Das Investment: In China müssen Anleger immer mit Kursschwankungen rechnen

Obwohl China in punkto Wirtschaftswachstum für lange Zeit die Weltspitze angeführt hat und seit gut zwei Jahrzehnten die Anlagebeschränkungen für Ausländer immer weiter gelockert wurden, hat das Land aus Sicht vieler Anleger inzwischen seinen Reiz als Wachstumsmarkt par excellence verloren. So hat das Zusammenspiel von mehreren geopolitischen Risiken, einer unausgereiften Marktregulierung und immer neuen Corona-Lockdowns, die vorübergehend ganze Metropolen wie Shanghai, Guangzhou und Xi’an zum Stillstand gezwungen haben, nicht nur die Volatilität chinesischer Aktien deutlich erhöht: Insbesondere hat dies auch die Meinung unter den Anlegern aufkommen lassen, dass China uninvestierbar geworden oder eine Investition nur unter Inkaufnahme von unkalkulierbaren Risiken möglich sei.

Die Lieferkettenprobleme, die durch die Lockdowns mit Unterbrechung des Lkw-Verkehrs und der Schließung von Fabriken noch verschärft wurden, bringen die Wettbewerbsfähigkeit des Landes als globales Produktionszentrum und Magnet für westliche Investitionen zusehends in Gefahr. Auch das chinesische Regulierungsumfeld ist nicht unbedingt anlegerfreundlich. Im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die Verabschiedung neuer Gesetze und Vorschriften eine sehr öffentliche und langwierige Angelegenheit sein kann, erscheint der Prozess in China für Anleger eher undurchsichtig. Regulatorische Unwägbarkeiten gibt es zwar nicht nur im bevölkerungsreichsten Land der Welt. Dennoch ist das Verständnis solcher Risiken für Vermögensanlagen im Reich der Mitte von entscheidender Bedeutung.

Berücksichtigt man nun all diese Faktoren, dann erklärt sich von selbst, warum allein der Aktienmarkt für chinesische A-Aktien, also Aktien der rund 3.500 Unternehmen, die an den Börsen in Shanghai und Shenzhen gelistet sind, in den letzten 20 Jahren doppelt so volatil war, wie die Märkte der Industrieländer. Für die Aussicht auf langfristiges Wachstum im Reich der Mitte müssen Anleger ganz offenbar eine vergleichsweise hohe Volatilität in Kauf nehmen.

Aktien aus dem „neuen China“

Warum sollten Anleger also überhaupt in einem intransparenten volatilen Markt wie China investieren und worauf sollten sie achten, wenn sie dies mit einem kalkulierbaren Risiko tun wollen? Die allmähliche Öffnung des chinesischen Marktes für ausländische Anleger war ein „Game Changer“, der es China ermöglichte, bis Ende 2010 zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufzusteigen, wobei der Anteil des Landes am globalen BIP inzwischen 18 Prozent erreicht hat. Zudem hat sich mit der Öffnung des A-Aktienmarktes für Anleger ein neues Anlageuniversum eröffnet, das mit einer Marktkapitalisierung von über 9 Billionen US-Dollar zu den größten der Welt gehört.

Als Folge der wirtschaftlichen Entwicklung und der Öffnung für ausländische Investoren hat sich China zu einer riesigen, dynamischen Volkswirtschaft mit ganz eigener Prägung entwickelt, die mehr bietet als die traditionellen Wachstumschancen, die man in westlichen Ländern findet. Außerdem hat der Wandel von einer export- und investitionsorientierten Wirtschaft zu einer Konsum- und Dienstleistungswirtschaft den Binnenkonsum angekurbelt. Daraus haben sich neue Möglichkeiten für Anleger in vielfältigen Qualitätsunternehmen der zweitgrößten und wachstumsstärksten Volkswirtschaft der Welt ergeben.

Auch wenn die aktuelle geopolitische Entwicklung wenig Hoffnung auf eine baldige Erholung der chinesischen Wirtschaft zu alter Wachstumsstärke zulässt, lohnt sich ein genauer Blick auf chinesische Unternehmen, denn das Land hat in den vergangenen 20 Jahren große wirtschaftliche Veränderungen durchlebt.

Dank des größeren Know-hows vieler Unternehmen, besser ausgebildeten Arbeitskräften und einer Produktionsbasis, mit der nicht mehr nur T-Shirts und Socken, sondern zunehmend auch Maschinen und IT-Hardware hergestellt werden können, hat sich in den letzten zehn Jahren ein lebendiges digitales Ökosystem entwickelt, dass sich nicht länger hinter dem US-amerikanischen Silicon Valley verstecken muss. Unterstützt durch die Initiative „Made in China 2025“ wurden zudem neue Hightech-Industrien ins Leben gerufen, die von Elektrofahrzeugen und Automatisierungstechnik bis hin zu Biologika und medizinischen Geräten reichen. Derweil greifen jüngere Chinesen verstärkt zu heimischen Marken, während viele Konsumenten aus der Mittelschicht bekannte globalen Marken bevorzugen.

Wegen der rasanten Liberalisierung der Wirtschaft und einer unverändert sozialistischen Politik bezeichnen zwar viele Anleger die chinesische Wirtschaft als staatlich gelenkt. Darunter verstehen sie, dass die Politik mit starker Hand strukturelle Trends gezielt steuert, um das Wachstum anzutreiben. Der eigentliche Motor der größten Trends ist allerdings die Nachfrage der aufstrebenden Mittelschicht des Landes nach innovativen Produkten und Dienstleistungen. Dies gilt insbesondere für den Gesundheitssektor, für Finanzprodukte und die IT-Branche, wobei vor allem biopharmazeutische Produkte, Versicherungen, Vermögensverwaltungsprodukte und Lösungen in der Cloud gefragt sind.

So hat sich beispielsweise das Geschäft von China Mobile seit 2011 rasant weiterentwickelt, da das Unternehmen die dringend benötigte Mobilfunkinfrastruktur bereitstellte, bis die Infrastruktur und Technologie im Land mit den Industrieländern gleichzog und der Wettbewerb zunahm. Eine ähnliche Entwicklung vollzogen Alibaba und Tencent, die vom Wachstum in Bereichen wie E-Commerce, Social Media, Fintech und Cloud profitieren. Auch bei Ping An Insurance zeigt sich die steigende Nachfrage aus der Mittelschicht nach Lebensversicherungen und Sparprodukten. Und die beiden führenden Unternehmen auf dem chinesischen Gesundheitsmarkt, Jiangsu Hengrui und Shandong Weigao, könnten künftig Hauptnutznießer des wachsenden Bedarfs an Gesundheitsprodukten sein.

Gleichzeitig haben in den letzten Jahren in der New Economy versierte Manager viele innovative und nachhaltige Unternehmen aufgebaut, die den Wandel Chinas von der „alten“ zur neuen“ Wirtschaft verkörpern und nicht nur kurzfristige Anlagechancen bieten. Hierzu gehört beispielsweise Anta Sports Products, das inzwischen zum drittgrößten Sportbekleidungshersteller der Welt aufgestiegen ist, NetEase, das vom wachsenden Gaming-Markt profitiert, oder Travelsky, der Anbieter von Informationstechnologiedienstleistungen für die chinesische Flugreise- und Tourismusbranche ist und ein Monopol in China hält.

Bewegung in Sachen ESG
In Sachen ESG-Standards können chinesische Unternehmen häufig nicht mit ihren internationalen Wettbewerbern mithalten. Gemäß eines Research-Berichts von Morgan Stanley von Mai 2021 verfügen lediglich 37 Prozent aller chinesischen Unternehmen über einen eigenen Ausschuss für Corporate Social Responsibility (kurz: CSR) oder ESG. Das lässt darauf schließen, dass die meisten Unternehmen keinerlei Governance-Struktur für den Umgang mit ESG-Problemen haben. Allerdings zeigt sich auch, dass in Chinas Chefetagen das Bewusstsein für die finanziellen Chancen und Risiken von ESG-Kriterien zunehmend wächst, insbesondere dann, wenn es um den langfristigen Unternehmenserfolg geht. So veröffentlichen inzwischen 70 Prozent der chinesischen Festlandsunternehmen und 97 Prozent der in Hongkong ansässigen chinesischen Firmen bereits Nachhaltigkeits- oder ESG-Berichte. Das ist ein enormer Fortschritt gegenüber der Situation von vor zehn Jahren, auch wenn die hohen internationalen Reporting-Standards nicht immer erreicht werden.

China fällt als Wachstums-Lok aus

Eine besonders wichtige und effektive Möglichkeit, die Unternehmensführung in China zu verbessern, besteht beispielsweise in der Einführung eines attraktiven und fairen Mitarbeiterbeteiligungsplans (ESOP). Hierüber können die Interessen von Schlüsselmitarbeitern weitgehend mit denen anderer Aktionäre in Einklang gebracht werden. Immer mehr Unternehmen haben solche Pläne bereits umgesetzt, darunter Midea, Suofeiya Home Collection, Saic, 3SBio oder auch Anta Sports. Ein klares Zeichen für eine bessere Unternehmensführung sind dabei steigende Ausschüttungsquoten. Tatsächlich haben einige Portfoliounternehmen ihre Dividendenzahlungen von 20 bis 30 Prozent auf 50 bis 60 Prozent oder mehr erhöht, so zum Beispiel Saic, Inner Mongolia Yili und China Resources Gas.

Wenn man als Anleger von der Entwicklung in China auch künftig profitieren möchte, ist es ratsam, auf jene Unternehmen zu setzen, die sich auf den chinesischen Binnenmarkt konzentrieren und dabei von den wirtschaftlichen und sozialen Trends des Landes profitieren – sei es in der Gesundheitsvorsorge und dem Versicherungswesen oder bei Elektrofahrzeugen und der Automatisierung. Schließlich sorgen diese Unternehmen des „neuen China“ für einen Innovationsschub und haben zudem eine lebendige Konsum- und Digitalindustrie hervorgebracht.

Trotzdem müssen Anleger für die Aussicht auf langfristiges Wachstum im Reich der Mitte hohe Schwankungen in Kauf nehmen. In einem volatilen Markt können sich die Dinge über Nacht grundlegend verändern. Aber hohe Schwankungen, große Kursunterschiede und tiefe Markteinbrüche bieten auch eine ganze Reihe von Chancen, insbesondere in einem Umfeld mit hohem Wachstum und wenn der eigene Anlagehorizont langfristig ausgerichtet ist.

Über die Autorin: Jasmine Kang ist Portfoliomanagerin bei Comgest.

Siehe auch

e-fundresearch: Gefahr einer Divergenz von Fed und EZB vergrößert Renditeabstand

EZB-Präsidentin Christine Lagarde macht eine künftige Lockerung von der Fortsetzung der Disinflation abhängig. Die dürfte nach Ansicht von Axel Botte, Chefstratege des französischen Investmenthauses Ostrum Asset Management, allerdings mit dem Anstieg der Ölpreise, dem anhaltenden Preisdrucks im Dienstleistungssektor und dem Rückgangs des Euro-Wechselkurses unsicherer geworden sein dürfte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert