Marcelo Assalin, Chef für Schwellenländeranleihen bei NN Investment Partners, blickt zurück auf Zahlungsausfälle, den Bric-Blödsinn und Probleme mit Korruption. Der Grund: NN ist 25 Jahre auf dem Zinsmarkt der Schwellenländer unterwegs.
Erkenntnis 1: Zahlungsausfälle von Staaten können auch Möglichkeiten eröffnen
Es passiert, dass Staaten ihren Anleiheverbindlichkeiten nicht voll und ganz nachkommen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie – im Gegensatz zu Unternehmen – komplett ausfallen.
In jüngster Zeit hat die internationale Gemeinschaft mit Organisationen wie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) große Bereitschaft gezeigt, notleidende Länder angesichts eines möglichen vollständigen Zahlungsausfalls zu unterstützen. Daher ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Gläubiger einen vollständigen Kapitalverlust erleiden. Für risikobereite Anleger kann es daher interessant sein, zu beträchtlichen Abschlägen in Anleihen eines Landes zu investieren, das Probleme hat, seinen Verbindlichkeiten nachzukommen.
Erkenntnis 2: Vorsicht vor Verallgemeinerungen
Häufig versuchen Investoren, die Welt zu vereinfachen und in großen Wirtschaftsblöcken zu denken. Ein gutes Beispiel sind die von Goldman Sachs im Jahr 2001 so genannten „BRIC“-Länder Brasilien, Russland, Indien und China. Damals verfügten diese Länder über ein beträchtliches Wachstumspotenzial. Zwei Jahrzehnte später hat sich jedoch herausgestellt, dass dieser verallgemeinernde Optimismus seine Fallstricke hat, denn sinkende Rohstoffpreise, ein schwächerer Welthandel und eine steigende Verschuldung fordern – vor allem in Russland – ihren Tribut. Mit anderen Worten: Zwischen den einzelnen Schwellenländern bestehen sehr große Unterschiede, die Anleger dürfen landesspezifische Faktoren nicht außer Acht lassen.
Erkenntnis 3: Nie den Mut verlieren, irgendwann kommt die Rettung
Seit der globalen Finanzkrise haben Zentralbanken, multilaterale Institutionen wie der IWF und private Investoren mehrfach zusammengearbeitet, um überschuldete Länder zu stützen. Keine Anlage ist vollständig risikolos, zuletzt war jedoch klar die politische Bereitschaft zur Rettung überschuldeter Nationen zu erkennen, was für Anleger in Schwellenländeranleihen positiv ist.
Erkenntnis 4: Aus schlafenden Drachen werden kauernde Tiger
Seit über zwei Jahrzehnten hat Chinas Aufstieg zur wirtschaftlichen Supermacht extrem positive Auswirkungen auf andere Schwellenländer und die Weltwirtschaft gehabt. In jüngster Zeit macht China seinen Einfluss direkter geltend, indem es Infrastrukturprojekte in Asien, Europa und Afrika finanziert. Mittelfristig dürften sich Chinas Wachstumsraten allerdings aufgrund von Strukturreformen verlangsamen, die durch die zunehmende Reife der Wirtschaft erforderlich werden. Da das Land so einflussreich ist, könnte dies weitreichende negative Konsequenzen haben. Chinas Entwicklung muss daher längerfristig genau im Blick behalten werden.
Erkenntnis 5: Der IWF hat Konkurrenz bekommen
Der IWF spielt seit den Neunzigerjahren eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Schwellenländer. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass China den IWF als erste Anlaufstelle für wirtschaftliche Unterstützung ablöst. Im Gegensatz zum IWF verlangt China für seine Unterstützung nicht im selben Maße Strukturreformen. Deshalb könnten Schwellenländer künftig nicht mehr unbedingt bereit sein, die vom IWF gewünschten Anpassungen durchzuführen. Die Schwellenländer sollten sich von beiden Seiten, dem IWF und China, Unterstützung sichern.
Erkenntnis 6: Mit angezogener Handbremse geht es nicht vorwärts
Häufig werden protektionistische Maßnahmen gefordert, wenn ein Land einen wirtschaftlichen Abstieg befürchtet. Hohe Importzölle und andere protektionistische Maßnahmen, mit denen die eigene Bevölkerung vor internationalem Wettbewerb geschützt werden soll, funktionieren aber nur kurzfristig. Am besten schneiden jene Länder ab, die ihre Wirtschaft öffnen, am Weltmarkt teilnehmen und die Vorteile ausländischer Direktinvestitionen nutzen.
Erkenntnis 7: Große Tanker können nur ihren Kurs korrigieren
Nach Jahrzehnten von Struktur- und institutionellen Reformen in den Schwellenländern nehmen allmählich auch große, nicht spezialisierte Fonds und ETFs, die tendenziell opportunistisch investieren, beträchtliche Allokationen in Schwellenländeranleihen vor. Aufgrund der steigenden Anlegernachfrage werden daher allmählich die Risikoprämien sinken. Große Fonds, die sich an einer Benchmark orientieren, müssen zudem ihre Positionen ungeachtet der Kurse oder der Liquidität anpassen, was Marktpreise verzerren kann.
Das schafft allerdings häufig hervorragende Chancen für Investoren, die über genügend Expertise und Dynamik verfügen, um sie zu nutzen.
Erkenntnis 8: Die Schäden von Korruption lassen sich nicht verschleiern
Korruption wirkt wie eine versteckte Steuer. Sie hemmt das Wirtschaftswachstum und dämpft die Anlegerstimmung. Dann sinken ausländische Investitionen und die Exporteinnahmen gehen zurück. Daher besteht eine hohe Korrelation zwischen Korruption und einer Verschlechterung der Haushaltssituation. Der Kampf gegen Korruption ist langwierig und anstrengend, wird aber zunehmend geführt, wie die jüngsten Antikorruptionsmaßnahmen in Brasilien, Peru oder Südafrika zeigen. Governance-Faktoren sind ein zentraler Bestandteil der Investmentprozesse von NN IP, um die Vorteile einer besseren Governance und stärkerer Institutionen zu nutzen.
Erkenntnis 9: Das Handeln ist wichtig, nicht die Rhetorik
Häufig bestehen beträchtliche Diskrepanzen zwischen politischer Wahlkampfrhetorik und der dann umgesetzten Politik. Dennoch lassen sich die Märkte vor allem in Wahlkampfzeiten leicht dadurch verschrecken, dass ein potenziell radikaler politischer Richtungswechsel angekündigt wird. Häufig jedoch geht die Regierung dann sehr viel moderater und pragmatischer vor als es die Wahlkampfrhetorik vermuten ließe.
Erkenntnis 10: Fokussierung ermöglicht die nötige Flexibilität
Sowohl in Auf- als auch in Abschwungphasen ist es in den Schwellenländern erforderlich, diszipliniert auf den fairen Wert abzustellen. Investoren reagieren sehr sensibel auf ungünstige Marktnachrichten, und bei Kursrückgängen/Korrekturen kommt es häufig zu Übertreibungen. Dann bieten sich Chancen, um Positionen in überzeugenden Papieren auszubauen. Umgekehrt müssen Anleger bei Aufwärtsbewegungen eine gesunde Vorsicht walten lassen und die Risiken ihrer Portfolios genau kennen, um das Risiko im Vorfeld einer Korrektur abzubauen.
Von: Marcelo Assalin
Quelle: Das Investment