Es gibt Gründe, warum sich Schweizer Aktien stark entwickelten, findet Eleanor Taylor Jolidon. Die Co-Chefin für globale Aktien bei Union Bancaire Privée erklärt, wie die Eidgenossen ihre Unternehmen über Jahrzehnte auf Vordermann brachten und warum Mifid II das gefährdet. Schweizer Unternehmen haben heute eine globale Reichweite. Es scheint daher logisch, dass die Manager dieser Firmen nach dem Leistungsprinzip und nicht nach ihrer nationalen Identität ausgewählt werden. Es scheint auch durchaus normal, dass die Schweizer Unternehmen – und die Anleger, die in diese investieren – nach den talentiertesten Führungskräften Ausschau halten.
In den Top 20 der Schweizer Unternehmen hat weniger als die Hälfte der Geschäftsführer die Schweizer Staatsangehörigkeit. Und auch in den Verwaltungsräten sitzen in der Regel Personen mit einem eher internationalen Profil – namentlich Spezialisten aus verschiedenen Bereichen und Ländern –, womit die strategische Ausrichtung des Unternehmens unterstützt werden soll. Dies hat im Wesentlichen dazu beigetragen, dass heute zahlreiche Unternehmen in ihren jeweiligen Branchen weltweit führend sind.
Diese globale Führungsposition erklärt teilweise auch, weshalb der SPI (Swiss Performance Index) in den letzten 30 Jahren deutlich besser abgeschnitten hat als der MSCI World. Grund dafür ist insbesondere, dass die Schweizer Unternehmen bereit und in der Lage sind, ihre Cashflow-Renditen (CFROI d.h. Cash Flow Return on Investment) zu verbessern und auf einem höheren Niveau zu halten als viele internationale Konkurrenten. Die Anleger können angesichts der bisherigen Erfahrungen sicher sein, dass bei den Entscheidungen stets das Leistungsprinzip und die Bedürfnisse der Unternehmen im Vordergrund standen. Bis anhin hat die Regulierung die Zusammensetzung der Verwaltungsräte und der Geschäftsleitungen kaum beeinträchtigt. Die Schweizer Unternehmen haben also keine Probleme, qualifizierte Spitzenkräfte zu finden, die bereit sind, sich für die Interessen dieser Firmen einzusetzen, wobei Verbesserungen im Hinblick auf ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis in den Führungsgremien durchaus denkbar sind.
Nach der Minder-Initiative scheinen die institutionellen Anleger und die Schweizer Unternehmen für eine bessere Corporate Governance gesorgt zu haben. Die Generalversammlungen finden heute größere Beachtung als in der Vergangenheit. Obwohl die Vergütung eine große Rolle spielt, lässt nichts darauf schließen, dass auf Manager zweiter Wahl ausgewichen werden musste. Und auch die ausländischen Talente wurden durch die politischen Maßnahmen nicht davon abgebracht, in die Führungsgremien von Schweizer Unternehmen einzutreten.Diskussionen über die Vergütung sollten nicht zulasten des Austauschs über die Strategie des Unternehmens und über die Zusammensetzung von dessen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung gehen. Mehr Raum für Diskussionen sollte dazu beitragen, das Leistungsprinzip in den Unternehmen zu fördern. Die Minder-Initiative ist also zu begrüssen und gibt die Richtung für die Corporate Governance auf internationaler Ebene vor. Sie ist ein wichtiges Instrument, um die Aktionäre anzuhalten, ihre Verantwortung wahrzunehmen und insbesondere ihren Einfluss auf die Ernennungen der Verwaltungsratsmitglieder geltend zu machen. Die Fälle der Manager mit überrissenen Löhnen scheinen mittlerweile der Vergangenheit anzugehören.
Die Anleger und die Unternehmen sollten weiterhin für das Leistungsprinzip einstehen und die bisweilen ineffizienten Konzepte oder politisch bzw. wirtschaftlich motivierten Empfehlungen der unabhängigen Stimmrechtsvertreter (Proxy-Voting-Services) ablehnen. Direkter Kontakt zu den Unternehmen ist entscheidend, um deren Gründe für die Zusammensetzung ihres Verwaltungsrats und ihrer Geschäftsleitung nachvollziehen zu können. Es ist kaum bekannt, dass die Stimmrechtsvertreter nicht verpflichtet sind, die Unternehmen zu kontaktieren, bevor sie ihre Abstimmungsempfehlungen abgeben. Außerdem sind an der Sachdienlichkeit dieser Empfehlungen zuweilen Zweifel angebracht, da die Stimmrechtsvertreter bei gewissen Unternehmen nicht nur Abstimmungsempfehlungen abgeben, sondern auch Beratungsmandate annehmen. Die Empfehlungen eines Stimmrechtsvertreters blind zu übernehmen, könnte verheerende Auswirkungen auf die Tradition haben, bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats auf das Leistungsprinzip abzustellen. Quantitative Regeln, wie beispielsweise die Anzahl der Dienstjahre, sollten keine Rolle spielen; nur die Personen, die am besten geeignet sind, den Bedürfnissen des Unternehmens gerecht zu werden, sollten im Verwaltungsrat Einsitz nehmen.
Allerdings besteht die Gefahr, dass die Schweizer Tradition der Meritokratie durch die neue europäische Richtlinie Mifid II in Frage gestellt wird. Aufgrund von Rationalisierung ist es durchaus möglich, dass diese zu einer weniger strikten Kontrolle der kotierten Kleinunternehmen führt und sich die Anleger und Unternehmen deshalb geneigter zeigen, Abstriche beim Leistungsprinzip hinzunehmen, das sich in den letzten 30 Jahren in den Schweizer Unternehmen durchgesetzt hat.
Von: Eleanor Taylor Jolidon
Quelle: Das Investment