Wie geht es weiter mit der Erbschaftsteuer-Reform? Mark Pawlytta, Anwalt bei KPMG und Vorstandsmitglied des Zentrum für Unternehmensnachfolge an der Universität Mannheim, beleuchtet die Eckpunkte im Interview mit DAS INVESTMENT.com am Rande der MLP Financial Planning Powertage.
DAS INVESTMENT: Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung aufgetragen, die Erbschaftsteuer bis Ende Juni 2016 neu zu regeln. Warum ist das bisher nicht gelungen?
Mark Pawlytta: Eigentlich wollte man rasch und minimalinvasiv nur die vom Bundesverfassungsgericht kritisierten Punkte bei der Vererbung von Unternehmensanteilen verändern. Doch das Erbschaftssteuerrecht ist kompliziert, man will komplexe Unternehmenssachverhalte würdigen und angemessen besteuern, ohne wesentlich weniger oder mehr an Steuern einzunehmen. Das lässt sich nicht mit drei Federstrichen bewerkstelligen. Dazu kommt das Phänomen, dass die Erbschaftsteuer ein Bundesgesetz ist, aber das Aufkommen ausschließlich den Ländern zur Verfügung steht.
Es gab doch bereits einen Gesetzentwurf, warum wurde dieser nicht verabschiedet?
Mark Pawlytta: Wir hatten am 8. Juli 2015 einen Entwurf der Bundesregierung, der in den Bundestag eingebracht wurde. Dann lief das verfassungsrechtliche Procedere, der Entwurf wurde dem Bundesrat weitergeleitet. Dessen Stellungnahme kam Ende September 2015. Dort gab es Kritik und konkrete Änderungsvorschläge der Länder, gefolgt von einem Kompromiss zwischen Bund und Ländern, den jedoch Bayern scharf kritisiert hat. Der Entwurf sei nicht mittelstandsfreundlich genug, er schütze nicht ausreichend die Familienunternehmen. Bayern hat Angst, dass die neue Erbschaftsteuer Familienunternehmen zu stark belastet. Diese Sorge ist nicht gänzlich unbegründet, da nach den bislang bekannten Reformbestrebungen insbesondere für Inhaber größerer Unternehmen die Bürokratie und auch die Steuerbelastung ansteigen werden.
Bis zum letzten Jahr war eine Vereinfachung der Erbschaftsteuer über ein Flat-Tax-Modell im Gespräch. Warum ist aus diesem Ansatz nichts geworden?
Mark Pawlytta: Die Hauptkritik seitens des Bundesfinanzministeriums an Flat-Tax-Modellen lautet dem Vernehmen nach, dass es durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und den geringeren Freibeträgen zwar zu einer Vereinfachung kommen könnte, aber man dann viel mehr Unternehmen prüfen und steuerlich begutachten müsste. Heute werden ja laut den Informationen des Bundesfinanzministeriums, auf die sich auch das Bundesverfassungsgericht gestützt hat, in der Regel weit weniger als 10 Prozent der Todesfälle überhaupt mit Erbschaftsteuer belastet, weil so viele Ausnahmen existieren. Die administrative Belastung für die Landesfinanzverwaltungen und die Mehrkosten durch eine Flat-Tax, wenn zukünftig fast alle Unternehmen Gegenstand der Erbschaftsteuer werden, so hört man, seien zu groß. Aber genaue Zahlen wurden hierzu nicht veröffentlicht.
Wesentliche Grundpfeiler der Erbschaftsteuer – Steuerklassen, Freibeträge – werden sich nicht verändern, worüber wird denn konkret gestritten?
Mark Pawlytta: Das Bundesverfassungsgericht hatte gefordert, dass der Gesetzgeber genauer als bislang regelt, wann und warum er einen Unternehmer mit Erbschaft- und Schenkungsteuer verschonen möchte. Vereinfacht gesagt: Je größer der Unternehmenswert, der übertragen wird, desto größer sei auch für den Gesetzgeber der Rechtfertigungsdruck, warum Unternehmer wenig oder gar keine Erbschaftsteuer zahlen müssen. Im Kern dreht sich der aktuelle Streit um genau diese Frage. So fordert zum Beispiel Bayern, dass bei der Frage, ob ein Unternehmer Erbschaftsteuer zahlen muss, und wenn ja, wieviel, dessen Privatvermögen nicht einbezogen werden soll. Das ist in den aktuellen Entwürfen aber enthalten. Bayern will auch die langen Fristen für die Gesellschaftsverträge von Familienunternehmen verkürzen. Ursprünglich ging es um 40 Jahre, jetzt sollen es dem Vernehmen nach 22 Jahre sein, in denen die Unternehmer ihre Gesellschaftsverträge in bestimmten im Regierungsentwurf erwähnten Punkten nicht verändern dürfen, ansonsten erfolgt eine Nachbesteuerung.
Wer künftig mehr als 26 Millionen Euro begünstigtes Vermögen erbt, wird besteuert, hat aber die Möglichkeit einer Bedürftigkeitsprüfung. Wie geht das vonstatten?
Mark Pawlytta: Grundsätzlich kann auch die Anteilsvererbung oder Anteilsschenkung bis 26 Millionen Euro pro Erwerb bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen besteuert werden. Bei einem Erwerb über 26 Millionen Euro soll es auf Antrag des Unternehmers zu der Prüfung kommen, ob er bedürftig ist und deshalb von der Erbschaftsteuer verschont werden darf. Es geht ja nicht um 26 Millionen Euro Bargeld oder Wertpapiere, sondern um Anteile an Unternehmen, deren Wert „nur“ auf dem Papier steht. Dieser Antrag soll beim für die Erbschaft- und Schenkungsteuer zuständigen Finanzamt gestellt werden, sonst findet keine Prüfung statt. Der Erbe wird im Rahmen des Antrags angeben müssen, wie hoch sein verfügbares Vermögen ist. Es wird also geprüft, wieviel Privatvermögen der Unternehmer hat. Je nach Ergebnis soll sich der Umfang der Erbschaft-und Schenkungsteuer bestimmen, die ihm mit Blick auf das Unternehmensvermögen erlassen wird, damit er seinen Unternehmensanteil nicht verkaufen muss.
Werden wir in der Folge mehr Minderjährige als Erben von Unternehmen sehen?
Mark Pawlytta: Nein, das glaube ich nicht. Tatsächlich denken Familienunternehmer immer mal wieder nach, ob sie nicht schon frühzeitig Kinder in das Unternehmen aufnehmen sollen. Das sind manchmal auch Minderjährige, aber je jünger diese sind, desto seltener kommt das vor, weil viele Unternehmer erst einmal sehen wollen, ob sich das Kind auch so entwickelt, dass es sich eignet, im Unternehmen mitzuarbeiten. Ich sehe in der Praxis sehr viele Unternehmer, die sich nicht allein von steuerlichen Aspekten bei der Frage leiten lassen, ob bereits minderjährige Kinder in das Unternehmen aufgenommen werden.
Bei einer Holding konnte man Strukturen so schaffen, dass man die Erbschaftsteuer komplett umgehen konnte. Das ist nicht mehr möglich?
Mark Pawlytta: Sie konnten das Vermögen bisher in Unternehmensgruppen, zum Beispiel auch durch die Gründung von Tochtergesellschaften, sehr geschickt verteilen. Und zwar so, dass das „schädliche Verwaltungsvermögen“, welches sich negativ bei der Erbschaftsteuer auswirken kann, bei allen Gesellschaften unter den gesetzlichen Grenzen lag, die eine Befreiung von der Erbschaftsteuer voraussetzen. Und dadurch konnte man die gesamte Unternehmensgruppe erbschaftsteuerrechtlich verschonen. Das soll nun anders werden, es wird bei Holdingstrukturen eine Verbundprüfung geplant. Wenn man es stark vereinfacht, so kann man sagen, dass das Vermögen aller Gruppengesellschaften in einen Topf kommt. Es wird dann das Gesamtvermögen ermittelt und festgestellt, welches Vermögen begünstigungsfähig ist und welches definitiv besteuert wird.
Was passiert konkret, wenn es bis zum 30. Juni 2016 nicht gelingt, ein neues Erbschaftsteuerrecht zu verabschieden?
Mark Pawlytta: Das Bundesverfassungsgericht selbst hat erklärt, dass das eigentlich als nicht verfassungskonform erklärte bisherige Recht auch über den 30. Juni 2016 hinaus anwendbar bleibt, falls es vorher nicht durch ein neues Recht abgelöst wird. In der Wissenschaft wird kritisiert, dass dies ein unhaltbarer Zustand ohne Präzedenzfall sei. Für Unternehmer und Berater gilt: Sie müssen nach den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zwangsläufig erst einmal weiter von dem alten Erbschaftsteuerrecht ausgehen, wenn nach dem 30. Juni 2016 kein neues Erbschaftsteuerrecht kommt, eine Situation, die bei vielen für Kopfschütteln sorgt.
Was heißt das für die Haftung des Beraters, wenn das neue Recht später kommt und dann – durchaus denkbar – auf den 1. Juli 2016 zurückdatiert wird? Womöglich hat er dann im Nachgang falsch beraten?
Mark Pawlytta: Ein Berater sollte seine Mandanten auf diese merkwürdige Rechtslage hinweisen. Der Mandant muss sich dann – wir sprechen hier naturgemäß von Schenkungsfällen und nicht von Erbfällen – entscheiden, was er tut, ob er wartet, bis eine klare neue Reglung erfolgt, oder ob er nicht warten kann oder will. Ich sage meinen Mandanten, dass sie damit rechnen müssen, dass die aktuelle Rechtslage spätestens nach dem 30. Juni 2016 wegfallen könnte, und zwar auch noch rückwirkend, zum Beispiel im Herbst 2016. Wer unbedingt nach dem 30. Juni 2016 und vor einer Klärung der Rechtslage schenken will, kann sich zumindest absichern und in den Schenkungsvertrag etwa schreiben, dass er die Schenkung widerrufen und das Geschenk zurückfordern kann. Hierbei sind allerdings je nach Unternehmensform einige steuerliche Besonderheiten zu beachten.
Und bei Erbfällen? Die Menschen sterben ja trotzdem.
Mark Pawlytta: Hier ähnelt die Rechtslage sehr der Rechtslage für Schenkungen, und sie ist auch ähnlich umstritten. Folgt man der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, würde der Erbfall nach dem 30. Juni 2016 wohl nach dem alten Recht beurteilt werden müssen, solange es keine Neuregelung gibt. Gibt es zum Beispiel erst im Herbst eine Neuregelung, die auf den 1. Juli 2016 zurückwirkt, so vertreten manche die Auffassung, dass ein Todesfall im Juli oder August 2016 wie eine Schenkung nach dem neuen Recht zu besteuern sei. Wenn sich die Politik nicht auf eine Neuregelung einigt, so wird das Bundesverfassungsgericht nach einer entsprechenden Vorlage das derzeit anwendbare Recht vermutlich endgültig außer Kraft setzen. Aber auch dann gäbe es wieder Ungewissheiten, ab wann genau das derzeit noch anwendbare Recht endgültig außer Kraft gesetzt ist. Es ist wohl noch offen, wie sich die Politik entscheidet, falls sie die Erbschaftsteuerreform erst nach dem 30. Juni 2016 auf den Weg bringt. Die Politik muss sich noch mit all diesen Fragen beschäftigen.
Für welche Zielgruppe besteht jetzt noch Handlungsbedarf, bevor das neue Recht kommt?
Mark Pawlytta: Das sind vor allem Unternehmer, deren Unternehmen heute ein signifikantes Verwaltungsvermögen haben, also bis zu der Grenze von 50 Prozent des Gesamtwerts des Unternehmens. Das Verwaltungsvermögen heutiger Prägung scheint wohl auch künftig beibehalten zu werden, soll aber als „nicht produktives Vermögen“ auf jeden Fall besteuert werden. Auch Familienunternehmer, die über Anteile mit einem Wert weit über 26 Millionen Euro verfügen, könnten nach altem Recht wohl mit weniger Schenkungsteuer belastet werden, sofern die anderen üblichen Voraussetzungen für eine Steuerverschonung vorliegen. Für sie wird das neue Recht bürokratischer und sehr wahrscheinlich mit einer höheren Steuerlast versehen. Jeder, der deshalb jetzt noch schenken möchte, muss sich aber sputen, da die Zeit knapp wird.
Von: Oliver Lepold
Quelle: DAS INVESTMENT.