DAS INVESTMENT: Herr Zimmermann, wie unterscheidet sich das deutsche vom chinesischen Gesundheitswesen?
Cyrill Zimmermann: In erster Linie zeigen sich Unterschiede bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf und der deutlich schlechteren stationären Behandlung in China.
Bei der Ärztedichte kommt China auf 1,8 Ärzte pro 1.000 Einwohner, Deutschland kommt auf 3,8. Außerdem machen die Gesundheitsausgaben in China gerade einmal 5 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. In Deutschland sind es 11 Prozent, in den USA sogar 17 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt gaben die Vereinigten Staaten im Jahr 2018 15mal mehr pro Kopf für Gesundheit aus als China.
Welche Trends beobachten Sie in China?
Zimmermann: Die Regierung hat für das Gesundheitssystem das Ziel ausgegeben, effizienter und qualitativ besser zu werden. China soll seine Innovationskapazitäten steigern und Humankapital fördern, zugleich aber auch marktwirtschaftliche Institutionen weiterentwickeln und geistiges Eigentum sichern. In diese Planungen fällt auch, in Zukunft die wichtigsten Wertschöpfungsschritte bei den Schlüsseltechnologien zu besetzen, indem der inländische Anteil bei Kernmaterialien von 2020 bis 2025 von 40 auf 70 Prozent erhöht wird. Für diese strukturellen Umbrüche hat China zehn prioritäre Sektoren definiert. Neben Bereichen wie Robotik oder Weltraumtechnik zählen dazu auch Biomedizin und Medizintechnik.
Was bedeutet das für die Entwicklung von Medikamenten?
Zimmermann: China gibt hier mächtig Gas. Für die Jahre 2018 bis 2023 erwarten Analysten bei den in China entwickelten Produkten ein durchschnittliches jährliches Umsatzwachstum von 14 Prozent. Noch wichtiger als diese Zahl ist aber, dass sich der Fokus von breit wirksamen und nicht-verschreibungspflichtigen Produkten in Richtung neuer Medikamente verschieben wird. Vor zwei Jahren waren in China 60 Prozent aller Medikamente ohne Patentschutz. Dieser Anteil sinkt in den nächsten drei Jahren voraussichtlich auf 35 Prozent.
Wie soll das so schnell gehen?
Zimmermann: Indem China seine wissenschaftlichen, materiellen und finanziellen Ressourcen klar in Richtung Forschung und Entwicklung neuer Technologien und Produkte lenkt. So werden Einkäufe billiger und das System wird zentral gesteuert. Das schafft mehr finanziellen Spielraum für die Wissenschaft. In China schaffen immer mehr innovative Arzneien den Sprung auf den Markt. Allein im Jahr 2018 wurden 37 neue Produkte zugelassen. Zugleich kann die chinesische Life-Science-Industrie leichter als in der Vergangenheit Kapital über die Finanzmärkte aufnehmen. Neue Regularien erleichtern Biotech-Firmen die Listung an der Börse Hongkong.
Wie helfen neue technologische Trends dem Gesundheitswesen im Kampf gegen das Corona-Virus?
Zimmermann: Am meisten profitieren nach unserer Einschätzung die Telemedizinanbieter Teladoc, Ping An Healthcare Technology, Alibaba Health oder One Medical, weil sie immer mehr Möglichkeiten entwickeln, Patienten virtuell zu behandeln. So wurden in Asien bereits neue Regulierungen eingeführt, die es erlauben, Online-Rezepte auszustellen und Medikamente zu versenden. Versicherer sind in China im Allgemeinen bereit, die Kosten für Telemedizin-Leistungen für die Diagnose und Behandlung von Covid-19 zu übernehmen. Covid-19 ist eine Chance, den Bereich Telemedizin auszubauen.
Welche Therapien bewegen den Gesundheitssektor?
Zimmermann: Wie schon in den vergangenen Jahren stehen wieder die Onkologie sowie neurologische und seltene Erkrankungen im Fokus. Besonders Gentherapien erzielen laufend neue Durchbrüche. Aktuell werden rund 200 klinische Studien in einer Vielzahl von Indikationen durchgeführt. Seit dem Jahr 2012 wurden in Europa und den USA fünf Gentherapien für die Behandlung seltener Erbkrankheiten zugelassen. Experten gehen inzwischen davon aus, dass in den USA ab 2025 jährlich zehn bis 20 Gentherapien die Zulassung erhalten könnten.
Was treibt die Kurse im Gesundheitssektor im Jahr 2020?
Zimmermann: Einerseits hoffen wir, dass noch dieses Jahr der Covid-19-Impfstoff von Moderna im Schnellverfahren zugelassen und für medizinisches Personal schnell erhältlich sein könnte. Außerdem setzen wir darauf, dass im Bereich viraler Biostatika Remdesivir von Gilead für die Behandlung schwerer Covid-Erkrankungen verfügbar ist. Bei Gentherapien könnte Valrox von Biomarin die erste zugelassene Gentherapie für Hämophilie A werden. Bei Hämophilie B wartet der Markt auf die Daten von Uniqure aus einer Zulassungsstudie.
In kommerzieller Hinsicht ist die mögliche Zulassung von Biogens Antikörper Aducanumab zur Behandlung von Alzheimer am interessantesten. Bei den Studien in neurodegenerativen Krankheiten sind es vor allem neue Daten für Chorea Huntington oder Parkinson. In der Onkologie stehen neben bispezifischen Antikörpern zelluläre Ansätze im Fokus. Viele kleinere Firmen wie Cellectis, Allogene, Autolus oder Precision Biosciences werden hierzu Daten präsentieren, aber auch etablierte Firmen wie Bluebird Bio, Bristol/Celgene, Gilead/Kite, Novartis sowie Johnson & Johnson stehen im Fokus.
Warum sollten Anleger in Healthcare investieren?
von Sarah Steiner
Quelle: Das Investment