Sieben Experten diskutierten mit DAS INVESTMENT über Asset Allocation, ETF-Mythen, Robo-Advisory, Kundenvertrauen und Absolute-Return-Strategien.
Weitere Interviews, Produkt-Porträts und Videos zum Thema „Asset Allocation in der Niedrigzeins-Ära: Die Strategien erfolgreicher Portfoliomanager“ präsentieren wir Ihnen in einem Multimedia-Special
Teilnehmer des Roundtables:
Berenike Wiener ist Leiterin Stiftungsmanagement und Corporate Sector beim Bundesverband Deutscher Stiftungen.
Anne Connelly ist Mitgründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Fondsfrauen.
Achim Küssner ist Sprecher der Geschäfts­führung bei Schroders Investment Management.
Martin Lück ist Leiter Kapitalmarktstrategie Deutschland, Österreich und Europa bei BlackRock.
Nedim Kaplan ist Portfoliomanager und Finanzanalyst bei Ökoworld Asset Management.
Alexander George ist Abteilungsdirektor für institutionelle Kunden, Stiftungen und Family Offices bei Hauck & Aufhäuser.
Walter Liebe ist Senior Investment Advisor bei Pictet Asset Management Deutschland.
DAS INVESTMENT: Welche Fragen in der Asset Allocation treiben Stiftungen gegenwärtig um?
Berenike Wiener: In Deutschland gibt es mehr als 21.000 Stiftungen. Drei Viertel davon haben ein Kapital von jeweils weniger als 1 Million Euro, und viele arbeiten auf ehrenamtlicher Basis. Deshalb kommen unsere Mitgliedsstiftungen zu uns und bitten um Hilfestellung, wie man zeitgemäße Anlagerichtlinien erstellt, bis hin zur strategischen Beratung, wie sie sich in Fragen der Ertragsorientierung und im Risikomanagement richtig aufstellen. Klar ist: Auch in der Niedrigzinsphase darf die Umsetzung des Stiftungszwecks nicht gefährdet werden.
Nun schlagen aber teils auch bei professionellen Investoren Marktzyklen im Portfolio voll durch. Muss sich generell etwas an der Anlagementalität ändern?
Anne Connelly: Ich denke, dass vielfach noch Nachholbedarf besteht, ethische Kriterien bei der Auswahl der Investitionsziele zu berücksichtigen. Denn dies hat unmittelbare positive Auswirkungen auf Unternehmen und erzielbare Renditen. Hier spielen auch Gender-Themen eine Rolle: Credit Suisse hat dazu im vergangenen Jahr eine bemerkenswerte Studie angefertigt. Ein Ergebnis: Wenn man sich für den Zeitraum der zurückliegenden neun Jahre Unternehmen betrachtet, die wenigstens eine Frau im Vorstand hatten, konnten diese eine durchschnittliche Performance von über 3 Prozent per annum erreichen – in Zeiten niedriger Zinsen ist dies eine vergleichsweise gute Performance. Aktieninvestoren könnten hier profitieren.
Wobei die Aktienkultur hierzulande ja noch sehr ausbaufähig ist. Viele Privatanleger setzen immer noch stark auf traditionelle Sicherheit und auf Garantieprodukte, die nicht viel abwerfen. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig.
Achim Küssner: Auf jeden Fall. Diesen Paradigmenwechsel versuchen wir nicht nur in der aktuellen Marktphase, sondern schon seit Jahren zu vermitteln. Dass unsere Branche damit nicht wirklich durchdringt, hat auch damit zu tun, dass wir die Dinge vielfach noch viel zu wissenschaftlich und zu abstrakt darstellen. Ein Privatanleger kann sich in der Regel unter dem Thema Volatilität gar nichts vorstellen. Wir müssen hier viel konkreter werden: etwa mit der Frage, wo bei möglichen Verlusten beim jeweiligen Kunden die Schmerzgrenze liegt. In diese Richtung müssen wir uns entwickeln.
Beim jüngeren Publikum trifft man hier eher auf offenere Ohren, oder?
Martin Lück: Das stimmt. Die Investor-Pulse-Studie von BlackRock weist zwar Jahr für Jahr aus, dass in Deutschland Privatanleger um die 60 Prozent Cash halten. Das ist natürlich sehr hoch, gerade in den gegenwärtigen Zeiten. Aber die aktuelle Studie zeigt auch: Jüngere Leute sind heute eher bereit, ein bisschen mehr Risiko zu akzeptieren, was auch daran liegt, dass sie noch sehr lange Altersvorsorgeaufbau betreiben müssen. Sie merken, dass man im Niedrigzinsumfeld dafür einfach eine höhere Rendite braucht, weil man sonst sehr hohe Beträge zurücklegen muss.
Die Affinität zum Immobilienkauf ist allerdings auch bei jüngeren Menschen groß – trotz aller Argumente, damit Klumpenrisiken zu akzeptieren und keine Risikostreuung zu betreiben.
Nedim Kaplan: Das kann ich bestätigen. Meine Neffen und Nichten sind sozusagen mit der Finanzkrise aufgewachsen. In Erinnerung ist ihnen geblieben, dass Aktien sehr riskant und Banken immer kurz vor dem Zusammenbruch sind. Aktien sind so für sie eine viel riskantere Assetklasse als Immobilien. In der Wahrnehmung der jungen Menschen kann man gerade im Umfeld niedriger Zinsen mit Immobilien eigentlich relativ wenig falsch machen. Und die Folgen der Immobilienkrise in den USA waren hier relativ weit entfernt. Die Prozyklizität auf dem Immobilienmarkt wird dadurch nochmals verstärkt.
Alexander George: Wenn man es hart mathematisch durchrechnet, sieht ein Immobilienkauf oftmals wirtschaftlich nicht besser aus, als Cash liegen zu lassen. Und die Bewirtschaftung einer Immobilie ist mindestens genauso intensiv oder die Risiken in manchen Lagen, Städten und Regionen zumindest genauso hoch wie eine Anlage in ein liquides Portfolio. Bei diesem Thema ist der Blick manchmal auch bei Stiftungen oder Family Offices verklärt.
Walter Liebe: Wir sollten aber eins bei der Debatte auch nicht vergessen. Nach der Internetblase und dem Einsetzen der Finanzkrise 2008 ist die tatsächliche Verlusttoleranz großer Anlegerkreise nicht nennenswert gestiegen. Doch es werden zunehmend in den Portfolios risikolose Assets durch risikoreichere substituiert. So sind nicht wenige Privatanleger und professionelle Investoren verstärkt in High-Yield investiert, die dort mentalitätsmäßig eigentlich nichts verloren haben. Das heißt in der Folge: Wenn ein ganz normaler zyklischer Abschwung in einer risikobehafteten Assetklasse in illiquider werdenden Märkten kommt, wird die Volatilität meines Erachtens steigen – durch das prozyklische Verhalten von Anlegern, die entweder aus emotionaler Schwäche oder wegen Risikomanagement-Überlegungen aus den Märkten wieder herausgetrieben werden.
Zentrales Thema der Asset Allocation war lange die Portfolio-Theorie nach Markowitz. Die jüngeren Korrelationsentwicklungen haben hier für Ernüchterung gesorgt. Also: Markowitz ad acta?
Lück: Nein. Die Portfolio-Diversifikation bleibt als Grundidee eine der Basisannahmen im gesamten Investmentprozess. Das von Ihnen angesprochene Problem der Korrelation ist in der Tat aktuell sehr präsent. Und man hat natürlich auch gesehen, dass es schwieriger geworden ist, einzelne Assetklassen gegeneinander zu hedgen. Zusätzlich sollten wir berücksichtigen: Wir sind in einer Phase, in der die Investmentwelt durch eine Anpassung geht. Nach einer tiefen Rezession dauert es eine gewisse Zeit, bis ein volkswirtschaftliches System und die Kapitalmärkte wieder zum Normalzustand zurückkommen. Nach dem New-Economy-Crash hat das System zwei Jahre gebraucht, sich zu rekalibrieren. Wir brauchen wohl dieses Mal deutlich länger. Und so lange braucht es auch für eine Normalisierung der Grundannahme im Asset-Management. Die ökonomische Welt und die Finanzmärkte sind sozusagen immer noch im Reparaturmodus.
Herr Kaplan, aufgrund Ihres Ausschließlichkeitsprinzips bei der Titelauswahl dürfte Ihr Investmentuniversum aber entsprechend kleiner sein.
Kaplan: Auf den ersten Blick ist das sicherlich so. Doch es finden sich in der Regel gute oder noch bessere Alternativen für unsere Investments. So können wir etwa in US-Staatsanleihen nicht investieren, weil wir mit manchen sozialen und politischen Standards dort nicht konform gehen. Doch wir können etwa ersatzweise US-Unternehmensanleihen wählen, die darüber hinaus ein besseres Risiko-Ertrags-Profil aufweisen. Auch unser Ansatz ist natürlich, uns im Portfolio-Management so breit wie möglich aufzustellen.
Wo sehen Sie noch Nachholbedarf, um Vertrauen beim Kunden zu schaffen?
Küssner: Wir sollten mehr Ehrlichkeit in die gesamte Debatte bringen. Die Welt ist komplex geworden, sie ist alles andere als perfekt: Für das Privatleben gilt das genauso wie für die Finanzbranche. So erleben wir Marktphasen, die nicht einfach in den Griff zu bekommen sind. Dazu gehören auch plötzlich auftretende hohe Korrelationen, die wir vorher nicht kannten. Nehmen wir das Beispiel Auto – die SUVs heute, mit ausgereifter Technik, Vierradantrieb und ESP kommen wunderbar durch Matsch und Schnee, aber auf Eisglätte hilft auch das nicht weiter. Übertragen auf unsere Branche: Exogene oder politisch implizierte Schocks sind nicht in Asset-Allokations-Modellen zu fassen. Nehmen Sie die Diskussion um den Brexit, Attentate oder plötzliche Kriege oder was auch immer. Da stoßen wir alle an unsere Grenzen.
Wiener: Neben der Ehrlichkeit halte ich das Thema Transparenz für sehr wichtig. Wir ermutigen Stiftungen, für sich Anlagerichtlinien mit transparenten Kriterien zu formulieren. Wenn sie ihr Vermögen extern verwalten lassen, können sie so später überprüfen, ob und wie die gesteckten Ziele erreicht wurden. Und meines Erachtens erwartet heute keine Stiftung mehr, dass man für sie Fantasie-Renditen in Aussicht stellt – man sollte einfach transparent machen, was jeweils realistisch ist. Ich glaube, das ist in der momentanen Phase wichtig, das schafft auch das nötige Vertrauen in die Kompetenz und Integrität der Asset-Management-Partner.
Kaplan: Das Prinzip Ehrlichkeit möchte ich auch auf die Aktienanalyse ausdehnen. Das würde ebenfalls zur Vertrauensbildung beitragen und unseres Erachtens weniger Marktverwerfungen nach sich ziehen. Denn wer kann schon wirklich beziffern, wie hoch die Rückstellungen bei EON oder RWE sein müssen, um die Kosten für den Rückbau der Atomkraftsparte zu schultern? Oder nehmen Sie den Bereich Mergers and Acquisitions: Wer kann schon bei großen Banktransaktionen den Riesenpool von Verbindlichkeiten anständig bewerten? Das alles sollte sich in den Analyseergebnissen wiederspiegeln.
Liebe: Ein Wort noch zu Markowitz und zur Portfolio-Management-Praxis. Auch wir sind der Meinung, dass die langfristigen Zusammenhänge und langfristigen Korrelationen im Markt prinzipiell noch bestehen. Was sich verändert hat, ist, dass sie plötzlich wechseln. Früher haben Mischfonds Aktien und Anleihen überzeugungsbasiert gewichtet. Mittlerweile haben aber alle bedeutenden Spieler in der Asset-Management-Industrie Risikomanagementsysteme oder Abteilungen, die Faktorabhängigkeiten und die Korrelationen vergleichen und entsprechend eingreifen können. Man hat zumindest in der Theorie Instrumente, das Downside-Risk zu begrenzen. Was wir zudem sehen: Breite Kreise von Investoren entdecken thematische Investments wieder – und allokieren verstärkt global und weniger regional.
Sie deuten es an – was früher Mischfonds hieß, heißt heute vielfach Multi Asset. Das ist aber auch ein etwas pauschaler Oberbegriff, oder?
George: Ja, natürlich. Multi Asset wurde in den vergangenen Jahren zu so etwas wie der neuen Heiligkeit in unserer Branche. Hier sollte man differenzieren – zumal sich Multi Asset auch schon innerhalb einzelner Asset-Klassen darstellt. Wie zum Beispiel der bereits angesprochene High-Yield-Bereich in der Asset-Klasse Anleihen. Unsere Welt ist im stetigen Wandel, es entstehen neue Regeln. Das ist in etwa so, als wenn jemand beim Fußball anfangen würde, die Linien wegzunehmen, es dann auch keine Auswechselspieler mehr gäbe, als Nächstes die Tore abgebaut würden, und irgendwann wären es auch nicht mehr zwingend 90 Minuten Spielzeit. Mit traditionellem Fußballspiel hätte das nur noch wenig zu tun. Eine solche drastische Veränderung hat unsere Branche aber vollzogen.
Was auch heißt: Die den Investmentprodukten zugrunde liegenden Allokationsstrategien werden immer komplizierter. Kann das der Berater beim Kunden auch wirklich in der Tiefe vermitteln?
Küssner: Erklären Sie mal einem Privatanleger Begriffe wie Private Equity, Long-short-Strategien oder Catbonds in zwei, drei Sätzen so, dass er das alles richtig verstanden hat. Das ist unmöglich. Die Frage ist doch: Muss ich dies alles bis ins Detail erklären, und möchte der Anleger das überhaupt? Wichtig ist, dass wir Transparenz schaffen, wohin wir investieren, und dass wir zu dem stehen, was wir versprechen, also was mit hoher Wahrscheinlichkeit für Anleger dabei herauskommt. Und: Für den Interessierten können natürlich alle relevanten Daten und Hintergründe zugänglich gemacht werden.
Connelly: Um den Markt transparenter zu machen, können auch spezielle Ratings weiterhelfen. Mein ehemaliger Arbeitgeber Morningstar hat vor kurzer Zeit ein globales Nachhaltigkeits-Rating gelauncht, mit dem Anleger und Berater einschätzen können, wie Fonds und die Unternehmen, in die sie investieren, entsprechend Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen. Das ist alles vielleicht noch nicht perfekt, aber es ist ein Ansatz, der nachvollziehbar ist. Und wenn ein Haus wie Morningstar sein Gewicht hier in die Waagschale wirft, ist das eine klare Aussage. Und sich so offensiv in dieser Hinsicht zu positionieren, ist für ein amerikanisches Haus sicherlich ein deutlich größerer Schritt als für ein europäisches. Das zeigt doch den Trend klar auf.
Wiener: Man sieht eindeutig, dass Nachhaltigkeit beim Investieren eine sehr positive Auswirkung hat. Nehmen Sie etwa den Global Challenges Index, der den Dax in den vergangenen Jahren deutlich übertreffen konnte. Der Anlageausschuss des GCI, dem ich angehöre, hat sehr strenge Kriterien zum Thema Nachhaltigkeit. Das Nachhaltigkeitsthema hat die Nische verlassen, und das ist gut so – auch unter ökonomischen Gesichtspunkten.
Liebe: Unmittelbar nach Einführung des Morningstar-Sustainability-Ratings haben auch die klassischen Fonds bereits darauf reagiert – die Diskussionen der Fondsmanager mit eigenem Management über die „Nachhaltigkeit“ ihrer klassischen Investmentfonds haben massiv eingesetzt, selbst wenn sie dies bisher gar nicht zum Ziel hatten. Und es ist ja richtig: Nachhaltige Anlagen haben in der letzten Zeit sehr gut performt. Ohne Wasser in den Wein gießen zu wollen: Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass wir in den Boomjahren bis 2000 einen Commodity-Superzyklus hatten – mit steigenden Preisen von Rohstoffunternehmen. Jeder, der nachhaltig investierte, war strukturell in den Best-Performern untergewichtet. Seitdem haben wir geradezu einen Crash in diesem Markt gesehen. In der Folge hatte wiederum jeder, der hier untergewichtet war, einen strukturellen Performance-Vorteil. Wir werden sehen, wie sich dies in Zukunft darstellt.
Von: Markus Deselaers
Quelle: Das Investment