Zinserhöhungen in den USA, Europäische und Japanische Zentralbank verabschieden sich ganz langsam von ihrer lockeren Geldpolitik – und die USA pflegen ihren Handelsstreit mit China: Didier de Saint George vom französischen Fondshaus Carmignac unternimmt hier einen globalen Rundumblick und hat dabei einige Tipps für Anleger parat.
Es lässt sich heute kaum bestreiten, dass seit 2009 die globale Liquiditätsschwemme der Zentralbanken 2017 ihren Höhepunkt erreicht hat. Seit Anfang 2018 kann man aufgrund der geldpolitischen Straffung der Fed Effekte beobachten, die zunehmend angeschlagene Volkswirtschaften belasten. Dies betrifft bisher vor allem Schwellenländer. Da die Liquiditätsflut gerade erst beginnt abzunehmen, stellt sich die Frage, wie sich dies in den kommenden Monaten und Quartalen auf die Aktien- und Anleihemärkte auswirken wird.
Paradigmenwechsel
Die Äußerungen der Zentralbanker lassen keinen Raum für Zweifel: Die globale Liquiditätsversorgung nimmt weiter ab, und ab dem nächsten Jahr wird sich die Liquidität deutlich verringern. Die Fed hat bereits begonnen, die Dollar-Liquidität im Finanzsystem zu verringern. Sie ist von der quantitativen Lockerung zur „quantitativen Straffung“ übergangen. Seit Beginn des Jahres entzieht sie dem Markt monatlich 40 Milliarden US-Dollar, und ab Oktober wird sich dieser Betrag auf 50 Milliarden US-Dollar erhöhen. Zudem bestätigte der Präsident der US-Notenbank Jay Powell Ende September, dass der Leitzins erneut erhöht werden wird.
Die Geldpolitik wird demnach allmählich straffer. Wichtig ist hierbei, dass sich dieser Liquiditätsabzug derzeit in keiner Weise negativ auf die US-Wirtschaft auswirkt. Durch die expansive Fiskalpolitik der Trump-Regierung, die das Wachstum befeuert und die straffere Geldpolitik, verknappt sich die weltweite Dollar-Liquidität. Dadurch geraten Länder unter Druck, die auf den US-Dollar angewiesen sind (z. B. Argentinien). In den USA bleibt die Finanzierung hingegen äußerst günstig.
In Europa rechnet man frühestens ab nächsten Sommer damit, dass die Leitzinsen angehoben werden. Die quantitative Lockerung wird hingegen bis Ende des Jahres auslaufen. Die EZB wird also ihr Kaufprogramm für Staatsanleihen der Eurozone definitiv beenden, so ist es zumindest geplant. Durch diese geldpolitische Wende wird sich das Umfeld zweifellos radikal ändern. Am stärksten werden hiervon Länder betroffen sein, die stark auf das Vertrauen der Anleger angewiesen sind, um ihr Haushaltsdefizit zu finanzieren.
Vor allem die Entwicklung in Italien sollte in dieser Hinsicht im Auge behalten werden: Auf welches Niveau werden sich die Renditen italienischer Staatsanleihen einpendeln, wenn die regelmäßigen milliardenschweren Käufe der EZB wegfallen? Diese Frage wird besonders brisant, wenn die neue Regierung daran festhält, keine Staatsanleihen mehr zu kaufen und somit die Schuldenquote langfristig auf ein Niveau anhebt, das von Anlegern und Ratingagenturen als nicht tragfähig eingeschätzt wird.
In Japan bestätigte der Gouverneur der Zentralbank im September, dass sie weiterhin die monatlichen Staatsanleihenkäufe reduzieren werden. Die Inflation ist jedoch nach wie vor gering und die Bank of Japan muss weiterhin mit größter Vorsicht agieren. Die Renditen japanischer Staatsanleihen, die bei zehnjährigen Papieren kaum über 0,10 Prozent liegen, befinden sich noch immer nahe den 2016 kurzzeitig erreichten historischen Tiefständen. Dies wirkt sich negativ auf den gesamten Finanzsektor aus.
America First
Zum einen hat dieser Paradigmenwechsel eine wesentlich protektionistischere Haltung der Trump-Regierung ausgelöst, die sich verstärkt auf die Märkte auswirkt. Sie richtet sich hauptsächlich gegen China. Sind diese Auswirkungen von Dauer?
Es ist überaus schwierig, wenn gar unmöglich, die Haltung der US-Regierung in naher Zukunft einzuschätzen. Es stellt sich die Frage, ob Donald Trump als Hauptakteur dies überhaupt selbst weiß. Mittelfristig stellt eine offene nationalistische Wirtschaftspolitik jedoch eine klare Wende dar. Die Trump-Administration lehnt den Freihandel, von dem alle Akteure profitieren, als optimales Modell für den Welthandel rundweg ab. Für sie ist der Welthandel ein Nullsummenspiel mit Gewinnern und Verlierern. Deshalb gilt es, alle Handelsabkommen neu zu verhandeln und dabei alles genau abzuwägen, um als Gewinner hervorzugehen.
Ein solcher Neomerkantilismus wird natürlich seit jeher von Großmächten bevorzugt, wenn sie in der Lage sind, die für sie selbst günstigsten Handelsbedingungen durchzusetzen. Mit anderen Worten: Während die Geldpolitik der Fed ausländisches Kapital in die USA lockt, zielt der Handelsprotektionismus der USA darauf ab, sich das größte Stück vom globalen Wachstumskuchen zu sichern. Kein Wunder, dass Anleger heute vor allem auf den US-Markt setzen. Dass dies zu Spannungen führt, ist ebenfalls wenig überraschend. Die US-Regierung hat sicherlich richtig erkannt, dass China auf wirtschaftlicher, geopolitischer und ideologischer Ebene langfristig der größte Rivale des Landes ist. China könnte den zahlreichen unmittelbaren Forderungen zur Öffnung seines Marktes leicht nachkommen. Das Land hat aber verstanden, dass dies nicht der Kern der Auseinandersetzung ist.
Infolge dieser Spannungen verkaufen Anleger gelegentlich aus Panik, woraus sich gute Einstiegsmöglichkeiten ergeben. Allerdings könnten die Spannungen zwischen China und den USA über
einen Zeitraum fortbestehen, der weit über den kurzfristigen innenpolitischen Horizont in den USA hinausgeht. Damit könnten sie sich zu einer neuen und dauerhaften Komponente an den Märkten entwickeln.
Nur Verlierer
Niemand kann bestreiten, dass die Globalisierung die Lieferketten optimiert hat, was wiederum für die Margen großer Unternehmen positiv war. Allerdings ist die Kaufkraft der Beschäftigten bei weitem nicht in gleichem Maße gestiegen. Deshalb unterstützen viele aus der amerikanischen Bevölkerung den wirtchaftliche Nationalismus heute. Dies dürfte sich auch nicht ändern, wenn eine andere Regierung das Ruder übernimmt. Die Frage lautet, ob sich der zunehmende Protektionismus positiv auf die US-Wirtschaft auswirken wird. Das ist äußerst fraglich.
Neue Zollschranken würden die Einfuhr vieler chinesischer und vielleicht bald auch japanischer oder deutscher Produkte weniger wettbewerbsfähig machen. Doch ohne die Möglichkeit, diese Importe in ausreichenden Mengen zu niedrigen Preisen zu ersetzen, wäre die amerikanische Industrie heute nicht in der Lage, davon zu profitieren. Tatsächlich ist die US-Industrie voll ausgelastet.
Zudem wäre es verfrüht, in neue Kapazitäten zu investieren, solange nicht bekannt ist was bei den Verhandlungen über den Handel abgemacht wird. Protektionismus würde also vornehmlich bedeuten, dass der amerikanische Verbraucher entweder mehr Geld für die Produkte zahlen müsste oder weniger konsumieren könnte. So würden entweder die Preise steigen oder das Wachstum zurückgehen.
Die aktuell starke Position der amerikanischen Volkswirtschaft stellt somit paradoxerweise keinen so überzeugenden Vorteil dar. Selbst gezielter Protektionismus könnte es einigen Ländern (Vietnam, Mexiko?) eventuell sogar ermöglichen, bei bestimmten Produktlinien zum bisher unerreichbaren amerikanischen Verbraucher vorzudringen. Vielleicht gehen aus dieser Politik andere Gewinner hervor als von Donald Trump erwartet.
Wie sich die Zölle auf das Wachstum in China auswirken, sollte angesichts des wachsenden Anteils der inländischen Nachfrage am BIP nicht überschätzt werden (China generiert derzeit keinen Leistungsbilanzüberschuss mehr). Darüber hinaus könnte China weiterhin die Wirtschaft durch eine expansive Geld oder Fiskalpolitik, beziehungsweise durch Unterstützung der Banken ankurbeln, wenn auch in geringerem Maße. Eine Verlangsamung wird jedoch schwer zu vermeiden sein, selbst wenn sie kontrolliert verläuft.
Während sich die Vorteile der Globalisierung recht ungleich verteilt haben, werden die Nachteile des Protektionismus wahrscheinlich alle tragen müssen. Anleger sollten sich also auf Wolken am globalen Wachstumshimmel gefasst machen und sich auf mikroökonomischer Ebene von anfälligen Unternehmen und Wertpapieren fernhalten. Dabei sollten sie sich darauf konzentrieren, Branchen und Unternehmen zu identifizieren, die dank ihrer Positionierung und Qualitäten nicht durch die Spannungen negativ betroffen sein dürften.
Das Dilemma der Anleihemärkte
Traditionelle Fluchtwerte, wie amerikanische und deutsche Staatsanleihen, profitieren derzeit von den zunehmenden politischen Unsicherheiten. Vor allem in den Schwellenländern aber auch in Italien. Wie bereits erwähnt, führt der weltweite Trend zur geldpolitischen Normalisierung zu höheren Renditen. Diese dürften stärker mit einem soliden Wirtschaftswachstum und den ersten Inflationsanstiegen im Einklang stehen. In den Vereinigten Staaten sind die Renditen für Staatsanleihen bereits gestiegen, da die Inflation weiter anzieht und das US-Wachstum bereits Gefahr läuft zu überhitzen. An den Anleihemärkten wird das offenbar bezweifelt.
In Deutschland zeichnet sich eine Verlangsamung der Konjunktur ab, was die europäischen Aktienmärkte natürlich belastet. Die Wirtschaftsdynamik ist aber gleichwohl hoch genug, um das Niveau der Renditen der Staatsanleihen als extrem niedrigbleibend einzuschätzen. Dies ist mit den Plänen der EZB unvereinbar, die Anleihekäufe am Ende des Jahres einzustellen. Kurzfristig erscheint die Risikoverteilung daher recht asymmetrisch: Sofern es nicht zu einem plötzlichen Anstieg der Risikoaversion kommt, besteht bei den als sicher geltenden Anleihen aus den Vereinigten Staaten und Deutschland ein erhebliches Zinsrisiko. Insbesondere falls sich die Situation in Italien oder der Türkei verschärfen sollte, was nicht ausgeschlossen werden kann.
Andererseits könnten mittelfristig eine abschwächende Konjunktur und bleibende strukturelle und deflationäre Kräfte (Demografie, „Amazonisierung“ der Welt, Überschuldung) durchaus mit einer ansteigenden Risikoaversion und erneut rückgängigen Inflationserwartungen einhergehen. Dies würde ab 2019 den Zentralbanken entgegenwirken, die ihre Geldpolitik normalisieren wollen. Außerdem würde dies die Aktienmärkte massiv belasten und die Renditen von Staatsanleihen erneut drücken. Es ist daher in den kommenden Quartalen für eine aktive Verwaltung unerlässlich die Aktienrisiken und die Zinssensitivität strikt und taktisch zu managen.
Das neue Liquiditätsregime, welches das Jahr 2018 kennzeichnet, wird vor allem die Wirkung exogener Impulse und damit die geografischen und sektoriellen Performanceunterschiede verstärken. Diese hohen Performanceunterschiede dürften das Marktumfeld dauerhaft prägen, was ein extrem selektives Vorgehen der Anleger erfordert. Die Zeit des passiven Managements ist vorbei.
Von: Didier Saint-Georges, Managing Director und Investmentstratege beim französischen Fondshaus Carmignac
Quelle: Das Investment