SJB | Korschenbroich, 20.11.2014. Warum der negative EZB-Einlagenzins keine Strafgebühren rechtfertigt, was Anleger tun können und warum Banken dabei letztendlich den Kürzeren ziehen werden, erklärt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt beim Goldhändler Degussa.
Der Negativzins hat die Fondsbranche erreicht: Depotbanken verlangen Strafgebühren auf den Cash-Anteil der Fonds, die Fondsgesellschaften wehren sich. Und was können Privatanleger tun? Dieser Frage geht DAS INVESTMENT.com im dritten und letzten Teil der Negativzins-Serie im Gespräch mit dem Degussa-Chefvolkswirt Thorsten Polleit nach.
DAS INVESTMENT.com: Sie meinen, dass der „natürliche Zins“ gar nicht negativ sein kann. Warum nicht?
Thorsten Polleit: Man kennt den Zins als Entgelt für die Überlassung von Kapital. Ökonomisch betrachtet ist jedoch der „natürliche Zins“ eine Wertdifferenz: Menschen werten Güter, die gegenwärtig verfügbar sind, höher als Güter, die erst künftig verfügbar sind. Anders gesprochen: Künftige Güter erleiden einen Preisabschlag gegenüber gegenwärtigen Gütern. Dieser Preisabschlag kommt im „natürlichen Zins“ zum Ausdruck.
Der „natürliche Zins“ kann nicht auf null fallen. Das würde bedeuten, dass man zwei Äpfel, die erst in 100 Jahren verfügbar sind, einem heute verfügbaren Apfel vorzieht. Der „natürliche Zins“ kann auch nicht negativ werden: Denn das hieße, dass ein Apfel, der erst in 100 Jahren verfügbar ist, einem heute verfügbaren Apfel vorgezogen wird. Das klingt nicht nur realitätsfremd, es sind irrtümliche Gedanken: Sie laufen auf die Aussage hinaus, dass der Mensch niemals konsumiert, dass er sein Einkommen immer und vollständig spart. Nullzins und Negativzins laufen der Logik des menschlichen Handelns zuwider.
Im heutigen Geldsystem, in dem der Staat das Monopol der Geldproduktion innehat, kann allerdings die Zentralbank – auch in Zusammenarbeit mit den Regulatoren – diesen oder jenen Marktzins quasi in den Negativbereich zwingen. Es handelt sich dann jedoch um einen im wahrsten Sinne des Wortes „unnatürlichen Zins“, der volkswirtschaftlich großen Schaden anrichtet.
Die Europäische Zentralbank (EZB) nutzt die Negativverzinsung als geldpolitisches Instrument mit der Absicht, Liquidität in den Markt zu spülen und die Konjunktur anzukurbeln. Hätte Sie denn eine andere Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen?
Mir scheint, es geht hier um etwas ganz anderes als um Versuche, die Konjunktur anzukurbeln. Im ersten Schritt der sogenannten „Krisenpolitik“ wurde die Zahlungsfähigkeit des Bankenapparates und der Staaten gesichert. Dazu dienen Tiefzins und eine de facto unlimitierte Bereitstellung von Basisgeld. In einem zweiten Schritt geht es darum, die Schuldenlasten abzubauen. Ein Strafzins auf Kundeneinlagen ist eine Maßnahme auf diesem Weg. Banken entschulden sich durch einen „Tausch“ auf ihrer Bilanzpassiva: Die Guthaben verringern sich, im Gegenzug steigt das Eigenkapital der Banken an.
Mit Blick auf die Konjunktur: Ich fürchte, dass es nicht besser werden kann mit der Wirtschaftslage, ohne dass es vorher schlechter wird. Das gilt vor allem für den Euroraum. Grundsätzlich gilt: Mehr Wachstum und Beschäftigung erfordern mehr Marktwirtschaft und weniger Staat. Derzeit sind die Weichen jedoch auf weniger Marktwirtschaft und mehr Staat gestellt. Diese Weiche muss umgestellt werden.
Mit der Skat-Bank gibt die erste deutsche Bank die Negativzinsen der EZB an ihre Privatkunden weiter. Zu Recht?
Diese Frage lässt sich mit Blick auf die Zahlenlage beantworten. Die Überschussguthaben zuzüglich der Depositeneinlagen, die die Banken bei der EZB halten, belaufen sich derzeit auf etwa 111,6 Milliarden Euro. Der negative Einlagenzins von 0,2 Prozent bürdet den Banken somit Kosten von 223 Millionen Euro auf. Umgerechnet auf die Sichtverbindlichkeiten der Kunden von mehr als 4.700 Milliarden Euro ist das eine Belastung von knapp 0,005 Prozent – deutlich weniger als 0,25 Prozent, die bereits hier und da verlangt werden. Bei einzelnen Banken mag es anders sein: Aber insgesamt bietet der negative EZB-Einlagenzins so gesehen keine überzeugende Erklärung, dass die Banken einen Strafzins von 0,25 Prozent erheben müssten.
Derzeit sind nur Kunden mit einem Millionenvermögen von den Strafzinsen der Skat-Bank betroffen. Wird sich dieses Modell auch in anderen Banken mit einer weniger gut betuchten Klientel durchsetzen?
Ich denke ja. Das wird sich im Zuge einer Politik der „kleinen Schritte“ vollziehen und früher oder später alle Bankeinlagen betreffen. Und dabei ist nicht ausgeschlossen, dass der Strafzins letztlich höher ausfallen wird, als man heute denken mag. Für das System als Ganzes ist das natürlich nicht ungefährlich. Verstehen die Kunden, was geschieht, könnten sie ihre Einlagen abziehen, es käme zum „Bank Run“. Oder aber die Banken müssen höherverzinsliche Sparangebote machen, um Kunden zu halten. Die Refinanzierung der Banken verteuert sich, das Ergebnis ist für Banken schlechter als ohne Strafzins.
Die Negativverzinsung hat auch die Fondsbranche erreicht: Mindestens drei – wahrscheinlich aber vier – der fünf größten Depotbanken verlangen von den Fonds Strafzinsen für die Cash-Vorräte. Die Fondsgesellschaften werden die Strafgebühren wohl an die Anleger weiterleiten müssen. Welche Auswirkungen wird das auf die Fondsbranche haben?
Der Strafzins kann unkluges Investieren befördern: Investoren erhalten den Anreiz, wenig oder keine Kasse zu halten, obwohl es Marktbedingungen geben kann, in denen die Kassenhaltung vorteilhaft ist. Zudem wird vermutlich auch die Nachfrage nach Euro-Anleihen steigen und die Renditen noch weiter nach unten ziehen. Schließlich ist eine Nullverzinsung auf Schatzanweisungen immer noch besser, als 0,25 Prozent pro Jahr bei der Kassenhaltung zu verlieren. Die Bereitschaft, sich schlechte Risiken zu extrem tiefen Zinsen einzukaufen, steigt. Und nicht zuletzt dürften Ausländer ihre Euro-Kassenhaltung zurückfahren, das sollte tendenziell den Euro-Außenwert schmälern.
Negativzinsen aufs Tages- und Festgeld, steigende Kosten bei Fonds: Sollen Anleger ihr Geld nicht besser vom Konto abheben und unter die Matratze oder in den Banktresor legen?
Wenn die EZB so weiter macht, wird Bargeldhaltung in der Tat vorteilhafter sein als die Haltung von Sicht-, Termin- und Spareinlagen bei Banken. Bei der Schließfachlagerung des Bargeldes sollte man sich jedoch vorher genau informieren, wie hoch zum Beispiel die Versicherungssumme ist. Schließlich werden auch in Banken zuweilen Tresore geknackt (DAS INVESTMENT.com berichtete) Man könnte auch darüber nachdenken, in Fremdwährungen auszuweichen – wie Schweizer Franken und US-Dollar. Allerdings geht man dann Wechselkursrisiken ein.
Welche alternativen Geldanlagen sehen Sie im derzeitigen Zinsumfeld?
Produktivkapital, im einfachsten Fall der Erwerb von Aktien, gegebenenfalls auch der Einstieg in Private-Equity-Formate. Genauer: das Investieren in Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auch in wirtschaftlich und monetär turbulenten Zeiten bestehen können. Solche „guten Unternehmen“ aufspüren und sie zu günstigen Preisen kaufen, ist, wie ich meine, die überlegene Strategie. Sie geben dem Investor die Möglichkeit, eine Rendite zu erzielen, die höher liegt als die Teuerungsrate, also eine positive reale Verzinsung zu erwirtschaften. Sparer und Investoren sollten zudem daran denken, Gold als Teil ihrer Vorsichtskasse zu halten.
Zur Person: Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt der Degussa. Informationen über seinen Investmentansatz finden Sie hier: www.polleit-riechert.com.
Von: Svetlana Kerschner
Quelle: DAS INVESTMENT.