Das Investment: BAG-Urteil zur bAV: Spätehenklausel ist altersdiskriminierend

sjb_werbung_das_investment_300_200SJB | Korschenbroich, 14.08.2015. Um ihre Leistungspflichten im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung zu begrenzen, setzen Arbeitgeber sogenannte Spätehenklauseln in ihre bAV-Verträge ein. Doch diese sind altersdiskriminierend – und damit nicht gültig, entschied das Bundesarbeitsgericht. Rechtsanwalt Andreas Seidel kommentiert das Urteil.

Grundsätzlich sind Arbeitsgeber frei in der Entscheidung, ob sie ihren Beschäftigten eine Betriebliche Altersversorgung (bAV) einschließlich Hinterbliebenenversorgung anbieten oder nicht. Wenn sie es tun, dürfen sie dabei nicht einzelne Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen diskriminieren, auch nicht wegen des Alters, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) jetzt entschieden hat (Az. 3 AZR 137/13).

Der Fall
Geklagt hatte die Witwe eines ehemaligen Mitarbeiters, der 2010 mit 63 Jahren gestorben war. Der Arbeitgeber hatte dem Mann eine betriebliche Altersversorgung einschließlich einer Hinterbliebenenversorgung zugesagt, wobei die Pensionsregelung allerdings eine sogenannte Spätehenklausel enthielt. Diese besagte, dass die Witwen- oder Witwerrente nur dann gezahlt würde, wenn die Ehe vor der Vollendung des 60. Lebensjahres geschlossen worden ist. Der versorgungsberechtigte Mitarbeiter hatte seine Frau aber erst im Alter von 61 Jahren geheiratet, weshalb der Arbeitgeber der Witwe die Hinterbliebenenversorgung verweigerte. Die Witwe zog vor Gericht.

Die Enscheidung des BAG
Während die Vorinstanzen die Klage abwiesen, hatte die Revision Erfolg. Das BAG entschied, dass die „Spätehenklausel“ nach Paragraf 7 Absatz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) unwirksam ist; sie benachteilige den verstorbenen Ehemann der Klägerin unmittelbar wegen des Alters. Eine Rechtfertigung dafür ließen die BAG-Richter nicht gelten. Das AGG erlaube zwar in bestimmten Fällen eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters, dies aber nur bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, sprich: erfasst seien Ausnahmen im Gesetz zu Altersgrenzen nur als Voraussetzung für den Bezug von Alters- und Invaliditätsversorgung – nicht aber in Zusammenhang mit einer Hinterbliebenenversorgung. Im Ergebnis führe die Spätehenklausel „zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer“.

Hintergrund
Sinn und Zweck der Spätehenklauseln ist es, weitergehende Versorgungsansprüche Hinterbliebener auszuschließen, die erst vergleichsweise kurz vor dem eigentlichen Versicherungsfall entstanden waren. Jede Hinterbliebenenversorgung bedingt versicherungstechnisch die Bildung von Rückstellungen und belastet damit die Finanzierbarkeit der Versorgungsansprüche ehemaliger Arbeitnehmer erheblich. Regelmäßig gehen Versorgungswerke auch von in etwa gleichalten Partnern aus und damit einer eingrenzbaren Bezugsdauer der Hinterbliebenenrente nach dem Tod eines versorgungsberechtigten Mitarbeiters.

Dem Ziel des Arbeitgebers, seine Leistungspflichten im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung zu begrenzen, dienen im übrigen auch Klauseln, wonach die Ehe eines versorgungsberechtigten Mitarbeiters vor dem Eintritt des Versorgungsfalles geschlossen sein muss, die sogenannte Haupternährerklausel oder „Altersabstandsklauseln“ (= z.B. Altersunterschied zwischen versorgungsberechtigtem Mitarbeiter und Hinterbliebenem nicht mehr als 15 Jahre). Für Haupternährerklauseln ist zwischenzeitlich anerkannt, dass sie dann nicht rechtswirksam sind, wenn sie unmittelbar an das Geschlecht anknüpfen  (z.B. bei Ansprüchen von Witwern, die die Hinterbliebenenversorgung davon abhängig machen, ob die frühere Arbeitnehmerin den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat).

Folgen der aktuellen Entscheidung

Die aktuelle Entscheidung des BAG erhöht, wenn diese „Spätehenklausel“ verwendet wird, nachhaltig das Risiko für Arbeitgeber, mit Ansprüchen Hinterbliebener konfrontiert zu werden, die einen ehemaligen Mitarbeiter des Arbeitgebers erst unmittelbar vor Erreichen der Versorgungsberechtigung geheiratet hatten. Zwar wird man die betriebliche Altersversorgung auch als Entgelt der berechtigten Arbeitnehmer sehen müssen, das diese als Gegenleistung für die im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit erhalten. Doch erscheint es ein legitimes Ziel des Arbeitgebers, Risiken der betrieblichen Altersversorgung zu begrenzen, sodass ein Arbeitgeber grundsätzlich auch frei in seiner Entscheidung sein sollte, für welche Versorgungsfälle er Leistungen zusagt.

Das muss dann auch für die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung überhaupt gelten. Zusätzliche Risiken sind, was die Dauer der Leistungserbringung bei einem „jungen“ Witwer oder einer „jungen“ Witwe angeht, nicht unerheblich. Fraglich ist mithin, wo die Grenzen für eine solche Risikobegrenzung liegen. „Altersabstandsklauseln“ sind wohl nicht ohne weiteres eindeutig zu definieren, wenn sie denn überhaupt Bestand haben können. Vor Inkrafttreten des AGG hatte das BAG in einer Entscheidung vom 27.06.2006 einen Altersabstand von 15 Jahren noch nicht moniert.

Fazit

Arbeitgeber sollten die Spätehenklauseln in ihren BAV-Verträgen überprüfen. Enthalten sie feste Altersgrenzen für den Zeitpunkt der Eheschließung, sind diese unwirksam und Mitarbeiter können auch bei Überschreiten dieser Grenzen nun feststellen lassen, dass ihre Ehepartner nach ihrem Tod versorgungsberechtigt sind. Risikominimierend wird man dann nur empfehlen können, vergleichsweise Individualvereinbarungen zu treffen. Auch der hier geschilderte vom BAG am 04.08.2015 entschiedene Fall bleibt eine Einzelfallentscheidung, die zu einem bestimmten Versorgungswerk getroffen wurde.

Weiterhin zulässig ist es nach früheren Entscheidungen des BAG, die Versorgungszusage davon abhängig zu machen, dass die Heirat vor der Rente oder einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Betrieb erfolgt ist und dass die Ehe zum Zeitpunkt des Renteneintritts eine Mindestzeit von beispielsweise einem Jahr bestanden hat. Solche Klauseln stellen nicht unmittelbar auf das Alter des Mitarbeiters ab und sind damit nicht diskriminierend.

Unkritisch erscheint auch, die Leistungen bei beitragsbezogenen Versorgungssystemen nach dem Geschlecht unterschiedlich zu kalkulieren und dabei die höhere Lebenserwartung von Frauen zu berücksichtigen.

Von: Andreas Seidel

Quelle: DAS INVESTMENT.

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