Das Investment: Die aufregende Suche nach den Brexit-Gewinnern

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Niemals gibt es nur Gewinner und niemals nur Verlierer. Und letzteres gilt auch für eine solch verrückte Kiste wie den Brexit. Also begibt sich Redakteur Andreas Harms auf die Suche nach jenen, die durch den EU-Ausstieg der Briten gewinnen. Offenbar gibt es sie, zum Beispiel in einem britischen Küstenkaff. Suchen Sie eine Geschäftsidee? Ich hätte da mal eine: Eröffnen Sie eine Würstchenbude in Dover! Sollte sich Großbritannien demnächst ohne Handelsabkommen aus der Europäischen Union (EU) verabschieden, dürften in dem Küstenstädtchen mit seinen knapp 44.000 Einwohnern Dauer-Staus aus LKWs entstehen. Bis zu 50 Kilometer lang, schätzt man bei den Behörden.

Zoll-Kram, Sie wissen schon. Im Umland von Dover sollen riesige Parkplätze entstehen. Wie wäre es also gleich noch mit ein paar neuen Trucker-Kneipen und Motels?„Der Brexit ist kein Nullsummenspiel, sondern lässt die Kosten für alle in Summe steigen“, tönte der Chef der Bankenaufsicht Bafin, Felix Hufeld, medienwirksam. Das ist eine sehr einfache Sichtweise. Viel zu einfach. Denn bringen nicht schon Eltern ihren Kindern bei, Dinge von zwei Seiten zu betrachten? Warum sollte nicht also auch der Brexit Gewinner erzeugen? Neben einem Kneipier in Dover.

Beim Münchner Ifo-Institut winkt man auf die Anfrage hin ab. Keiner hat Lust, sich mit mir auf die Suche zu begeben. Anders reagiert Agnieszka Gehringer, die beim Flossbach von Storch Research Institute arbeitet. Nur Verlierer zu sehen, sei in der Tat zu pauschal, bestätigt die Volkswirtin.

Bei Waren hat das Vereinigte Königreich 2017 ein Handelsdefizit von 137,4 Milliarden Pfund. Im Dienstleistungssektor – zu dem auch Banken gehören – steht ein Überschuss von 111,5 Milliarden Pfund.

Zum Beispiel sei es tatsächlich möglich, dass der britische Haushalt zunächst entlastet wird. „Er kassiert die neu erhobenen Zölle auf Importe und spart den Beitrag zur EU. Das wären 9 bis 10 Milliarden Euro im Jahr, wenn man den Durchschnitt der jährlichen EU-Nettobeiträge des Landes von 2012 bis 2016 betrachtet“, sagt sie. Wobei allerdings die Frage lautet, wie viel von dem Vorteil durch die eventuell schwächere Wirtschaft und damit sinkende Steuereinnahmen und höhere Sozialausgaben wieder aufgefressen wird. „Konkrete Zahlen gibt es dazu einfach nicht. Es wird ja alles noch verhandelt“, so Gehringer.

Aber das ist ja schon mal was. Ich frage also weiter. Könnte es sein, dass Zölle tatsächlich die heimische Wirtschaft ankurbeln, weil die Briten wieder mehr selbst herstellen müssen? „Britain first“, oder so ähnlich? „Wenn man sich die Importe anschaut, wird deutlich, dass es schwierig ist, Importprodukte einfach selbst herzustellen“, meint die Volkswirtin. Bei Autos sei das noch am ehesten möglich, dass der Brite auf eine heimische Marke ausweicht: „Nehmen wir das Beispiel Maschinen. UK hat zwar eigene Maschinenproduzenten, die sind aber in anderen spezifischen Unterbereichen der Branche tätig.“ Damit ergeben sich drei Möglichkeiten:

  1. Die britischen Unternehmen, die die Maschinen aus der EU kaufen, akzeptieren die höheren EU-Importpreise und geben sie an ihre Kunden weiter. Damit stiege die Inflation und sänke der Verbrauch.
  2. Andere Anbieter, zum Beispiel aus USA oder China, springen in die Bresche, weil sie die EU-Preise plötzlich unterbieten können. Damit würden diese Firmen zu den Brexit-Gewinnern gehören.
  3. EU-Firmen bauen in UK neue Werke, um die Zölle zu umgehen. Das wäre ein Effekt, auf den die Brexit-Freunde hoffen. Gehringer: „Es dauert aber sehr lange, solche Werke zu bauen, und es ist fraglich, ob sich das lohnt und ob die Firmen das wirklich machen.“

Auch Reint Gropp ist hierbei skeptisch: „Abgewanderte Industrien kommen nicht wieder, auch wenn es Zölle auf Importe gibt“, so der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Er weist darauf hin, dass man dann auch die Rohstoffe importieren müsse – für ebenfalls höhere Preise.

Was UK importiert

Grafik: DAS INVESTMENT  Quelle: Office for National Statistics  Daten herunterladen  Erstellt mit Datawrapper

Für Gropp sorgen Importzölle zweifellos dafür, dass sich Waren verteuern, Unternehmensgewinne durch die gestiegenen Einkaufskosten sinken und die Firmen deshalb Leute entlassen. Sie investieren weniger und exportieren dadurch auch weniger. Hinzu kommt die rechtliche Unsicherheit, die alles noch wackeliger macht. Gropp fasst das alles unter dem Begriff „Anpassungskosten“ zusammen.

Was UK exportiert

Grafik: DAS INVESTMENT  Quelle: Office for National Statistics  Daten herunterladen  Erstellt mit Datawrapper

Ob das Beratungsunternehmen, also den McKinseys, Capgeminis und EYs dieser Welt, zugutekommen könnte, frage ich. Ja, schon, sagt Gropp: „Berater gewinnen immer in Krisen, ihr Geschäft dürfte also tatsächlich boomen.“

Die Brexit-Themenseite von Deloitte spricht in dieser Hinsicht Bände, natürlich in angemessen düsterer Sprache. Auf der Startseite prangt es in dicken Lettern:

Bringen Sie Ihr Unternehmen in schwierigen Zeiten auf den richtigen Kurs. Bereiten Sie mit Deloitte Ihre Organisation auf den EU-Austritt Großbritanniens vor. Sichern Sie sich jetzt schon vor den Folgen des Brexit ab.

Weiter geht es im Finanzsektor. Hier ist es schwer zu verstehen, dass UK sich gar nicht für ein Freihandelsabkommen im Dienstleistungssektor ins Zeug legt. Schließlich exportiert London vor allem Bankgeschäfte und ähnliches. Schon heute verlegen Fondsgesellschaften ihre Produkte von London nach Dublin oder Luxemburg

„Wenn die Finanzdienstleistung sich aus London zurückzieht, sind andere Branchen, die von der Präsenz der Finanzbranche profitierten, negativ davon betroffen. Ersatz wird es so schnell nicht geben“, meint Gehringer. Aber auch hier die Frage: Wer gewinnt? Man müsse schauen, wohin die Institute gehen, meint die Volkswirtin. Und dort könnten Makler, Vermieter, Spediteure und Installateure gewinnen, überhaupt die lokale Wirtschaft.

Auch Frankfurt? „Ein bisschen. Aber um der ganz große Finanzplatz zu werden, ist Frankfurt zu klein, die Infrastruktur zu schwach. Dort werden allenfalls kleine Niederlassungen eröffnet“, meint Reint Gropp. Trotzdem dürften sich Hausbesitzer auf steigende Werte ihrer Immobilien freuen, das schon.

Es geht weiter mit den Brexit-Wählern, die sich von Rattenfängern haben einwickeln lassen – wie es in Medien hier und da zu hören war. Könnten schlecht bezahlte Arbeitsplätze bald besser bezahlt werden, weil Zuwanderer nicht mehr durch Dumping-Angebote auf die Löhne drücken? Das kann zunächst sogar passieren, meint Volkswirtin Gehringer: „Wenn weniger Polen auf den Markt drängen, müssten die Briten tatsächlich wieder mehr selbst erledigen.“ Dieser Arbeitskräftemangel könnte die Löhne steigen lassen. Allerdings müssten die Menschen auch höhere Preise bezahlen, die durch die steigenden Kosten der Industrie entstehen. „Das hebt sich wieder auf.“

Reint Gropp sieht hingegen mittelfristig nicht einmal steigende Niedriglöhne. „Es ist sicherlich möglich, dass es kurzfristig kleine Effekte in dieser Richtung gibt“, so der Ökonom aus Halle. Aber umgehend würden wieder Jobs gestrichen werden – weniger Kellner, weniger Friseure und so weiter. Und dann sagt er einen Satz, der ziemlich böse klingt: „Es ist vielleicht schwer zu glauben, aber tatsächlich können durch den Brexit alle ärmer werden.“

Immerhin hat er in der Politik etwas beobachtet. „Die EU könnte ein Gewinner sein. Die anderen Länder bekommen jetzt vorgeführt, wie hart es ist auszusteigen“, sagt Gropp und meint: „Ich habe den Eindruck, dass die Fliehkräfte abnehmen. Das ist gut.“ Damit bezieht er sich auf Gespräche unter den EU-Ländern zu den Themen Verteidigung und Arbeitslosenversicherung. Und auch auf den seiner Meinung nach guten Auftritt des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, bei den Zollverhandlungen mit US-Präsident Donald Trump. „Da ist die EU richtig einheitlich aufgetreten.“

Sollte der Brexit am Ende vor allem der EU helfen? Ist es dann doch so einfach? Durchaus vorstellbar. Aber ob die Briten das so wollten?

Von: Andreas Harms
Quelle: Das Investment

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