SJB | Korschenbroich, 29.04.2014. Die Nachfrage nach europäischen Staatsanleihen ist groß. Der Grund dafür ist die hohe Rendite und Draghis Versprechen, alles für den Erhalt des Euros Notwendige zu tun, meint Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der Feri EuroRating Services.
Spanische Staatsanleihen rentieren so niedrig wie US-amerikanische, Griechenland hätte mit seiner jüngsten 5-Jahres-Anleihe statt 3 Milliarden Euro auch 20 Milliarden einsammeln können, und wenn demnächst Portugal neue Anleihen begibt, wird das Interesse nicht minder groß sein: Der Blick auf das Geschehen an den Rentenmärkten lässt die Vermutung zu, die Euroschuldenkrise ist endgültig vorbei und alles wieder gut.
Tatsächlich dürfte die ungebremste Nachfrage nach (europäischen) Staatsanleihen weniger vom Glauben an die Gesundung der europäischen Volkswirtschaften getrieben sein als vom Appetit auf eine im Vergleich zu deutschen Anleihen höhere Rendite, verbunden mit dem nahezu bedingungslosen Vertrauen auf das noch immer im Raum stehende Wort Draghis, alles für den Erhalt des Euro Notwendige zu tun.
Die Frage freilich stellt sich, ob dieses Vertrauen wirklich gerechtfertigt ist. Erinnern wir uns: Als der EZB-Chef im Sommer 2012 sein Versprechen abgab, waren sich alle Analysten darin einig, dass die EZB in einer höchst kritischen Situation mit massiven Zweifeln am Fortbestand der Währungsunion vor allem Zeit kaufe, indem sie den Rentenmarktakteuren signalisiere, Spekulationen auf das Ende der Währungsunion sind kurzfristig jedenfalls nicht erfolgversprechend.
Dahinter stand das Kalkül, die Staaten würden ihre Finanzen in den folgenden Jahren wieder soweit in Ordnung bringen, dass Spekulationen auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone auch fundamental nicht mehr begründet seien. Das Kalkül ist, was die Märkte betrifft, aufgegangen – gegen die EZB wollte dann doch niemand größere Wetten eingehen.
Fundamentaldaten ernüchtern
Schaut man auf die fundamentale Entwicklung, so fällt das Urteil weitaus nüchterner aus: Sicher, der Euroraum hat die lange Rezession der Jahre 2011 bis 2013 hinter sich gelassen, und die meisten Länder weisen wieder positive Wachstumsraten auf.
Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Spanien und Portugal ist heute deutlich besser als vor zwei Jahren, die Arbeitslosigkeit scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben, und auch der Saldo der Staatshaushalte sieht nicht mehr ganz so tiefrot aus. Aber: Die prognostizierten Wachstumsraten für das laufende wie auch für das kommende Jahr lassen keinen Aufschwung erwarten, der mit der Bezeichnung dynamisch angemessen beschrieben wäre.
Der vielgerühmte Primärüberschuss des griechischen Staatshaushalts kommt nur durch mindestens umstrittene Rechenkünste zustande, bei denen bestimmte Staatsausgaben einfach ausgeklammert werden. In Frankreich ist bei aller Reformrhetorik des neuen Ministerpräsidenten noch immer nicht erkennbar, wann und wie die Regierung ihr Defizit unter die 3 Prozent-Marke drücken will, und Italien ist von einem ausgeglichenen Staatshaushalt unter Renzi möglicherweise noch weiter entfernt als unter dem fast schon wieder vergessenen Reformer Monti. Staatsverschuldung in Euro-Ländern wächst
Nüchtern bleibt festzustellen, dass alle Prognosen derzeit erwarten lassen, dass die Staatsverschuldung der europäischen Länder im Jahr 2015 höher sein wird als im Jahr 2012 auf dem Höhepunkt der Euroschuldenkrise. Die Frage ist also erlaubt: Wie lange wirkt das Wort des EZB-Chefs, wenn die Fundamentaldaten eine andere Sprache sprechen?
Auch wenn es derzeit nicht den Anschein hat (oder vielleicht sogar gerade deswegen): Irgendwann könnten die Akteure auf den Rentenmärkten wieder stärker die Fundamentaldaten in den Blick nehmen und versucht sein, das Versprechen Draghis praktisch zu testen. Angesichts der weiterhin ungelösten Strukturprobleme in der Architektur der Währungsunion käme dies einem Test gleich, ob wirklich am Ende Deutschland die mehr oder weniger unbegrenzte Haftung für die Schwächen der anderen Euromitglieder übernimmt.
Der Zeitpunkt für einen solchen Test lässt sich naturgemäß nicht abschätzen, aber es könnte durchaus früher sein, als so mancher Käufer von griechischen Staatsanleihen heute annehmen mag. Es wird jedenfalls Zeit, dass die überfällige politische Debatte über die künftige Ausgestaltung der Währungsunion geführt wird.
Weil es kaum ein realistisches (und vielleicht auch gar kein wünschenswertes) Szenario ist, dass Europa gesundet, indem alle Länder eifrig Deutschland nachzuahmen versuchen, wird diese Debatte auch aus deutscher Sicht solch unbequeme Punkte enthalten müssen wie die Frage nach Eurobonds und nach Transfers zwischen den Mitgliedstaaten der Währungsunion.
Ob dies alles sein soll, oder ob es im Gegenzug gelingt, wirksame Anreize für Haushaltsdisziplin und für wettbewerbsfördernde Strukturen innerhalb der Währungsunion zu setzen, ist aus ökonomischer Sicht die eigentlich spannende Frage, die politisch zu beantworten ist. Die Zeit dafür dürfte aber jedenfalls nicht unbegrenzt lang sein.