Dem Biotech-Sektor gehe es gut, meint Rudi Van den Eynde. Im Gespräch erklärt der Fondsmanager des Candriam Equities L Biotechnology, warum die Aktien zuletzt dennoch geschwächelt haben, warum die USA so einen großen Einfluss haben und wie China aufholt.
Biotechnologie galt lange als der risikoreiche Part im Gesundheitswesen. Trifft dies heute noch zu?
Rudi Van den Eynde: Der Biotech-Sektor ist heute größer, als viele denken. Er enthält nicht nur kleine Unternehmen. Vor allem in den USA gibt es eine ganze Reihe großer Biotechs, die seit Jahren erfolgreich sind, viel Cashflow erwirtschaften und gute Bilanzen haben. Das Risiko hängt davon ab, in welche Aktie man investiert. Junge Unternehmen, die noch kein Medikament auf dem Markt haben, sind sicherlich risikoreich. Man muss einschätzen, ob die Forschung in einer Zulassung endet. Eine solche Einschätzung erfordert Sachkenntnis und Erfahrung, aber selbst damit gibt es ein Restrisiko. Daher sollte man über viele Titel diversifizieren. Insgesamt ist Biotech schon volatiler, kann aber auch mehr Alpha generieren.
Welche Unternehmen sind für Sie interessanter: die kleinen risikoreichen oder die großen mit erfolgreichen, zugelassenen Medikamenten?
Van den Eynde: Wir haben beide Kategorien im Universum und im Fonds. Die Großen sind stabiler, die Kleinen können extra Alpha liefern, da sie stark auf klinische Updates reagieren. Wir passen unser Fondsportfolio auch ans Marktumfeld an. Wenn es eher schlecht ist, werden die großen Unternehmen etwas stärker gewichtet.
Wo liegen zurzeit die besten Chancen im Biotech-Bereich?
Van den Eynde: Es gibt gute Anlagechancen in vielen Teilbereichen. Bei vielen Krankheiten sind Fortschritte in der Behandlung zu verzeichnen, ob bei seltenen Krankheiten, in der Onkologie oder im Herz-Kreislauf-Bereich. Zudem ermöglichen neue Technologien Behandlungen, die vorher nicht möglich waren. Zum Beispiel bietet die Gentherapie für seltene Krankheiten erste neue Lösungen. In der Krebsforschung sorgt die Immunonkologie für Innovationen. Solche Entwicklungen kommen nicht nur aus kleinen Firmen, sondern auch aus den großen.
Seit über einem Jahr kann der Biotech-Markt mit der breiten Aktienperformance nicht mithalten. Woran liegt es?
Van den Eynde: Dem Sektor geht es grundsätzlich gut. Die etablierten Unternehmen steigern ihre Umsätze, die Erwartungen bei Umsätzen und Gewinnen werden erfüllt. Grund für die schlechtere Performance ist die politische Debatte in den USA in Zusammenhang mit den anstehenden Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Vor allem Demokraten pochen auf eine Senkung der Medikamentenpreise, die höher sind als in anderen Ländern. Das würde den gesamten Gesundheitssektor auf den Kopf stellen, denn dieser ist privat, in die USA die öffentliche Hand hat bislang keinen Einfluss auf die Preise. Für die schwache Entwicklung der Aktien reicht schon die Debatte darüber. Investoren sind verunsichert und warten ab, wie es weitergeht.
Was denken Sie, wie es weitergeht?
Van den Eynde: Wir glauben, dass sich grundsätzlich nichts ändern wird. Nicht alles, was im Wahlkampf angekündigt wird, wird später auch umgesetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Politiker gibt, der sich Innovationen im Gesundheitsbereich entgegenstellt. Und eine gute Art, Innovationen gut zu fördern, ist über den freien Markt, auch wenn das US-Gesundheitswesen einiger Änderungen oder Anpassungen bedarf.
Die USA sind mit ihren rund 330 Millionen Einwohnern nur ein Teil der Welt. Ist das US-Gesundheitssystem so wichtig für den Sektor?
Van den Eynde: Tatsächlich ist der Anteil an der Gesamtbevölkerung nicht so groß. Aber die Preise sind höher als im Rest der Welt. Und ein wichtiger Teil der Gewinne wird in den USA erwirtschaftet. Das gilt auch für europäische oder japanische Biotech-Unternehmen. Wenn sich in den USA das System ändert, etwa die Preise zurückgehen, sind die Auswirkungen höher, als man aufgrund der Einwohnerzahl denken könnte. Die US-Preise sind auch eine Art Benchmark. Wenn sie fallen, könnte das die Preise in anderen Ländern drücken.
Noch kommen die meisten Biotech-Unternehmen aus den USA. Wird sich das ändern?
Van den Eynde: In den USA gibt es die meiste Forschung, was wiederum die Talente in die USA lockt. Auch das Venture Capital konzentriert sich dort. Rund um Boston gibt es ein riesiges Ökosystem aus Fachleuten und Top-Universitäten. Ich denke, dass auch in den nächsten fünf Jahren der größte Fortschritt aus den USA kommen wird. Europa hat ein paar gute Unternehmen, aber kein großes flächendeckendes Ökosystem.
Und China?
Van den Eynde: China wird wichtiger werden. Derzeit ist China jedoch ein Absatzmarkt und kein Konkurrent. Chinas Regierung fördert das Gesundheitssystem mittlerweile stark, was den Zugang zu neuen guten Medikamenten für Einwohner erschwinglicher macht. Die Regierung fordert aber auch eine eigene Forschung. Es braucht jedoch Zeit, einen akademischen Research-Apparat aufzubauen, neue Medikamente zu erfinden und diese auf den Markt zu bringen. Aktuell ist China auf dem Niveau, Medikamente mit demselben Wirkungsmechanismus wie westliche Produkte entwickeln zu können. Aber sie haben bislang keine neuen Ansätze. Das wird noch ein paar Jahre dauern.
Was treibt Biotech-Aktien, abgesehen von politischen Themen zum Gesundheitswesen?
Van den Eynde: Es ist nicht die Konjunktur, nicht der Dollar, nicht der Zins. Der Antrieb erfolgt sehr unternehmensspezifisch, die Innovation und die klinischen Daten bestimmen den Erfolg der einzelnen Aktie. Wenn es gut läuft und die Investoren überzeugt sind, springt die Aktie an, selbst wenn der Gesamtmarkt gerade fällt. Langfristig treibt nur eines den Kurs eines Biotech-Unternehmens: die erfolgreiche Entwicklung der Pipeline. Kurzfristig beeinflussen auch Spekulationen oder Gerüchte die Kurse.
Ist jetzt ein guter Einstiegszeitpunkt? Die US-Wahlen sind ja noch nicht vorbei.
Van den Eynde: Der Wahlkampf wird sicherlich noch für etwas Unruhe im Sektor sorgen. Langfristig gesehen ist es jedoch ein guter Einstiegszeitpunkt. Die Bewertungen sind gefallen in den vergangenen Jahren. Die Unternehmensgewinne sind stärker gestiegen als die Kurse, daher sind die Aktien zurzeit günstig zu haben. Langfristig ausgerichtete Investoren könnten jetzt beginnen, Bestände im Biotech-Sektor aufzubauen.
von Sabine Groth
Quelle: Das Investment