SJB | Korschenbroich, 04.02.2022.
2021 war ein Jahr weitreichender politischer Veränderungen in China. Der „gemeinsame Wohlstand“ rückte in den Fokus der Zentralregierung, wodurch wirtschaftliche Unwuchten im Internet, im Bildungswesen, im Immobiliensektor und in anderen Branchen korrigiert werden sollten.
Die Regierung tauschte starkes Wirtschaftswachstum gegen Qualität und nachhaltiges Wachstum. Die politischen Veränderungen, die auf einen restriktiven geld- und fiskalpolitischen Kurs folgten, sorgten für beträchtliche Volatilität an den Märkten.
Zu Beginn des Jahres 2022 ist unser Ausblick für China konstruktiv. Branchenteilnehmer und Investoren kennen nun die strategischen Ziele der Regierung und können sich an die neuen regulatorischen Rahmenbedingungen anpassen. Die Regierung hat gezeigt, dass ihr die Konzentration der Marktmacht auf einige wenige Großunternehmen ein Dorn im Auge ist und hat weitreichende Vorschriften erlassen, um die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern.
Die Internetunternehmen haben daraufhin ihre Geschäftsmodelle im Lichte der neuen sozioökonomischen Ordnung angepasst, was Gewinnwachstum und Aktienbewertungen belastet. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass sie ihre Gewinndynamik wieder aufnehmen können, sobald sich der durch die Regulierung aufgewirbelte Staub gelegt hat und die nachjustierten Geschäftsmodelle Gestalt annehmen. Es gilt also, die zweite Hälfte des laufenden Jahres abzuwarten. Der starke Rückgang der Bewertungen ist ein Zeichen dafür, dass die Anleger einen Großteil der Sorgen um die künftigen Gewinne mittlerweile eingepreist haben.
China erfolgreich im Bereich Biotechnologie
Derzeit sind die Märkte nervös, weil die Aufsichtsbehörden das Gesundheitswesen ins Visier nehmen, das neben dem Wohnungsbau und der Bildung zu den „drei großen Bergen“ gehört, die die Lebenshaltungskosten in China in die Höhe treiben. Unserer Einschätzung nach übersehen die Befürchtungen die wichtigen Reformen, die die Behörden bereits in den vergangenen Jahren eingeführt haben, um die Erschwinglichkeit und Qualität von Medikamenten für eine alternde Bevölkerung zu verbessern. So ist es mit einem Mix von Maßnahmen gelungen, die Arzneimittelpreise zu senken. Die Regierung fördert außerdem die Entwicklung hochwertiger Medikamente in China. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass lokale Biotechnologieunternehmen mit innovativen Krebsmedikamenten erfolgreich waren, die im Westen zugelassen und lizenziert wurden.
Wir gehen davon aus, dass die wichtigsten politischen Veränderungen weitgehend hinter uns liegen. Die durchgesetzten Regulierungsmaßnahmen könnten in der Folge weiter auf der Detailebene ausgearbeitet werden, wodurch jedoch nur ein geringer Einfluss auf die Märkte zu erwarten ist. Dennoch würden wir zukünftige regulatorische Eingriffe nicht völlig ausschließen. Branchen, in denen es zu Marktkonzentrationsrisiken, übermäßigen Kapitalzuflüssen oder anderen Ungleichgewichten kommt, werden wahrscheinlich die Aufmerksamkeit der Regulierungsbehörden auf sich ziehen. Mit China haben wir es damit mit einem Markt zu tun, der unserer Meinung nach eher von der Politik als von der Wirtschaft bestimmt wird.
Lockerung der Geldpolitik
Inzwischen hat China damit begonnen, seine Geldpolitik zu lockern. Die entspannte Notenbankpolitik des Landes, die im Gegensatz zu der im Westen vorherrschenden Tendenz zur Inflationsbekämpfung steht, könnte für chinesische Aktien sowie für Aktien der Schwellenländer insgesamt sprechen.
Obwohl eine steigende Inflation ein globales Phänomen ist und auch die Erzeugerpreise in China gestiegen sind, haben sich die Gewinnspannen der chinesischen Produzenten widerstandsfähiger gezeigt als von uns erwartet. Das deutet darauf hin, dass sie in der Lage sind, einen Teil der Kostensteigerungen an die Endverbraucher im Inland und in Übersee weiterzugeben. Die Welt ist bei vielen Gütern weiterhin von China abhängig, da es keine alternativen Bezugsquellen gibt. Dennoch gehen wir davon aus, dass der globale Inflationsdruck im Jahr 2022 zurückgehen wird, wenn auch nicht auf die bisherigen Tiefststände. Die Pandemie könnte die Lieferketten weiterhin behindern, während die US-Handelszölle und eine allgemeine Verschlechterung der globalen Handelsbeziehungen in den vergangenen Jahren die Inflation strukturell stützen könnten.
Optimismus mit Vorbehalten
Unsere Aussichten für China sind allerdings mit Vorbehalten behaftet, insbesondere mit Blick auf die Entwicklung der Pandemie. China verfolgt eine „Null-Covid-19“-Strategie, unter anderem aufgrund seiner großen Bevölkerung und der hohen Gesundheitskosten, die ein unkontrolliertes Epidemiegeschehen verursachen würde. Ohne eine höhere Impfrate und den Nachweis, dass die verfügbaren Impfstoffe gegen jede Coronavirus-Variante wirksam sind, sehen wir keine Öffnung Chinas. Der strenge Ansatz der Zentralregierung, soviel ist absehbar, dürfte mindestens bis zum 20. Nationalen Kongress der Kommunistischen Partei Chinas Ende 2022 andauern. Wir gehen daher davon aus, dass Reise- und andere Beschränkungen den Inlandsverbrauch dämpfen werden.
Darüber hinaus dürften die geopolitischen Spannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten anhalten. Obwohl der Ton unter der Regierung von US-Präsident Joe Biden nuancierter geworden zu sein scheint, sind wir der Meinung, dass die Vereinigten Staaten und andere westliche Nationen China als einen wachsenden wirtschaftlichen und strategischen Rivalen betrachten.
Wo wir Chancen sehen
Trotz aller Veränderungen, die sich im laufenden Jahr ergeben könnten, ist unsere Einstellung zu Investitionen in China gleichgeblieben. Wir gehen davon aus, dass chinesische Qualitätsunternehmen über mehrere Marktzyklen hinweg Wachstum liefern werden. Selbst wenn die wirtschaftliche Dynamik in China nachlässt, glauben wir, dass einzelne gut geführte Unternehmen weiterhin Chancen haben, ihre Konkurrenz zu übertreffen, sei es durch Marktanteilsgewinne oder ein besseres Cashflow- und Bilanzmanagement. Preissetzungsmacht ist für uns ein weiterer Aspekt von Qualität. Zu den Unternehmen mit diesem Vorteil gehören häufig Dienstleistungsunternehmen mit geringen Inputkosten und Hersteller mit ausgeprägtem geistigen Eigentum.
Wir sehen auch Wachstumschancen für Unternehmen, die von politischem Rückenwind profitieren könnten. Chinas Streben nach einer qualitativ hochwertigen wirtschaftlichen Entwicklung und einem besseren Lebensumfeld für die Masse der Menschen schiebt erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge an. Wir sind der Ansicht, dass die chinesische E-Fahrzeugindustrie einen Wendepunkt erreicht hat: Die rasch wachsende Akzeptanz unter Verbrauchern deutet darauf hin, dass E-Mobilität nun nicht mehr große staatliche Unterstützung benötigt. Es dürfte für China sogar vorteilhaft sein, nationale Champions in den Branchen E-Mobilität- und erneuerbare Energien zu fördern, die später die weltweite Führung übernehmen könnten. Mehrere chinesische Unternehmen aus den Bereichen Elektrofahrzeuge und Solarenergie haben bereits die Spitzenplätze bei den weltweiten Marktanteilen eingenommen.
von Michael Lai