Das Investment: „So müsste Finanzberatung aussehen“

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Erhält ein Verbraucher in der hiesigen Vermittler- und Beraterszene gute Beratung, und findet er sinnvolle Altersvorsorgeprodukte? Der Rhetorik-Coach und Journalist Malte Krüger hat sich im deutschen Finanzvertrieb umgesehen und darüber ein Buch geschrieben. Hier schildert er seine Erlebnisse. Auf der Suche nach einer auskömmlichen Geldanlage fürs Alter und guter Finanzberatung hat der Kommunikationstrainer und Journalist Malte Krüger sich auf eine mehrjährige Odyssee durch den deutschen Finanzvertrieb begeben – als Journalist, Testkunde und Anwärter bei einem Strukturvertrieb. In Zusammenarbeit mit dem Honorarberater Alexander Schmidt ist daraus ein Buch entstanden.

„Undercover in der Finanzindustrie“ liest sich als eine Abrechnung mit der hiesigen Beratungsindustrie. Nach Meinung der Autoren bietet sie vor allem lieblose Massenabfertigung und bringt kaum sinnvolle Produkte an den Altersvorsorgesparer. Für die Recherche erhielt Krüger ein Stipendium der Günter-Wallraff-Stiftung.

Im Interview mit unserem Portal spricht der Autor über seine Recherche-Erlebnisse:

DAS INVESTMENT: Sie haben sich zwei Jahre lang in der Finanzbranche umgesehen – sowohl aus Sicht eines Kunden als auch eines Beraters. Ihre Beobachtungen haben Sie in einem Buch festgehalten. Woher stammt die  Idee?

Malte Krüger: Das Projekt entstand aus persönlichen Gründen. Ich stand als Mittvierziger vor dem Problem, privat fürs Alter vorsorgen zu müssen. Mir ging es wie Millionen anderen Verbrauchern: Ich hatte so gut wie keine Ahnung von Finanzen. Ich wusste nicht, wie ein Fonds funktioniert oder was überhaupt ein ETF ist. Ich wollte auch wissen, ob ich unabhängig von Experten zu einem mündigen Verbraucher werden kann.

Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen?
Krüger: Ich habe alle Hierarchiestufen abgeklappert, vom Finanzstrukturvertrieb bis zur Nobelbank. Meine akademische Ausbildung war dabei hilfreich. Ich habe mich zum Beispiel bei einem Finanzstrukturvertrieb beworben – als jemand, der nichts über Finanzen weiß, aber alles über die Methoden der rhetorischen Manipulation. Ich habe mich mit dem sprechenden Tarnnamen „Herr Gier“ vorgestellt, was aber niemandem aufgestoßen ist. Dort hat man mein Angebot freudig zur Kenntnis genommen, selbst Schulungen abzuhalten.

Sind Sie darauf eingegangen?
Krüger: Es kam nicht mehr dazu. Ich wollte nur wissen, ob man bereit ist, mich als Spezialist für Manipulation zu nehmen. Und mir auch noch Privilegien einzuräumen, ohne den Weg von ganz unten nehmen zu müssen.

Wenn Sie sich als Herr Gier vorgestellt und sich als Manipulations-Spezialist empfohlen haben, sind Sie nicht neutral an die Sache herangegangen. Es klingt, als ob Sie eine schon vorhandene Meinung bestätigt wissen wollten.

Krüger: Die Finanzindustrie bietet seit der Finanzkrise viel Empörungsstoff. Eine Frage, die meine Recherche angeleitet hat, war auch: Wie kann ich mit einem Milieu umgehen, das sich in einer Krise befindet, das ich aber für meine private Vorsorge brauche – wie kann ich diesen toten Punkt überwinden?

Ihre weiteren Stationen?
Krüger: Ich habe zum Beispiel mit einem Filialdirektor einer Versicherung gesprochen. Bei ihm habe ich mich als Journalist und Autor zu erkennen gegeben. Es war wie in einem Mafiafilm: Er änderte im letzten Moment vor dem verabredeten Termin noch einmal unseren Treffpunkt. Vielleicht hat er viel zu verlieren, wenn herauskäme, dass er mir etwas aus der Innenansicht erzählt hat. Außerdem habe ich mit dem Vertreter einer Landesbank gesprochen. Und ich war als Testkunde unterwegs.

Schildern Sie bitte mal Ihre Erfahrungen.

Krüger: Ich habe in den Beratungsgesprächen ein klares Ziel vorgegeben: Ich bin Durchschnittsverdiener, habe monatlich 400 bis 500 Euro über und muss eine Rentenlücke von etwa 250.000 Euro füllen. Viele Berater waren mit mir als Kunden aber überfordert.

In der Altersvorsorge-Beratung sind Sie damit aber kein Ausnahmekunde.

Krüger: Ich habe gemerkt, dass die Erklärungskompetenz der mir gegenübersitzenden Berater minderwertig ist. Das kann ich beurteilen als Mitglied der Bildungsbranche. Die Produkte waren intransparent. Auch auf Nachfrage konnten die Berater sie mir nicht gut erklären. Da habe ich als Kunde selbst die Regie der Erklärung vorgenommen. Insbesondere eine Bankberaterin konnte mit einem fragenden Kunden aber nichts anfangen. Ihr Gesprächsführungsplan war wohl nicht auf mich anwendbar. Ein anderer Berater hat zumindest ein recht professionelles Beratungsgespräch geführt. Er hat Spielelemente eingebaut und mich als Kunden symbolisch an die Hand genommen. Trotzdem wurde mir auch dort nur ein sehr kleiner Ausschnitt an Produkten angeboten.

Zum Beispiel?
Krüger: Mir wurden wenig rentable Fondsprodukte angeboten, hauptsächlich im Mantel einer Versicherung. Die Produkte ähneln sich sehr. Mal sind sie mit aktiv gemangten Fonds unterlegt, mal mit Indexfonds. Ich wurde als Kunde klar einem Segment zugeordnet. Das führt zu einer Verengung des Ausschnitts bei den Produkten. Es waren immer ungefähr dieselben Produkte, bloß in grün, von der jeweiligen Bank oder einem anderen Anbieter, mit dem sie zusammenarbeitet.

Welche Produkte hätten Sie sich gewünscht?
Krüger: Ich möchte nicht auf Indexpolicen beschränkt werden. Warum werden mir keine ETFs angeboten? Als Durchschnittssparer sind die Möglichkeiten, Produkte abseits des Massenmarktes angeboten zu bekommen, sehr begrenzt. Ich würde außerdem gern etwas über Begriffe wie Benchmark oder über die Portfoliotheorie nach Markowitz erfahren. Die Berater haben sich zu wenig Zeit genommen. Sie haben auch nicht so ein großes Know-how. Mittlerweile bin ich selbst so fit, dass ich in einer Bank Produkte verkaufen könnte.

Wie lange dauerten die Beratungsgespräche?
Krüger: Zum Teil drei Stunden. Teilweise aber auch nur eine. In einer Bank kam ich einmal offenbar zu einer ungünstigen Zeit. Ich war der letzte Kunde vor der Mittagspause, das hat die Beraterin sehr offen kommuniziert. Ich habe aber auch bei einer Privatbank vorgesprochen.

Haben Sie einen Unterschied wahrgenommen?
Krüger: Als Trick, um überhaupt eine Audienz zu bekommen, habe ich mich als Millionenerbe ausgegeben. Da gab es ausführlichere Beratung. Die Berater hatten auch ein größeres Know-how, das war eine ganz andere Liga. Der Habitus spielte eine große Rolle, schon der Sitz der Bank war ein herrschaftliches Haus. Das Gespräch war sehr harmonisch und informativ. Bei der Privatbank hat man das professionelle Wissen. Ich wäre als gewöhnlicher Kunde aber nicht an diese Bank herangekommen.

Viele Verbraucher stecken in derselben Klemme. Sie haben eine Altersvorsorgelücke und bräuchten Beratung. Wenn sich Berater für jeden Privatkunden aber sehr viel mehr Zeit nehmen würden, als es jetzt der Fall ist, würden die Beratungskosten explodieren.

Krüger: Diesen Zwiespalt sehe ich auch. Aber wie wäre es, wenn sich die Branche mit weniger zufriedengibt? Zudem appelliert die Politik an die Eigenverantwortung der Verbraucher. Ich habe es versucht, und meine Initiative wurde nicht belohnt. Insofern ist dieser Appell eine verlogene Forderung.  Natürlich kostet Beratung Geld. Aber ich muss als Verbraucher auch die Möglichkeit haben, einen Leistungscheck durchzuführen.

Wie meinen Sie das?
Krüger: Ich bin während der Recherche mal mit einem Honorarberater aneinandergeraten. Er fing an zu feilschen, wie lange ich seine Leistung denn testen dürfte. Er sagte: Das können Sie bei einem Arzt auch nicht machen. Ich sollte mich innerhalb einer halben Stunde entscheiden, ob ich seine Leistung in Anspruch nehmen wollte. Er war sehr arrogant. Nach dem Vorgespräch war die Beratung zu Ende.

Auch wenn Sie sich mit diesem Honorarberater offenbar nicht grün waren – Honorarberatung gilt als der Königsweg, auf den auch die Regulierung die Branche langfristig lenkt. Berater schauen dann nicht auf Provisionen und handeln mehr im Kundeninteresse, heißt es.

Krüger: Mich interessiert zu allererst: Hat der Berater, der mir gegenübersitzt, etwas drauf? Die Vergütung trifft darüber noch keine Aussage. Die Honorarberaterszene hat aber erst einmal den Vorteil, dass sie nicht so eine schmutzige Vorgeschichte hat wie die klassische Beratung.

Haben Sie noch weitere Stationen abgeklappert?
Krüger: Ich habe mich auch an Fintechs gewandt. Ich frage mich nur: Wenn ich als Verbraucher eine Marktanalyse vornehmen kann und eine Aktie oder einen Fonds lesen kann, brauche ich dann noch einen Mittler wie einen Robo-Berater. Außerdem habe ich mit einem Vermögensverwalter diskutiert, wie ich als Privatanleger dem Massenmarkt entfliehen könne. Er hat mir direkt gesagt, dass meine Chancen schlecht seien. Er könne zwar Hölzer und seltene Metalle anbieten, aber nur ab einer Anlagesumme von 50.000 Euro.

Sie stellen in Ihrem Buch auch ein Beispiel vor, das Sie überzeugt hat.

Krüger: Ich bin an einen Honorarberater geraten, Alexander Schmidt, der auch Co-Autor des Buches ist. Er hat mir alle möglichen Finanz- und Versicherungsprodukte zu allen möglichen Lebensereignissen vorgestellt. Er ist als Berater bei mir nicht durchgefallen. Es tickte keine Uhr. Das Ideal der Beratung stelle ich mir so vor wie das Verhältnis zwischen Karate Kid und seinem Mentor, dem Hausmeister Mister Miyagi. Keine Massenware von Produktverkäufern, sondern eine ganzheitliche Unterweisung.

Wie lange dauerte die Beratung?
Krüger: Herr Schmidt hat sich mehrere Wochen Zeit genommen. Es ging auch um den Erwerb von Finanzmündigkeit. Allerdings können 95 Prozent der Verbraucher diesen Aufwand nicht bewältigen. Daher wäre es ideal für Verbraucher, die nicht so viel Zeit mitbringen, einen solchen Berater zu finden. Mir ist klar: Das ist in der Masse nur schwer realisierbar, das ist erstmal nur ein Ideal. Aber so müsste Beratung aussehen.

Der Autor
Malte Krüger ist Rhetorik-Coach und Journalist. Zusammen mit zwei Partnern leitet er eine Privatschule für Erwachsenenbildung in Neumünster. Der studierte Politologe und Sprachwissenschaftler lebt in Kiel und schreibt momentan an seinem dritten Buch.

Das Buch
Titel Undercover in der Finanzindustrie
Autoren Malte Krüger, Alexander Schmidt
Verlag Finanzbuchverlag
Preis 19,99 Euro (270 Seiten)
ISBN 978-3-95972-117-2

Von: Iris Bülow
Quelle: Das Investment

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