Allianz | Frankfurt, 18.12.2015.
Wir bewegen uns in einem Umfeld noch immer vergleichsweise blutleeren weltwirtschaftlichen Wachstums, das nicht nur durch eine De-Synchronisierung zwischen den entwickelten und den sich entwickelnden Volkwirtschaften, sondern auch zwischen den einzelnen Industriestaaten geprägt ist. Während sich beispielsweise die US-Wirtschaft auf einem stabilen Konjunkturpfad zu entwickeln scheint, erholen sich die Länder der Eurozone mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vom Krisenmodus.
In Japan wiederum stehen die erhofften Erfolge von „Abenomics“, der Verbindung massiver Fiskal- mit ebenso massiven geldpolitischen Programmen, noch aus. Auch bei den Inflationsraten ist noch nicht ausgemacht, wohin die Reise geht. Zwar werden diese stark von den zurückgegangenen Rohstoffpreisen überlagert, aber sie sind noch weit von der Marke entfernt, die zumindest die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem 2%-Ziel als stabilitätspolitisch erwünscht ansieht.
Als Antwort auf die Frage, warum die anhaltende Phase „billigen“ Geldes sich weder in stärker steigenden Konjunktur- noch in Verbaucherpreisdaten niedergeschlagen hat, können mehrerlei Argumente angefügt werden. So dürften die privaten Haushalte, die mehrere Vermögenspreisschocks in Folge der Krisen über die letzten Jahrzehnte durchleben mussten, insgesamt sorgsamer im Ausgabengebaren sein und ihre Sparquote eher höher halten als vor den Krisen – trotz oder gerade auch wegen der niedrigen Zinsen auf Spareinlagen. Niedrige Zinsen müssen nicht, wie geldpolitisch erwünscht, zu einem höheren Konsum führen, da die Opportunitätskosten des Konsums mit den niedrigen Zinsen gesunken sind. Sie können genau das Gegenteil bewirken: Da der Ertrag auf das angelegte Kapital geringer geworden ist, muss heute mehr zurückgelegt werden, um morgen das ursprünglich benötigte Kapital zur Verfügung zu haben. Auch der Schuldenabbau lastet insgesamt auf dem Wachstum – bei den Staaten wie auch bei den privaten Haushalten.
Was aber sind Lösungen, die auf einen global nachhaltigen und höheren Wachstumspfad führen?
Die fiskalische Situation lässt in vielen Ländern kaum eine höhere Neu-verschuldung zu. Offen bleibt auch die Frage, ob steigende Staatsaus-gaben zu einem Multiplikator führen würden, der größer als eins ist – also dass tatsächlich mehr Wachstum entsteht, als dies dem fiskalischen Impuls entspricht. Strukturreformen sind oft schwierig durchzusetzen und langwierig. Bleibt der Wechselkurs. Die Importe des einen sind die Exporte des anderen. Wer es schafft, seinen Wechselkurs zu schwächen, darf Exportzuwächse erwarten – es sei denn, auch die Gegenseite setzt auf dieses Instrument. Da Geldpolitik in ihrer Konsequenz, ob gewollt oder ungewollt, aber immer auch Wechselkurspolitik ist, gerät die Geldpolitik schnell in die Situation eines Gefangenendilemmas. Die Entwicklung des Euro-Dollar-Kurses der letzten Monate erinnert an dieses Zusammenspiel, aber nicht nur dieser.
Das Paradigma des Gefangenendilemmas ist schnell erklärt: Zwei (zur Vereinfachung) Spieler können miteinander kooperieren oder versuchen, zu Lasten des anderen Vorteile zu erhalten. Beide wissen: Wenn sie miteinander kooperieren, stellen sie sich beide besser, als in dem Fall, dass der andere sie verrät, und es zu einem Schuldspruch kommt. Das Problem ist nur: Verrät einer den anderen, aber der andere vertraut auf eine unausgesprochene Kooperation (beide können sich nur ohne gegenseitige Absprache entscheiden), dann stellt sich der Verräter besser da als im Falle gegenseitiger Kooperation. Wie verhalten sich die beiden also, wenn jeder einen Anreiz hat, sich zu Lasten des anderen besser zu stellen, in der Hoffnung, dass dieser nicht mit der gleichen Münze zurückzahlt? Denn tut er dies, dann stellen sich beide deutlich schlechter (und wandern ohne Strafminderung ins Gefängnis). Die Parallelen zur Geldpolitik liegen auf der Hand. Wenn die Zentral-banken davon ausgehen, dass Abwertungswettläufe auf Dauer besten-falls ein Null-, eher aber ein Minussummenspiel sind, ist die Empfehlung klar: Am besten gar nicht erst damit beginnen. Hat dieser Wettlauf aber erst einmal begonnen, was umso leichter fällt, wenn sich die Inflations-raten fast überall in der Nähe der Nullgrenze oder darunter bewegen, dann ist es schwer, wieder auszusteigen. Unter diesem Paradigma muss der jüngste Schritt der US-Fed gesehen werden, wie auch die Internati-onalisierungsstrategie der People Bank of China für den Renminbi. Die Bindung an einen Währungskorb hilft aus der Aufwertungsspirale, zu der die Bindung an den Dollar führte, heraus.
Das Gefangenendilemmas wird uns auch 2016 begleiten.
Frohe Weihnachten und ein Dilemmata freies, glückliches 2016
wünscht Ihr
Hans-Jörg Naumer