die Grafik weiter unten zeigt das CAPE für die verschiedenen Regionen in einem historischen Kontext. In allen drei betrachteten Regionen kippte die Kennzahl nach dem abrupten Einbruch des Marktes im letzten Quartal 2018. Bei relativer Betrachtung sind die Bewertungen in den USA immer noch höher als die in der Eurozone und Japan. Gemessen an ihrer eigenen historischen Entwicklung sind die USA ebenso wie die Eurozone (26% bzw. 23% über ihrem Durchschnitt) weiterhin recht teuer.
Allerdings hat auch die CAPE-Kennzahl ihr Manko. Denn sie würde im nächsten Jahr automatisch leicht zurückgehen, weil die schlechten Gewinn-Ergebnisse von 2009 aus dem zehnjährigen Zeitfenster herausfallen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Gewinnerwartungen für die kommenden Jahre in einem Umfeld schwächeren Wachstums übermäßig optimistisch.
Fazit
Aus den oben ausgeführten Analysen lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen:
Anleger sollten gegenüber den europäischen und US-amerikanischen Aktienmärkten langfristig eine gewisse Vorsicht walten lassen. Selbst nach den jüngsten Kursrückgängen sind diese Märkte immer noch nicht billig. Ohnehin sind Rezessionsgefahren dort noch gar nicht eingepreist. Demgegenüber erscheint Japan fairer bewertet und ist daher unter diesem Gesichtspunkt interessanter.
Das Gewinnwachstum in Europa war über die vergangenen zehn Jahre trostlos. Es gibt keine unmittelbaren Anzeichen dafür, dass sich dieses Bild in absehbarer Zeit zum Besseren wendet. Das bedeutet nicht, dass Europa außer Acht gelassen werden sollte, sondern vielmehr, dass aktives Management bei europäischen Aktien von entscheidender Bedeutung ist, um annehmbare zukünftige Renditen zu generieren.
*Nimmt man die aktuelle Wachstumsphase hinzu, lag die durchschnittliche Dauer der Expansion seit 1854 bei 41 Monaten. Nach 1945 lag die durchschnittliche Dauer bei 64 Monaten.